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«Was meinst du», fragte ich Lykon, «ist Periander hier erschlagen worden?» Lykon nickte. Ich entdeckte eine Träne in seinen Augen. Die Sache schien ihm nahezugehen.

Ich beschloss weiterzuziehen und entließ die jungen Soldaten. Hier gab es für sie nichts mehr zu bewachen und für uns nichts zu entdecken.

«Zu Perianders Vaterhaus, aber langsam und in Ruhe», befahl ich dem Wagenlenker beim Aufsteigen. Er sah mich an, als hätte ich etwas Unanständiges gesagt.

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unser weg führte uns am Tempel des Olympischen Zeus vorbei zur Stadt hinaus. Ich liebte diesen groß und prächtig angelegten, aber seit Jahrzehnten unvollendeten Tempel, auch wenn der Bau stillstand, seit ich denken konnte. Mit dem Ende des Krieges gegen Persien hatten die Athener die Arbeiten begonnen, mit Beginn des Krieges gegen Sparta brach man sie ab, und ebenso wenig, wie ein Ende des Krieges abzusehen war, war mit der Vollendung des Bauwerkes zu rechnen. Was das größte Heiligtum der Stadt werden sollte, stand nun ungeweiht im klaren Licht der Sonne, und die höchsten Marmorsäulen, die Hellas je erblickt hatte, ragten in die Höhe, ohne ein Dach zu tragen.

Vom Tor aus verließ unser Fahrer die inneren Stadtmauern. Er folgte der Straße nach Kephisia, bis er an einem Pinienhain abbog, in dessen Schutz und von außen beinahe unsichtbar eine hohe Mauer aufragte. Wir bogen ab und kamen an ein Tor.

«Da ist es», sagte er mürrisch und hielt den Wagen an. Am Tor standen zwei Wachen mit Schilden und Äxten. Ihre Waffen, die Beinkleider, die nur von Barbaren getragen wurden, und ihr helles Haar verrieten sie als Söldner, vermutlich Kelten aus den nördlichen Ländern.

«Was wollt ihr?», fragte einer der Barbaren in feindlichem Ton, noch ehe wir richtig angekommen waren. Seine blauen Augen blitzten kalt.

Ich stieg von unserem Wagen und ging auf ihn zu.

«Ich bin Nikomachos, der Hauptmann der Bogenschützen», sagte ich, «Alkibiades, der Hegemon, schickt uns, um mit dieser Familie zu trauern und ihr seinen Arm zur Hilfe anzubieten.» Ich gab der Wache meine Vollmacht und eine Münze, damit sie mein Anliegen mit Wohlwollen vortragen würde. Der Söldner nickte und hieß uns zu warten - jetzt schon ein wenig freundlicher. Er verschwand hinter dem Tor.

«Wie lange wird es wohl dauern?», fragte ich den zweiten Kelten nach einer Weile. Er war ein Hüne mit roten Zöpfen und wildem Gesicht, aber er sah nur starr vor sich hin und blieb stumm. Vielleicht verstand er mich noch nicht einmal.

Es dauerte lange, bis sich die Flügel des Tores auftaten und ein vornehmer und augenscheinlich reicher Athener uns empfing. Er war etwa fünfzig Jahre alt, seine Haltung war aufrecht und gebieterisch. Eine Tonsur im grauen Haar verriet uns die aristokratische Abstammung und wies ihn, für jedermann erkennbar, als Gegner der Volksherrschaft aus; die Oligarchen machten keinen Hehl aus ihrer Gesinnung. Ungeachtet der Hitze trug er nicht nur einen blauen Chiton, sondern darüber einen purpurfarbenen Kurzmantel, den Chlamys. Er betrachtete mich verächtlich. Erst als er Lykon sah, wurde sein Gesicht ein wenig freundlicher.

«Ich bin Kritias! Hauptmann, was störst du die Trauer dieses Hauses?»

Ich muss erbleicht sein, und Kritias quittierte es mit einem hochmütigen Lächeln, lernte ich an diesem Tag doch einen dritten Mann kennen, vor dem man zittern musste - mehr allerdings, als mir damals bewusst war. Kritias - jedes Kind in Athen kannte diesen Namen.

«Alkibiades, der Hegemon von Athen, schickt uns, edler Kritias, um die Trauer um Periander mit dieser Familie zu teilen und die Hilfe der Polis anzubieten», sagte ich unterwürfig. «Ich soll mich in den Dienst dieser Familie stellen, um den Mörder ihres Sohnes zu finden. Das ist meine Aufgabe. Wenn ich sie nicht erfülle, ist mein Leben verwirkt.»

Kritias antwortete nicht und sah an mir vorbei auf den Zweispänner. Gerne hätte ich gewusst, was in ihm vorging, aber er schien es gewohnt zu sein, seine Gefühle hinter einem unbeweglichen Gesicht verborgen zu halten. Erst ein leichtes Nicken seines Kopfes zeigte, dass er mit seinen Überlegungen zu einem Schluss gekommen war. Er trat zur Seite und bat uns herein.

Ich bedeutete Lykon mitzukommen und wandte mich an den Wächter, den Kritias verständigt hatte: «Gleich wird ein Arzt kommen. Er gehört zu mir. Lass ihn herein.»

Der Barbar nickte.

Kritias führte uns über einen mit weißen Kieseln bedeckten Fußweg durch einen üppig blühenden Garten. Das Landhaus, zu dem wir kamen, gehört zu den größten, die ich je gesehen habe. An seiner Front ragten Säulen empor, die das zweite Stockwerk trugen und einen Balkon hielten, wie es oft an Tempeln und Palästen, kaum aber an Wohnhäusern zu sehen war. Die Stirn des Hauses zierte ein Relief. Das gesamte Anwesen war in leuchtendem Karmesin gestrichen. Es war prächtig, aber bei allem Reichtum blieb es doch ein trauerndes Haus. Noch bevor wir durch das Eingangsportal traten, hörten wir die Frauen klagen, wie nur sie es vermögen.

«Perianders Mutter und seine beiden Schwestern halten die Totenwache», erklärte uns Kritias. «Sein Vater sitzt im Innenhof. Wir werden zuerst zu ihm gehen.»

Kritias führte uns zu einem alten, gebeugten Mann mit einem vollständig ausdruckslosen Gesicht. Er erhob sich, als wir näher kamen, aber grüßte nur mit einem leichten Nicken. Seine Augen waren trüb und sein Mund bitter. Perianders Vater. Ich stellte mich vor und kondolierte in Alkibiades' und in meinem Namen. Dann eröffnete ich ihm vorsichtig, wieso ich da war und den Leichnam seines Sohnes sehen wollte. Kritias wich zurück, als er meine Bitte vernahm. Sie hatte auch etwas gänzlich Unerhörtes, aber Perianders Vater war zu sehr von seinem Verlust getroffen, um dies zu empfinden, geschweige denn sich zu empören oder mir irgendeinen Widerstand entgegenzusetzen.

Er führte mich stumm ins Haus. Kritias und Lykon blieben zurück. Der arme Junge hatte ängstlich darum gebeten, draußen warten zu dürfen. Er wollte den Toten nicht sehen. Das könne er nicht, wie er mir bleich gestand.

Das Wehklagen wurde lauter, während wir in den oberen Stock des Anwesens gingen. Dort lag Periander in seiner Schlafkammer aufgebahrt. Als Perianders Vater die Tür öffnete, drangen die Klagen der Frauen wie das Geheul von Sirenen an mein Ohr. Es war offenbar: Diese Familie hatte alles verloren, was ihr wichtig war: ihren Stolz, ihre Hoffnung und ihre Zukunft. Ich sah es im leeren Gesicht des Vaters und hörte es im Wehgeschrei der Mutter.

Es war nicht leicht, die Frauen aus dem Zimmer zu bringen. Immer wieder warf sich die weinende Mutter auf den Körper des To-ten und klammerte sich an ihm fest, während Perianders Schwestern sie zurückzuhalten versuchten. Nur der natürliche Gehorsam gegenüber dem Mann und Familienoberhaupt brachte sie schließlich dazu, für einen Moment von ihrem Sohn abzulassen. Als ihre Töchter sie aus der Kammer brachten, sank sie hinter der Schwelle mit einem einzigen tiefen Schluchzen in sich zusammen.

Ich schloss die Tür hinter den Frauen. Nun waren der Vater und ich allein mit dem Toten. Das Zimmer zeigte sich schmucklos und streng, strenger und schmuckloser, als ich es erwartet hatte.

Periander lag aufgebahrt und bekleidet auf einem einfachen Bett. Noch im Tod sah man, wie schön er gewesen sein musste. Jetzt aber war seine Haut bläulich und durchsichtig, die Wangen eingefallen, der Körper erstarrt. An seiner rechten Hand fiel mir ein weißer Kreis auf, der um den Mittelfinger lief. Dort hatte ein Ring das Licht der Sonne abgeschirmt. Darüber verliefen zwei kleine Striemen.