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Du lieber Gott, hatte sie das wirklich laut sagen können? Darauf konnte sie wohl stolz sein.

Fandorin war im ersten Moment perplex, klapperte sogar ganz unromantisch mit den langen Wimpern. Dann sagte er - langsam und mehr als sonst stotternd: »Miss Stomp ... C-clarissa ... Sie gefallen mir. Sehr sogar. Ich bin von Ihnen h-hingerissen. Und ich b-beneide Sie.«

»Sie beneiden mich? Um was?« fragte sie verdutzt.

»Um Ihren Mut. Darum, daß Sie keine A-angst haben, eine Absage zu bekommen und sich lächerlich zu machen. W-wissen Sie, ich bin eigentlich ein sehr schüchterner Mensch mit wenig Selbstvertrauen.«

»Sie?« Clarissa staunte noch mehr.

»Ja. Ich habe F-furcht vor zwei Dingen: in eine lächerliche oder peinliche S-situation zu geraten und . meine Verteidigung zu schwächen.«

Nein, sie verstand ihn überhaupt nicht.

»Welche Verteidigung?«

»Schauen Sie, ich habe früh erfahren müssen, was ein V-verlust ist, es war eine tiefe Erschütterung - sicherlich fürs ganze Leben. Solange ich allein bin, ist meine V-verteidigung gegen das Schicksal stark, und ich fürchte nichts und niemanden. Für einen Menschen meiner Art ist es am besten, allein zu sein.«

»Mr. Fandorin, ich sagte Ihnen schon, daß ich keineswegs einen Platz in Ihrem Leben beanspruche«, antwortete Clarissa streng, »nicht einmal einen Platz in Ihrem Herzen. Und schon gar nicht plane ich einen Anschlag auf Ihre >Verteidigung<.«

Sie verstummte, denn es war alles gesagt.

Doch ausgerechnet in diesem Moment wurde gegen die Tür gehämmert. Im Korridor schallte die aufgeregte Stimme von Milford-Stokes: »Mr. Fandorin, Sir! Schlafen Sie? Machen Sie auf! Schnell! Eine Verschwörung!«

»Bleiben Sie hier«, flüsterte Fandorin. »Ich bin gleich wieder da.«

Er ging in den Korridor. Clarissa hörte gedämpfte Stimmen, konnte aber nichts verstehen.

Nach fünf Minuten war Fandorin wieder da. Er entnahm der Schreibtischschublade einen kleinen, aber schweren Gegenstand und steckte ihn in die Tasche, dann ergriff er noch seinen eleganten Rohrstock und sagte besorgt: »Bleiben Sie noch ein Weilchen hier und gehen Sie dann in Ihre Kabine. Der Fall scheint sich dem Finale zu nähern.«

Was für ein Finale mochte er meinen? Später, schon in ihrer Kabine, hörte Clarissa Schritte durch den Korridor poltern und Stimmen aufgeregt reden, aber sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß über den Masten der stolzen »Leviathan« der Tod schwebte.

»Was will Madame Kleber denn gestehen?« fragte Doktor Truffo nervös. »Monsieur Fandorin, erklären Sie uns, was vorgeht. Was hat sie damit zu tun?«

Aber Fandorin schwieg und guckte noch griesgrämiger.

Die »Leviathan«, unter den regelmäßigen Stößen der seitlich anrollenden Wellen schlingernd, zerschnitt mit Volldampf das nach dem Sturm trübe Wasser der Palkstraße. In der Ferne war, ein grüner Streifen, die Küste von Ceylon zu erkennen. Es war ein diesiger, doch schwüler Morgen. Durch die offenen Fenster der Windseite drang von Zeit zu Zeit ein faulig heißer Luftstrom in den Salon, fand aber keinen Ausweg und sank kraftlos in sich zusammen, wobei er die Stores ein wenig bewegte.

»Ich glaube, ich habe einen F-fehler gemacht«, murmelte Fandorin. »Die ganze Zeit bin ich einen Schritt, einen halben Schritt zurück hinter ...«

Als der erste Schuß krachte, begriff Clarissa nicht, was das war. Es konnte ja vieles krachen auf einem Schiff, das durch eine unruhige See lief. Aber da krachte es schon wieder.

»Revolverschüsse!« rief Milford-Stokes. »Aber wo?«

»In der Kabine des Kommissars!« sagte Fandorin rasch und stürzte zur Tür.

Alle liefen hinter ihm her.

Es krachte zum dritten und, als es nur noch zwanzig Schritte bis zu Coches Kabine waren, zum vierten Mal.

»Bleiben Sie hier stehen!« schrie Fandorin, ohne sich umzudrehen, und zog einen kleinen Revolver aus der Gesäßtasche.

Die anderen verlangsamten den Schritt, nur Clarissa hatte keine Angst und wollte nicht hinter Erast zurückbleiben.

Er stieß die Kabinentür auf und hob die Hand mit dem Revolver. Clarissa stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute ihm über die Schulter.

Ein umgestürzter Stuhl war das erste, was sie sah. Dann erblickte sie Kommissar Coche. Er lag hinter dem polierten runden Tisch in der Mitte des Raums. Clarissa bog den Hals, um den Liegenden besser zu sehen, und fuhr zusammen: Coches Gesicht war ungeheuerlich verzerrt, und mitten aus der Stirn quoll blasig dunkles Blut, das in zwei Rinnsalen zu Boden lief.

In der gegenüberliegenden Ecke drückte sich Renate Kleber an die Wand. Sie war totenbleich, schluchzte hysterisch, und ihre Zähne klapperten. In ihrer Hand zuckte ein großer schwarzer Revolver mit qualmender Mündung.

»Aah! Huuh!« heulte sie und zeigte mit zitterndem Finger auf den Toten. »Ich ... ich habe ihn getötet!«

»Ich dachte es mir«, sagte Fandorin bündig.

Ohne seinen Revolver zu senken, ging er schnell auf die

Schweizerin zu und riß ihr mit einer geschickten Bewegung die Waffe aus der Hand. Sie dachte nicht an Widerstand.

»Doktor Truffo!« rief er, wobei er jede Bewegung Renates beobachtete. »Kommen Sie her!«

Der Arzt äugte mit furchtsamer Neugier in die von Pulverqualm erfüllte Kabine.

»Untersuchen Sie die Leiche«, sagte Fandorin.

Truffo, halblaut auf italienisch wehklagend, kniete neben dem toten Coche nieder.

»Letale Kopfverletzung«, meldete er. »Der Tod ist sofort eingetreten. Aber das ist nicht alles . Der rechte Ellbogen ist durchschossen. Und hier, das linke Handgelenk. Drei Wunden.«

»Suchen Sie weiter. Es waren vier Sch-schüsse.«

»Mehr ist nicht. Eine der Kugeln hat ihn wohl verfehlt. Doch nein, Moment mal! Da, im rechten Knie!«

»Ich sage alles«, stammelte Renate, von Schluchzen gebeutelt, »nur bringen Sie mich weg aus diesem entsetzlichen Zimmer!«

Fandorin steckte den kleinen Revolver in die Tasche, den großen legte er auf den Tisch.

»Also, gehen wir. Doktor, berichten Sie dem Chef der Wache, was passiert ist, er soll einen Posten vor die Tür stellen. Und kommen Sie dann zu uns in den Salon. Außer uns kann niemand die Untersuchung durchführen.«

»Was für eine schreckliche Reise!« jammerte Truffo, während er den Korridor entlangtrippelte. »Arme >Leviathan<!«

Im Salon »Windsor« nahmen sie folgendermaßen Platz: Madame Kleber am Tisch mit dem Gesicht zur Tür, die übrigen, ohne sich abgesprochen zu haben, ihr gegenüber. Nur Fan- dorin saß auf dem Stuhl neben der Mörderin.

»Meine Herren, sehen Sie mich nicht so an«, rief Madame Kleber kläglich. »Ich habe ihn getötet, aber ich bin nicht schuldig. Ich erzähle Ihnen alles, und Sie werden mir zustimmen. Aber geben Sie mir um Gottes willen ein Glas Wasser.«

Der mitleidige Japaner goß ihr Limonade ein - der Tisch war nach dem Frühstück noch nicht abgeräumt worden.

»Also, was ist passiert?« fragte Clarissa.

»Translate everything she says«, befahl Mrs. Truffo streng ihrem rechtzeitig zurückgekehrten Mann. »Everything, word for word.«*

Der Doktor nickte und wischte sich mit dem Taschentuch die schweißbedeckte Glatze.

»Fürchten Sie nichts, gnädige Frau. Sagen Sie die ganze Wahrheit«, ermunterte Milford-Stokes Madame Kleber. »Dieser Herr ist kein Gentleman, er versteht sich nicht auf den Umgang mit einer Dame, aber ich garantiere Ihnen eine achtungsvolle Haltung.«