Ursache des» Altruismus«. — Von der Liebe haben die Menschen im Ganzen desshalb so emphatisch und vergöttlichend gesprochen, weil sie Wenig davon gehabt haben und sich niemals an dieser Kost satt essen durften: so wurde sie ihnen» Götterkost«. Möge ein Dichter einmal im Bilde einer Utopie die allgemeine Menschenliebe als vorhanden zeigen: gewiss, er wird einen qualvollen und lächerlichen Zustand zu beschreiben haben, dessengleichen die Erde noch nicht sah, — Jedermann nicht von Einem Liebenden umschwärmt, belästigt und ersehnt, wie es jetzt vorkommt, sondern von Tausenden, ja von Jedermann, vermöge eines unbezwingbaren Triebes, den man dann ebenso beschimpfen und verfluchen wird, wie es die ältere Menschheit mit der Selbstsucht gethan hat; und die Dichter jenes Zustandes, wenn man ihnen zum Dichten die Ruhe lässt, von Nichts träumend als von der seligen liebelosen Vergangenheit, der göttlichen Selbstsucht, der einstmals auf Erden noch möglichen Einsamkeit, Ungestörtheit, Unbeliebtheit, Gehasstheit, Verachtetheit und wie immer die ganze Niedertracht unserer lieben Thierwelt heisst, in der wir leben.
Ausblick in die Ferne. — Sind nur die Handlungen moralisch, wie man wohl definirt hat, welche um des Anderen willen und nur um seinetwillen gethan werden, so giebt es keine moralischen Handlungen! Sind nur die Handlungen moralisch — wie eine andere Definition lautet — , welche in Freiheit des Willens gethan werden, so giebt es ebenfalls keine moralischen Handlungen! — Und was ist also Das, was man so nennt und das doch jedenfalls existirt und erklärt sein will? Es sind die Wirkungen einiger intellectueller Fehlgriffe. — Und gesetzt, man machte sich von diesen Irrthümern frei, was würde aus den» moralischen Handlungen«? — Vermöge dieser Irrthümer theilten wir bisher einigen Handlungen einen höheren Werth zu, als sie haben: wir trennten sie von den» egoistischen «und den» unfreien «Handlungen ab. Wenn wir sie jetzt diesen wieder zuordnen, wie wir thun müssen, so verringern wir gewiss ihren Werth (ihr Werthgefühl), und zwar unter das billige Maass hinab, weil die» egoistischen «und» unfreien «Handlungen bisher zu niedrig geschätzt wurden, auf Grund jener angeblichen tiefsten und innerlichsten Verschiedenheit. — So werden gerade sie von jetzt ab weniger oft gethan werden, weil sie von nun an weniger geschätzt werden? — Unvermeidlich! Wenigstens für eine gute Zeit, so lange die Wage des Werthgefühls unter der Reaction früherer Fehler steht! Aber unsere Gegenrechnung ist die, dass wir den Menschen den guten Muth zu den als egoistisch verschrieenen Handlungen zurückgeben und den Werth derselben wiederherstellen, — wir rauben diesen das böse Gewissen! Und da diese bisher weit die häufigsten waren und in alle Zukunft es sein werden, so nehmen wir dem ganzen Bilde der Handlungen und des Lebens seinen bösen Anschein! Diess ist ein sehr hohes Ergebniss! Wenn der Mensch sich nicht mehr für böse hält, hört er auf, es zu sein!
Drittes Buch
Kleine abweichende Handlungen thun noth! — In den Angelegenheiten der Sitte auch einmal wider seine bessere Einsicht handeln; hier in der Praxis nachgeben und sich die geistige Freiheit vorbehalten; es so machen wie Alle und damit Allen eine Artigkeit und Wohlthat erweisen, zur Entschädigung gleichsam für das Abweichende unserer Meinungen: — das gilt bei vielen leidlich freigesinnten Menschen nicht nur als unbedenklich, sondern als» honett«,»human«,»tolerant«,»nicht pedantisch«, und wie die schönen Worte lauten mögen, mit denen das intellectuelle Gewissen in Schlaf gesungen wird: und so bringt Dieser sein Kind zur christlichen Taufe herzu und ist dabei Atheist, und Jener thut Kriegsdienste wie alle Welt, so sehr er auch den Völkerhass verdammt, und ein Dritter läuft mit einem Weibchen in die Kirche, weil es eine fromme Verwandtschaft hat, und macht Gelübde vor einem Priester, ohne sich zu schämen.»Es ist nicht wesentlich, wenn Unsereiner auch thut, was Alle immerdar thun und gethan haben«— so klingt das grobe Vorurtheil! Der grobe Irrthum! Denn es giebt nichts Wesentlicheres, als wenn das bereits Mächtige, Altherkömmliche und vernunftlos Anerkannte durch die Handlung eines anerkannt Vernünftigen noch einmal bestätigt wird: damit erhält es in den Augen Aller, die davon hören, die Sanction der Vernunft selber! Alle Achtung vor eueren Meinungen! Aber kleine abweichende Handlungen sind mehr werth!
Der Zufall der Ehen. — Wäre ich ein Gott, und ein wohlwollender Gott, so würden mich die Ehen der Menschen mehr als alles Andere ungeduldig machen. Weit, weit kann ein Einzelner vorwärts kommen, in seinen siebenzig, ja in seinen dreissig Jahren, — es ist zum Erstaunen, selbst für Götter! Aber sieht man dann, wie er das Erbe und Vermächtniss dieses Ringens und Siegens, den Lorber seiner Menschlichkeit, an den ersten besten Ort aufhängt, wo ihn ein Weiblein zerpflückt; sieht man, wie gut er zu erringen, wie schlecht zu bewahren versteht, ja wie er gar nicht daran denkt, dass er vermittelst der Zeugung ein noch siegreicheres Leben vorbereiten könne: so wird man, wie gesagt, ungeduldig und sagt sich» es kann aus der Menschheit auf die Dauer Nichts werden, die Einzelnen werden verschwendet, der Zufall der Ehen macht alle Vernunft eines grossen Ganges der Menschheit unmöglich; — hören wir auf, die eifrigen Zuschauer und Narren dieses Schauspiels ohne Ziel zu sein!«— In dieser Stimmung zogen sich einstmals die Götter Epikur's in ihre göttliche Stille und Seligkeit zurück: sie waren der Menschen und ihrer Liebeshändel müde.
Hier sind neue Ideale zu erfinden. — Es sollte nicht erlaubt sein, im Zustande der Verliebtheit einen Entschluss über sein Leben zu fassen und einer heftigen Grille wegen den Charakter seiner Gesellschaft ein für allemal festzusetzen: man sollte die Schwüre der Liebenden öffentlich für ungültig erklären und ihnen die Ehe verweigern: — und zwar, weil man die Ehe unsäglich wichtiger nehmen sollte! so dass sie in solchen Fällen, wo sie bisher zu Stande kam, für gewöhnlich gerade nicht zu Stande käme! Sind nicht die meisten Ehen der Art, dass man keinen Dritten als Zeugen wünscht? Und gerade dieser Dritte fehlt fast nie — das Kind — und ist mehr als ein Zeuge, nämlich der Sündenbock!
Eidformel. — »Wenn ich jetzt lüge, so bin ich kein anständiger Mensch mehr, und Jeder soll es mir in's Gesicht sagen dürfen.«— Diese Formel empfehle ich an Stelle des gerichtlichen Eides und der üblichen Anrufung Gottes dabei: sie ist stärker. Auch der Fromme hat keinen Grund, sich ihr zu widersetzen: sobald nämlich der bisherige Eid nicht mehr hinreichend nützt, muss der Fromme auf seinen Katechismus hören, welcher vorschreibt» du sollst den Namen Gottes deines Herrn nicht unnützlich führen!»