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»Ich bin nicht allein hier«, antwortete Fandorin.

Der Kommissar linste in den Korridor und sah neben Fan- dorin zwei weitere Männer stehen. Der eine war der verrückte Baronet. Und der andere? Der Steuermann, ja. Wie hieß er gleich ... Richtig, Fox.

»Beeilen Sie sich«, fuhr der Diplomat abgehackt fort. »Die Zeit ist knapp. Ich habe in der Kabine gelesen. Es klopfte. Sir Reginald. Um ein Uhr nachts hat er die Position des Schiffs bestimmt. Mit dem Sextanten. Der Kurs stimmt nicht. Wir müßten die Insel Manaar links umfahren. Wir fahren aber rechts herum. Ich habe den Steuermann geweckt. Fox, reden Sie.«

Der Steuermann trat vor. Er sah recht erschrocken aus.

»Dort sind Untiefen, Monsieur«, sagte er in gebrochenem Französisch. »Und Klippen. Die >Leviathan< ist sehr schwer. Sechzehntausend Tonnen, Monsieur! Wenn sie aufläuft, sie bricht wie französisches Weißbrot, wie Baguette, verstehen Sie? Noch eine halbe Stunde dieser Kurs, und es gibt kein Zurück!«

Eine hübsche Neuigkeit. Nun sollte der alte Coche sich auch noch in der Seefahrt zurechtfinden und sich den Kopf über die Insel Manaar zerbrechen!

»Und warum sagen Sie nicht dem Kapitän, daß er . nun, den falschen Kurs steuert?«

Fox sah den Russen an.

»Monsieur Fandorin meint, das geht nicht.«

»Regnier spielt eindeutig va banque«, sagte der Diplomat eindringlich. »Er ist zu allem fähig. Wenn er es anordnet, wird der Steuermann in Arrest gesetzt. Wegen Renitenz. Vielleicht macht er sogar von der Waffe Gebrauch. Er ist der Kapitän. Sein Wort ist an Bord Gesetz. Außer uns dreien weiß niemand, was vorgeht. Wir brauchen einen Vertreter der Macht. Das sind Sie, Kommissar. Gehen wir nach oben!«

»Moment, Moment!« Coche griff sich an die Stirn. »Sie bringen mich ganz durcheinander. Ist dieser Regnier verrückt geworden?«

»Nein. Aber er will das Schiff vernichten. Und alle, die an Bord sind.«

»Warum? Wozu?«

Nein, das konnte nicht wahr sein, das war ein Alptraum.

Fandorin begriff, daß Coche nicht so leicht auf Trab zu bringen war, und wurde nun deutlicher.

»Ich habe nur eine Vermutung. Aber eine ungeheuerliche. Regnier will das Schiff und die Menschen darauf vernichten, um die Spuren eines Verbrechens zu verwischen. Schwer zu glauben, daß jemand so leichten Herzens den Tod Tausender Menschen in Kauf nimmt, nicht wahr? Denken Sie an die Rue de Grenelle, denken Sie an Sweetchild, und Sie werden erkennen, daß auf der Jagd nach dem Schatz von Brahmapur Menschenleben nicht viel wert sind.«

Coche schluckte.

»Auf der Jagd nach dem Schatz?«

»Ja.« Fandorin rang um Zurückhaltung. »Regnier ist der Sohn des Radschas Bagdassar. Ich hatte es mir gedacht, war mir aber nicht sicher. Jetzt gibt es keine Zweifel mehr.«

»Der Sohn? Quatsch! Der Radscha war ein Hindu, und Regnier ist ein waschechter Franzose.«

»Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß er weder Rind- noch Schweinefleisch ißt? Und warum nicht? Gewohnheit von Kindesbeinen an. In Indien gilt die Kuh als heiliges Tier, und die Muselmanen essen kein Schweinefleisch. Der Radscha war Inder, aber Anhänger des Islam.«

»Das kann andere Gründe haben«, sagte Coche achselzuckend. »Regnier erklärte, er halte sich an eine Diät.«

»Und sein dunkles Gesicht?«

»Ist auf den südlichen Meeren gebräunt.«

»Regnier hat in den letzten zwei Jahren die Linien London - New York und London - Stockholm befahren. Sie können Monsieur Fox fragen. Nein, Coche, Regnier ist zur Hälfte Inder. Die Frau Bagdassars war Französin, ihr Sohn wurde während des Sepoy-Aufstands in Europa erzogen, höchstwahrscheinlich in Frankreich, der Heimat seiner Mutter. Waren Sie schon mal bei Regnier in der Kabine?«

»Ja, er hatte mich eingeladen, wie auch andere.«

»Haben Sie das Photo auf dem Tisch gesehen? >Allzeit sieben Fuß unterm Kiel. Frangoise B.<«

»Ja. Seine Mutter.«

»Wenn sie seine Mutter ist, warum >B< und nicht >R<? Sohn und Mutter haben doch denselben Nachnamen.«

»Vielleicht hat sie nochmals geheiratet.«

»Möglich. Das konnte ich noch nicht überprüfen. Aber kann >Frangoise B.< nicht einfach >Frangoise Bagdassar< bedeuten? Wie in Europa üblich? Indische Radschas haben ja keinen Nachnamen.«

»Und woher der Name Regnier?«

»Keine Ahnung. Vielleicht hat er bei seiner Naturalisierung den Mädchennamen seiner Mutter angenommen.«

»Mutmaßungen«, fauchte Coche. »Kein einziges Faktum. Immer nur >vielleicht< oder >möglich<.«

»Zugegeben. Aber finden Sie Regniers Benehmen im Zusammenhang mit der Ermordung Sweetchilds nicht verdächtig? Erinnern Sie sich, wie er sich erbot, den Schal für Madame Kleber zu holen? Und dann bat er noch den Professor, nicht ohne ihn anzufangen. Ich vermute, daß Regnier in den wenigen Minuten seiner Abwesenheit den Abfalleimer anzündete und das Skalpell aus seiner Kabine holte.«

»Und wieso meinen Sie, daß er das Skalpell hatte?«

»Ich sagte Ihnen doch, daß das Bündel des Negers nach der Durchsuchung des Schiffs aus dem Boot verschwunden war. Und wer leitete die Durchsuchung? Regnier.«

Coche schüttelte zweifelnd den Kopf. Das Schiff machte eine Schlingerbewegung, und er prallte schmerzhaft mit der Schulter gegen den Türrahmen. Seine Laune wurde davon nicht besser.

»Erinnern Sie sich, wie Sweetchild damals anfing?« fuhr Fandorin fort, riß die Uhr aus der Tasche und sprach immer schneller. »Er sagte, er habe alles geklärt, das mit dem Tuch und das mit dem Sohn. Man müsse nur noch in den Listen der Ecole Maritime nachsehen. Das heißt, er hatte nicht nur das Geheimnis des Tuchs ergründet, sondern auch etwas Wichtiges über den Sohn des Radschas in Erfahrung gebracht. Zum Beispiel daß der an der Marseiller Seefahrtsschule studiert hatte. Die übrigens auch unser Regnier absolviert hat. Der Indologe erwähnte ein Telegramm, das er an einen Bekannten im französischen Innenministerium geschickt habe. Möglicherweise wollte Sweetchild etwas über das Schicksal des Jungen herausfinden. Er muß auch einiges erfahren haben, aber wohl nicht, daß Regnier der Erbe Bag- dassars ist, sonst würde er sich vorsichtiger verhalten haben.«

»Und was hat er über das Tuch herausgekriegt?« fragte Coche mit gierigem Interesse.

»Ich glaube, ich kann diese Frage beantworten. Aber nicht jetzt, später. Die Zeit drängt!«

»Sie meinen also, Regnier selbst hat den kleinen Brand inszeniert und die Panik genutzt, um dem Professor den Mund zu verschließen?« fragte Coche nachdenklich.

»Ja, verdammt noch mal, ja! Benutzen Sie doch Ihren Verstand! Wir haben wenig Beweise, ich weiß, aber in zwanzig Minuten läuft die >Leviathan< in die Meerenge ein!«

Doch der Kommissar zögerte noch.

»Die Arretierung eines Kapitäns auf offener See ist Meuterei. Warum schenken Sie der Mitteilung dieses Herrn Glauben?« Er wies mit dem Kinn auf den verrückten Baronet. »Der redet doch immerfort Blödsinn.«

Der rothaarige Engländer lachte verächtlich auf und betrachtete Coche wie eine Laus oder Assel. Einer Antwort würdigte er ihn nicht.

»Weil ich Regnier schon lange im Verdacht habe«, stieß der Russe hervor. »Und weil die Geschichte mit Kapitän Cliff mir sonderbar vorkam. Wieso mußte der Leutnant so lange telegraphische Verhandlungen mit der Reederei führen? Weil man in London nichts von dem Unglück von Cliffs Tochter wußte? Wer hat dann das Telegramm nach Bombay geschickt? Die Direktion des Pensionats? Die dürfte kaum so genau über die Fahrstrecke der >Leviathan< informiert gewesen sein. Hat vielleicht Regnier selbst die Depesche abgeschickt? In meinem Reiseführer steht, daß es in Bombay mindestens ein Dutzend Telegraphenpunkte gibt. Innerhalb der Stadt von einem Telegraphenpunkt zum nächsten zu telegraphieren ist ein leichtes.«