Выбрать главу

In dem sich entspinnenden Kampf tötete ich den Dunkelhäutigen, dann nutzte ich den halb ohnmächtigen Zustand von Madame Kleber, um dem Toten das Tuch unbemerkt abzunehmen. Seither habe ich es stets auf der Brust getragen und mich keinen Moment davon getrennt.

Den Mord an Professor Sweetchild habe ich kaltblütig verübt, mit einer Berechnung, die mich selbst begeisterte. Meine übernatürliche Voraussicht und Reaktionsschnelligkeit führe ich auf den magischen Einfluß des Tuchs zurück. Aus den ersten verworrenen Worten Sweetchilds ersah ich, daß er sich zum Geheimnis des Tuchs vorgearbeitet hatte und auf die Spur des Rad- scha-Sohnes gestoßen war - auf meine Spur. Ich mußte den Professor zum Schweigen bringen, und ich tat es. Das Tuch war mit mir zufrieden, das spürte ich daran, daß das Seidengewebe sich erwärmte und mein geschundenes Herz liebkoste.

Aber die Beseitigung Sweetchilds gab mir nur einen Aufschub. Sie, Kommissar, hatten mich schon von allen Seiten umstellt. Bis zur Ankunft in Kalkutta würden Sie und insbesondere Ihr scharfsinniger Assistent Fandorin .

Coche brummte unzufrieden und warf einen Seitenblick auf den Russen.

»Gratuliere, Monsieur. Ein Mörder würdigt Sie eines Kompliments. Immerhin danke, daß er Sie zu meinem Assistenten ernannt hat und nicht mich zu dem Ihren.«

Es läßt sich denken, mit welchem Vergnügen der Kommissar diese Zeile gestrichen hätte, um sie seinen Pariser Vorgesetzten vorzuenthalten. Aber aus einem Lied läßt sich kein Wort hinauswerfen. Renate sah den Russen an. Der zupfte an einer Schnurrbartspitze und bat den Kommissar fortzufahren.

. Ihr scharfsinniger Assistent Fandorin ganz sicher einen Verdächtigen nach dem anderen ausgeschlossen haben, und dann wäre nur noch ich übriggeblieben. Ein einziges Telegramm an die Einwanderungsbehörde des Innenministeriums hätte genügt, um herauszufinden, welchen Namen der Sohn des Rad- schas Bagdassar jetzt trägt. Und aus den Registern der Ecole

Maritime geht hervor, daß ich unter dem einen Namen dort eingetreten und unter einem anderen ausgeschieden bin.

Und da begriff ich, daß das leere Auge des Paradiesvogels nicht der Weg zu irdischer Glückseligkeit ist, sondern der Weg ins ewige NICHTS. Ich faßte den Entschluß, in den Abgrund zu gehen, aber nicht als jämmerlicher Verlierer, sondern als großer Radscha. Meine edlen Vorfahren sind niemals allein gestorben. Ihre Diener, Ehefrauen und Beischläferinnen folgten ihnen auf den Scheiterhaufen. Ich habe nicht als Herrscher gelebt, aber dafür werde ich sterben, wie es sich für einen wahren Herrscher ziemt - so mein Entschluß. Und auf meine letzte Reise nehme ich nicht Sklaven und Dienerinnen mit, sondern die Blüte der europäischen Gesellschaft. Mein Leichenwagen wird ein riesiges Schiff sein, ein Wunderwerk des europäischen technischen Fortschritts! Die Größe dieses Plans überwältigte mich. Das ist ja noch grandioser als der Besitz eines unermeßlichen Reichtums!

»Da lügt er«, sagte Coche heftig. »Uns wollte er ersäufen, aber für sich hatte er ein Boot bereitgehalten.«

Er nahm das letzte Blatt, das halbe.

Der Trick, den ich gegen Kapitän Cliff anwandte, war infam, das gebe ich zu. Zu meiner teilweisen Rechtfertigung kann ich sagen, daß ich einen so betrüblichen Ausgang nicht erwartet habe. Ich empfinde für Cliff aufrichtige Hochachtung. Ich wollte das Schiff in meine Gewalt bringen, und ich wollte dem großartigen Alten das Leben retten. Ich dachte: Er wird sich eine Zeitlang um seine Tochter sorgen, und dann zeigt sich, daß sie gesund und munter ist. Doch leider, das böse Verhängnis verfolgt mich in allem. Konnte ich vorhersehen, daß den Kapitän der Schlag trifft? Das verfluchte Tuch, es ist an allem schuld!

An dem Tag, an dem die »Leviathan« aus dem Hafen von Bombay auslief habe ich das bunte Seidendreieck verbrannt. Ich habe die Brücken hinter mir abgebrochen.

»Verbrannt?« rief Clarissa Stomp. »Das Tuch existiert nicht mehr?«

Renate saugte sich mit dem Blick an Bulldogge fest. Der zuckte gleichmütig die Achseln und sagte: »Gott sei Dank existiert es nicht mehr. Zum Teufel mit den Schätzen, das sage ich Ihnen, meine Damen und Herren.«

Was für ein Seneca hatte sich da gefunden! Renate rieb sich konzentriert das Kinn.

Es fällt Ihnen schwer, das zu glauben? Nun, als Beweis meiner Aufrichtigkeit gebe ich das Geheimnis des Tuchs preis. Dieses zu wahren ist nicht mehr notwendig.

Der Kommissar unterbrach sich und sah den Russen pfiffig an.

»Wenn ich mich recht entsinne, Monsieur, haben Sie in der letzten Nacht geprahlt, Sie hätten dieses Rätsel gelöst. Sagen Sie uns Ihre Lösung, dann werden wir prüfen, ob Sie so scharfsinnig sind, wie der Tote glaubte.«

Fandorin war kein bißchen verlegen.

»Es ist z-ziemlich einfach«, sagte er lässig.

Wie er sich aufspielt, dachte Renate, aber er ist gut. Ob er es wirklich herausgefunden hat?

»Also, was wissen wir über das Tuch? Es ist d-dreieckig, wobei die eine Seite glatt ist und die anderen beiden etwas gewellt sind. Erstens. Abgebildet ist ein Vogel, der statt des Auges ein L-loch hat. Zweitens. Sie werden sich an die Beschreibung des Brahmapurer Palastes erinnern, insbesondere des Obergeschosses: die Berge am Horizont, die sich in den Fresken zu spiegeln scheinen. D-drittens.«

»Ja, wir erinnern uns, na und?« fragte der Psychopath.

»Aber Sir Reginald«, sagte der Russe mit gespielter Verwunderung. »Wir beide haben doch die Z-zeichnung von Sweetchild gesehen! Darin war alles, was zur Enträtselung gebraucht wird: das dreieckige Tuch, die Zickzacklinie, das Wort >Palast<.«

Er zog ein Taschentuch heraus und faltete es in der Diagonale, so daß ein Dreieck entstand.

»Das Tuch ist der Sch-schlüssel, mit dessen Hilfe man das Versteck des Schatzes findet. Die Form des Tuches entspricht den Konturen eines der Berge, die auf den Fresken dargestellt sind. Man muß nur die obere Ecke des T-tuches an den Gipfel dieses Berges anlegen. So.« Er legte das Dreieck auf den Tisch und umfuhr es mit dem Finger. »Dann bezeichnet das Auge des Paradiesvogels die Stelle, wo man suchen muß. Natürlich nicht auf dem gemalten, sondern auf dem wirklichen Berg. Dort wird es eine Höhle oder etwas Ähnliches geben. Kommissar, habe ich recht oder irre ich mich?«

Alle wandten sich Coche zu. Der blies seine Hängebacken auf, zog die buschigen Augenbrauen zusammen und sah nun wirklich wie eine mürrische alte Bulldogge aus.

»Ich weiß nicht, wie Sie das fertigbringen«, knurrte er. »Ich habe diesen Text schon dort im Karzer gelesen und ihn keine Sekunde aus der Hand gegeben ... Na schön, hören Sie.«

Im Palast meines Vaters sind vier Säle, in denen früher die offiziellen Veranstaltungen stattfanden: im nördlichen Saal die des Winters, im südlichen die des Sommers, im östlichen die des Frühlings und im westlichen die des Herbstes. Sie werden sich erinnern, daß der verstorbene Sweetchild davon erzählte. An den Wänden sind tatsächlich Fresken, welche die Gebirgslandschaft darstellen, auf die man durch die hohen, vom Fußboden bis zur Decke reichenden Fenster blickt. Es sind viele Jahre vergangen, aber ich brauche nur die Augen zu schließen, um diese Landschaft vor mir zu haben. Ich habe viele Reisen gemacht und vieles gesehen, aber einen schöneren Anblick gibt es auf der ganzen Welt nicht! Mein Vater hat die Schatulle unter einem braunen Felsblock auf einem der Berge versteckt. Welcher der vielen Berge das ist, findet man heraus, indem man das Tuch nacheinander an die Berge auf den Fresken hält. Der Berg, dessen Silhouette sich mit der auf dem Tuch deckt, bewahrt den Schatz. Die Stelle, wo man den Felsblock zu suchen hat, wird durch das leere Vogelauge markiert. Natürlich wird selbst ein Mensch, der weiß, in welchem Sektor er suchen muß, viele Stunden oder gar Tage brauchen, um den Stein zu finden, denn die Suchzone umfaßt Hunderte Meter. Aber ein Irrtum ist ausgeschlossen. In den Bergen gibt es viele braune Felsblöcke, aber auf dem betreffenden Berghang nur einen. Das Staubkorn im Auge ist ein brauner Stein, einer unter lauter grauen<, lautet eine Eintragung im Koran. Viele Male habe ich mir vorgestellt, wie ich auf dem heiligen Berg mein Zelt aufschlage und ohne Hast, mit stockendem Herzschlag den Hang absuche, um dieses >Staubkorn< zu finden. Aber das Schicksal hat es anders gewollt.