Выбрать главу

»Ihr Japaner haltet uns doch für rothaarige Affen, nicht wahr?« fragte Coche. »Ich habe gehört, daß ihr uns Europäer so nennt. Wir sind behaarte Barbaren, stimmt’s? Dafür seid ihr schlau, feinfühlig, hochkultiviert, und die Weißen können euch nicht das Wasser reichen!« Der Kommissar blies höhnisch die Wangen auf und stieß eine dicke Rauchwolke zur Seite aus. »Ein Dutzend Affen umzubringen, das ist doch eine Lappalie und gilt bei euch nicht als Sünde.«

Aono straffte sich, sein Gesicht versteinerte.

»Sie beschuldigen mich, ich hätte Lold Littleby und seine Vasallen, das heißt, seine Dienel, umgeblacht?« fragte er mit monotoner, lebloser Stimme. »Walum?«

»Weil die Kriminologie darauf hinweist, mein Bester«, sprach der Kommissar gewichtig und wandte sich von dem Japaner ab, denn die Rede, die er halten wollte, war nicht für diesen gelbbäuchigen Bastard bestimmt, sondern für die Geschichte. Gebt mir nur Zeit, dann wird sie in den Lehrbüchern der Kriminologie gedruckt!

»Zuerst, meine Herrschaften, nenne ich Ihnen die indirekten Umstände, die beweisen, daß dieser Mann die Verbrechen, deren ich ihn anklage, begehen konnte. (Ach, diese Rede müßte ich nicht hier vor einem Dutzend Zuhörern halten, sondern im Justizpalast vor vollem Saal!) Sodann präsentiere ich Ihnen die Indizien, die unwiderlegbar beweisen, daß Monsieur Aono die elf Menschen nicht nur ermorden konnte, sondern tatsächlich ermordet hat - zehn am 15. März in der Rue de Grenelle und einen gestern, am 14. April, an Bord der >Leviathan<.«

Rund um Aono bildete sich ein leerer Raum, nur der Russe blieb neben dem Arrestanten sitzen, und der Inspektor stand mit dem schußbereiten Revolver hinter ihm.

»Ich hoffe, niemand bezweifelt, daß der Tod Professor Sweetchilds direkt mit dem Verbrechen in der Rue de Grenelle zusammenhängt. Die Untersuchung hat ergeben, daß die Tat das Ziel hatte, nicht den goldenen Schiwa zu rauben, sondern das Seidentuch.« Coche guckte mürrisch: Ja, die Untersuchung, da brauchen Sie nicht das Gesicht zu verziehen, Herr Diplomat.

»Denn das Tuch ist der Schlüssel zu den verborgenen Schätzen des einstigen Radschas Bagdassar von Brahmapur. Wir wissen bislang nicht, auf welche Weise der Beschuldigte das Geheimnis des Tuchs herausfand. Doch wir wissen alle, daß der Orient viele Geheimnisse hat, deren Wege uns Europäern verschlossen sind. Aber der tote Professor, ein wirklicher Kenner des Orients, vermochte zur Lösung vorzudringen. Er war schon im Begriff, uns seine Entdeckung mitzuteilen, doch da setzte der Feueralarm ein. Der Verbrecher hatte sicherlich den Eindruck, das Schicksal selbst sende ihm die prächtige Gelegenheit, Sweetchild den Mund zu stopfen. Und wieder wären alle Spuren verwischt, wie in der Rue de Grenelle. Aber der Verbrecher ließ einen wichtigen Umstand außer acht: Diesmal war Kommissar Coche in der Nähe, und mit dem funktionieren solche Scherze nicht. Es war ein riskanter Plan, doch nicht ohne Erfolgschancen. Der Täter wußte, daß der Gelehrte als erstes in seine Kabine eilen würde, um seine Papiere zu retten . das heißt, seine Manuskripte. Dort, hinter der Ecke des Korridors, beging der Mörder seine Untat. Also, indirekter Umstand Nummer eins.« Der Kommissar hob den Finger. »Monsieur Aono lief aus dem Salon, er konnte den Mord begehen.«

»Nicht nul ich«, sagte der Japaner. »Aus dem Salon sind noch sechs Pelsonen gelaufen: Monsieur Legnier, Monsieur und Madame Tluffo, Monsieur Fandolin, Monsieur Milfold- Stokes und Mademoiselle Stomp.«

»Richtig«, stimmte Coche zu. »Aber ich wollte den Beisitzern, also den Anwesenden, nur den Zusammenhang der beiden Verbrechen demonstrieren wie auch die Möglichkeit, daß Sie den gestrigen Mord begehen konnten. Nun zurück zu dem >Verbrechen des Jahrhunderts<. Als es stattfand, war Herr Aono in Paris. Dieses Faktum steht außer Zweifel und wird durch eine Depesche, die ich bekommen habe, bestätigt.«

»In Palis walen zusammen mit mil noch andelthalb Millionen Menschen«, warf der Japaner ein.

»Und doch ist dies der indirekte Umstand Nummer zwei«, sagte der Kommissar gespielt treuherzig.

»Ein bißchen sehr indirekt«, wandte der Russe ein.

»Unbestritten.« Coche stopfte Tabak in die Pfeife und machte den nächsten Zug. »Aber die tödliche Injektion hat den Dienern von Lord Littleby ein Arzt verabfolgt. Ärzte gibt es in Paris nicht anderthalb Millionen, sondern erheblich weniger, nicht wahr?«

Diese Behauptung zog niemand in Zweifel. Kapitän Cliff fragte: »Das stimmt, aber was folgt daraus?«

»Ich sag’s Ihnen, Herr Kapitän.« Coches scharfes Auge blitzte. »Unser Freund Aono ist keineswegs Offizier, wie er sich uns vorgestellt hat, sondern diplomierter Chirurg, und er hat vor kurzem die Medizinische Fakultät der Sorbonne absolviert! Das wird in derselben Depesche mitgeteilt.«

Wirkungsvolle Pause. Gedämpftes Stimmengewirr im Saal des Justizpalastes, die Pressezeichner stricheln mit den Bleistiften in den Notizblocks: Kommissar Coche spielt das Trumpfas aus. Wartet nur, meine Lieben, das ist es noch gar nicht, das Trumpfas kommt erst noch.

»Und damit, meine Herrschaften, kommen wir von den indirekten Umständen zu den Beweisen. Monsieur Aono soll uns doch mal erklären, warum er, als Arzt Vertreter eines angesehenen Berufs, sich als Offizier ausgegeben hat. Wozu diese Lüge?«

Über die wachsbleiche Schläfe des Japaners rann ein Schweißtropfen. Er sagte nichts. Sein Pulver hatte nicht lange vorgehalten.

»Es gibt nur eine Antwort: um den Verdacht von sich abzulenken. Der Mörder war Arzt!« resümierte der Kommissar zufrieden. »Und nun der Beweis Nummer zwei. Haben Sie, meine Herrschaften, schon vom japanischen Kampf gehört?«

»Nicht nur gehört, ich habe ihn gesehen«, sagte der Kapitän. »Einmal in Macao war ich dabei, wie ein japanischer Steuermann drei amerikanische Matrosen verprügelte. Ein schmächtiges Männlein, das man scheint’s umpusten konnte, aber wie er sprang und mit Armen und Beinen zuschlug - er warf die drei bärenstarken Waljäger zu Boden. Dem einen hieb er die Handkante gegen den Arm, worauf der Ellbogen nach der anderen Seite stand, er hatte ihm den Knochen durchschlagen, können Sie sich das vorstellen? Solch ein Schlag!«

Coche nickte zufrieden.

»Ich habe auch gehört, daß die Japaner das Geheimnis des tödlichen waffenlosen Kampfes beherrschen. Sie können einen Menschen mit nur einem Finger töten. Wir alle haben mehr als einmal gesehen, wie Herr Aono seine Gymnastik machte. In seiner Kabine unterm Bett wurden Stücke eines Kürbis gefunden, der sehr hart gewesen sein muß. Und in einem Sack hatte er noch mehrere heile. Sie dienten dem Beschuldigten wohl dazu, die Kraft und Genauigkeit seines

Schlags zu üben. Ich kann mir nicht vorstellen, was für Kraft man haben muß, um einen harten Kürbis mit der bloßen Hand zu zerschlagen, noch dazu in mehrere Stücke.«

Der Kommissar blickte die Anwesenden vielsagend an und spielte den Beweis Nummer zwei aus: »Ich erinnere Sie daran, meine Herrschaften, daß der Schädel des unglücklichen Lord Littleby durch den ungewöhnlich starken Schlag mit einem schweren stumpfen Gegenstand in mehrere Bruchstücke zertrümmert wurde. Betrachten Sie jetzt die schwieligen Handkanten des Beschuldigten.«

Der Japaner nahm seine kleinen sehnigen Hände mit einem Ruck vom Tisch.

»Jackson, lassen Sie den Mann nicht aus den Augen, er ist sehr gefährlich«, warnte Coche. »Wenn was ist, schießen Sie ihn ins Bein oder in die Schulter. Ich möchte Herrn Aono fragen: Wo haben Sie das goldene Abzeichen gelassen? Sie schweigen? Dann antworte ich für Sie: Das hat Ihnen Lord Littleby abgerissen, als Sie ihm den tödlichen Schlag mit der Handkante versetzten.«