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An der einen Wand standen Regale mit Büchern, die allem Anschein nach Farbe und Größe sortiert waren statt nach Inhalt. Sie sollten das Arbeitszimmer der Amyrlin weniger nüchtern erscheinen lassen, bis Egwene ihre eigene Wahl getroffen hatte.

»Was gibt es denn so Dringendes zu besprechen?«, sagte Egwene und setzte sich hinter ihren Schreibtisch. »Die Morde«, sagte Gawyn. »Was ist damit?«

Gawyn schloss die Tür. »Verflucht, Egwene. Musst du mir jedes Mal die Amyrlin präsentieren, wenn wir miteinander sprechen? Darf ich wenigstens nicht einmal Egwene sehen?«

»Ich zeige dir die Amyrlin«, erwiderte Egwene, »weil du dich weigerst, sie zu akzeptieren. Sobald du das tust, können wir das vielleicht hinter uns lassen.«

»Beim Licht! Du hast gelernt, wie sie zu sprechen.«

»Weil ich eine von ihnen bin!«, sagte sie. »Die Wahl deiner Worte verrät dich. Die Amyrlin kann nicht die Hilfe jener akzeptieren, die sich weigern, ihre Autorität anzuerkennen.«

»Ich akzeptiere dich«, sagte Gawyn. »Das tue ich wirklich, Egwene. Aber ist es nicht wichtig, Menschen zu haben, die dich um deinetwillen akzeptieren und nicht allein wegen des Titels?«

»Solange sie wissen, dass es einen Platz für Gehorsam gibt.« Ihre Miene wurde weicher. »Du bist noch nicht bereit, Gawyn. Es tut mir leid.«

Er biss die Zähne zusammen. Jetzt keine Überreaktion, sagte er sich. »Also gut. Dann also diese Attentate. Uns ist klar geworden, dass keine der getöteten Frauen einen Behüter hatte.«

Egwene runzelte die Stirn.

»Wir bereiten uns auf die Letzte Schlacht vor. Trotzdem gibt es Schwestern ohne Behüter. Viele Schwestern. Einige hatten einen, nahmen aber nach seinem Tod keinen neuen an. Andere wollten nie einen haben. Ich glaube nicht, dass du dir das leisten kannst.«

»Was soll ich also deiner Meinung nach tun?« Sie verschränkte die Arme. »Den Frauen befehlen, sich einen Behüter zu nehmen?«

»Ja.«

Sie lachte. »Gawyn, diese Art Macht hat die Amyrlin nicht.«

»Dann sorg dafür, dass es der Saal tut.«

»Du weißt nicht, wovon du sprichst. Die Wahl eines Behüters ist eine sehr persönliche und intime Entscheidung. Keine Frau sollte dazu gezwungen werden.«

»Nun«, erwiderte Gawyn, der sich nicht einschüchtern lassen wollte, »die Entscheidung in den Krieg zu ziehen ist ebenfalls sehr ›persönlich‹ und ›intim‹, doch im ganzen Land ruft man Männer dazu auf. Manchmal sind Gefühle nicht so wichtig wie das Überleben.

Behüter erhalten Schwestern am Leben, und jede Aes Sedai wird bald von entscheidender Bedeutung sein. Es wird zahllose Legionen von Trollocs geben. Jede Schwester auf dem Schlachtfeld wird wertvoller als hundert Soldaten sein, und jede heilende Schwester wird Dutzende von Leben retten. Die Aes Sedai sind ein Guthaben, das der Menschheit gehört. Du kannst es dir nicht leisten, sie ohne Schutz zu lassen.«

Egwene lehnte sich zurück, vielleicht durch die Leidenschaft seiner Worte. Dann nickte sie unerwarteterweise. »Vielleicht… liegt Weisheit in diesen Worten, Gawyn.«

»Setze es im Saal auf die Tagesordnung. Im Grunde ist es selbstsüchtig, wenn sich eine Schwester nicht mit einem Behüter verbindet. Dieser Bund macht einen Mann zu einem besseren Soldaten, und wir brauchen jeden Vorteil, der sich uns bietet. Und es wird auch helfen, diese Morde zu verhindern.«

»Ich will sehen, was sich machen lässt.«

»Könntest du mir Einsicht in die Berichte der Schwestern gewähren?«, fragte Gawyn. »Die über die Morde, meine ich.«

»Gawyn«, erwiderte sie. »Ich habe dir erlaubt, an dieser Untersuchung teilzunehmen, weil ich der Meinung war, dass es gut sein könnte, alles noch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Dir ihre Berichte zu geben würde dich nur beeinflussen und dieselben Schlüsse wie sie ziehen lassen.«

»Dann verrate mir wenigstens eines. Haben die Schwestern die Befürchtung zur Sprache gebracht, dass das nicht das Werk der Schwarzen Ajah sein könnte? Dass der Mörder ein Grauer Mann oder ein Schattenfreund sein könnte?«

»Nein, das haben sie nicht«, sagte Egwene, »weil wir wissen, dass der Attentäter nichts dergleichen ist.«

»Aber die Tür vergangene Nacht, sie wurde aufgebrochen. Und die Frauen werden mit Messern getötet, nicht mit der Einen Macht. Es gibt keine Spuren von Wegetoren oder …«

»Der Mörder hat Zugang zur Einen Macht«, sagte Egwene mit sorgfältig gewählten Worten. »Und vielleicht benutzen sie keine Wegetore.«

Gawyn kniff die Augen zusammen. Das klang nach den Worten einer Frau, die um ihren Eid herumtänzelte, um nicht lügen zu müssen. »Du hast Geheimnisse«, sagte er. »Nicht nur vor mir. Vor der ganzen Burg.«

»Manchmal sind Geheimnisse nötig, Gawyn.«

»Kannst du sie mir nicht anvertrauen?« Er zögerte. »Ich mache mir Sorgen, dass der Attentäter dich angreift, Egwene. Du hast keinen Behüter.«

»Zweifellos wird sie irgendwann auf mich losgehen.« Sie spielte mit etwas auf ihrem Schreibtisch. Es sah wie ein abgenutzter Lederriemen aus, wie man ihn zur Bestrafung eines Delinquenten benutzte. Seltsam.

Sie? »Bitte«, sagte er. »Was geht hier vor?«

Sie musterte ihn, dann seufzte sie. »Also gut. Ich habe es auch den Frauen gesagt, die die Untersuchung durchführen. Vielleicht sollte ich es auch dir sagen. In der Weißen Burg hält sich eine der Verlorenen auf.«

Er legte die Hand auf den Schwertgriff. »Was? Wo! Hältst du sie gefangen?«

»Nein«, sagte Egwene. »Sie ist die Attentäterin.«

»Das weißt du genau?«

»Ich weiß, dass Mesaana hier ist. Ich habe Geträumt, dass es stimmt. Sie verbirgt sich unter uns. Und jetzt sind vier Aes Sedai tot? Sie ist es, Gawyn. Es ist das Einzige, was Sinn macht.«

Er verkniff sich Fragen. Er wusste nicht viel über das Träumen, aber er wusste, dass Egwene dieses Talent hatte. Angeblich war das so ähnlich wie eine Vorhersehung.

»Ich habe das nicht in der ganzen Burg bekannt gemacht«, fuhr Egwene fort, »denn ich habe folgende Befürchtung: Sollten alle wissen, dass eine der Schwestern in unserer Umgebung insgeheim eine der Verlorenen ist, würde uns das alle wieder auseinanderbringen wie bei Elaida. Wir würden einander misstrauen.

Es ist jetzt schon schlimm genug, wo alle glauben, dass Schwarze Schwestern mithilfe des Reisens eindringen und diese Morde begehen, aber wenigstens erregt das kein Misstrauen untereinander. Und vielleicht wird Mesaana glauben, dass ich keine Ahnung habe, dass sie es ist. Nun ja, das ist das Geheimnis, das du unbedingt wissen wolltest. Wir jagen keine Schwarze Schwester, sondern eine der Verlorenen.«

Es war eine beängstigende Vorstellung – aber auch nicht schlimmer, als dass der Wiedergeborene Drache durch das Land streifte. Beim Licht, eine Verlorene in der Weißen Burg erschien plausibler, als dass Egwene die Amyrlin-Sitz war! »Wir schaffen das«, sagte er und klang zuversichtlicher, als er sich fühlte.

»Ich lasse Schwestern den Lebenslauf von jedem in der Burg untersuchen«, sagte Egwene. »Andere halten nach verdächtigen Worten oder Geschehnissen Ausschau. Wir finden sie. Aber ich wüsste nicht, wie wir die Frauen besser schützen können, ohne eine viel gefährliche Panik zu verursachen.«

»Behüter«, sagte Gawyn überzeugt.

»Ich denke darüber nach, Gawyn. Aber im Augenblick brauche ich dich für etwas anderes.«

»Wenn es in meiner Macht liegt.« Er trat einen Schritt auf sie zu. »Das weißt du.«

»Tatsächlich?«, fragte sie trocken. »Also gut. Ich will, dass du aufhörst, nachts meine Türe zu bewachen.«

» Was? Egwene, nein!«

Sie schüttelte den Kopf. »Siehst du? Deine erste Reaktion besteht darin, mir zu widersprechen.«

»Es ist die Pflicht eines Behüters, unter vier Augen zu widersprechen, wenn es um seine Aes Sedai geht!« Hammar hatte ihm das beigebracht.