Die Bösen und die Musik. — Sollte die volle Seligkeit der Liebe, welche im unbedingten Vertrauen liegt, jemals anderen Personen zu Theil geworden sein, als tief misstrauischen, bösen und galligen? Diese nämlich geniessen in ihr die ungeheure, nie geglaubte und glaubliche Ausnahme ihrer Seele! Eines Tages kommt jene gränzenlose, traumhafte Empfindung über sie, gegen die sich ihr ganzes, übriges heimliches und sichtbares Leben abhebt: wie ein köstliches Räthsel und Wunder, voll goldenen Glanzes und über alle Worte und Bilder hinaus. Das unbedingte Vertrauen macht stumm; ja, selbst ein Leiden und eine Schwere ist in diesem seligen Stumm-werden, wesshalb auch solche vom Glück gedrückte Seelen der Musik dankbarer zu sein pflegen, als alle anderen und besseren: denn durch die Musik hindurch sehen und hören sie, wie durch einen farbigen Rauch, ihre Liebe gleichsam ferner, rührender und weniger schwer geworden; Musik ist ihnen das einzige Mittel, ihrem ausserordentlichen Zustande zuzuschauen und mit einer Art von Entfremdung und Erleichterung erst seines Anblicks theilhaft zu werden. Jeder Liebende denkt bei der Musik:»Sie redet von mir, sie redet an meiner Statt, sie weiss Alles!«—
Der Künstler. — Die Deutschen wollen durch den Künstler in eine Art erträumter Passion kommen; die Italiäner wollen durch ihn von ihren wirklichen Passionen ausruhen; die Franzosen wollen von ihm Gelegenheit, ihr Urtheil zu beweisen, und Anlässe zum Reden haben. Also seien wir billig!
Mit seinen Schwächen als Künstler schalten. — Wenn wir durchaus Schwächen haben sollen und sie als Gesetze über uns endlich auch anerkennen müssen, so wünsche ich Jedem wenigstens so viel künstlerische Kraft, dass er aus seinen Schwächen die Folie seiner Tugenden und durch seine Schwächen uns begehrlich nach seinen Tugenden zu machen verstehe: Das, was in so ausgezeichnetem Maasse die grossen Musiker verstanden haben. Wie häufig ist in Beethoven's Musik ein grober rechthaberischer, ungeduldiger Ton, bei Mozart eine Jovialität biederer Gesellen, bei der Herz und Geist ein Wenig fürlieb nehmen müssen, bei Richard Wagner eine abspringende und zudringende Unruhe, bei der dem Geduldigsten die gute Laune eben abhanden kommen wilclass="underline" da aber kehrt er zu seiner Kraft zurück, und ebenso Jene; sie Alle haben uns mit ihren Schwächen einen Heisshunger nach ihren Tugenden und eine zehnmal empfindlichere Zunge für jeden Tropfen tönenden Geistes, tönender Schönheit, tönender Güte gemacht.
Der Betrug bei der Demüthigung. — Du hast deinem Nächsten mit deiner Unvernunft ein tiefes Leid zugefügt und ein unwiederbringliches Glück zerstört — und nun gewinnst du es über deine Eitelkeit, zu ihm zu gehen, du demüthigst dich vor ihm, giebst deine Unvernunft vor ihm der Verachtung preis und meinst, nach dieser harten, für dich äusserst beschwerlichen Scene sei im Grunde alles wieder in Ordnung gebracht, — deine freiwillige Einbusse an Ehre gleiche die unfreiwillige Einbusse des Andern an Glück aus: mit diesem Gefühle gehst du erhoben und in deiner Tugend wiederhergestellt davon. Aber der Andere hat sein tiefes Leid wie vorher, es liegt ihm gar nichts Tröstliches darin, dass du unvernünftig bist und es gesagt hast, er erinnert sich sogar des peinlichen Anblicks, den du ihm gegeben hast, als du dich vor ihm selbst verachtetest, wie einer neuen Wunde, welche er dir verdankt, — aber er denkt nicht an Rache und begreift nicht, wie zwischen dir und ihm Etwas ausgeglichen werden könnte. Im Grunde hast du jene Scene vor dir selber aufgeführt und für dich selber: du hattest einen Zeugen dazu eingeladen, deinetwegen wiederum und nicht seinetwegen, — betrüge dich nicht!
Würde und Furchtsamkeit. — Die Ceremonien, die Amts- und Standestrachten, die ernsten Mienen, das feierliche Dreinschauen, die langsame Gangart, die gewundene Rede und Alles überhaupt, was Würde heisst: das ist die Verstellungsform Derer, welche im Grunde furchtsam sind, — sie wollen damit fürchten machen (sich oder Das, was sie repräsentiren). Die Furchtlosen, das heisst ursprünglich: die jederzeit und unzweifelhaft Fürchterlichen haben Würde und Ceremonien nicht nöthig, sie bringen die Ehrlichkeit, das Geradezu in Worten und Gebärden in Ruf und noch mehr in Verruf, als Anzeichen der selbstbewussten Fürchterlichkeit.
Moralität des Opfers. — Die Moralität, welche sich nach der Aufopferung bemisst, ist die der halbwilden Stufe. Die Vernunft hat da nur einen schwierigen und blutigen Sieg innerhalb der Seele, es sind gewaltige Gegentriebe niederzuwerfen; ohne eine Art Grausamkeit, wie bei den Opfern, welche kanibalische Götter verlangen, geht es dabei nicht ab.
Wo Fanatismus zu wünschen ist. — Phlegmatische Naturen sind nur so zu begeistern, dass man sie fanatisirt.
Das gefürchtete Auge. — Nichts wird von Künstlern, Dichtern und Schriftstellern mehr gefürchtet, als jenes Auge, welches ihren kleinen Betrug sieht, welches nachträglich wahrnimmt, wie oft sie an dem Gränzwege gestanden haben, wo es entweder zur unschuldigen Lust an sich selber oder zum Effect-machen abführte; welches ihnen nachrechnet, wenn sie Wenig für Viel verkaufen wollten, wenn sie zu erheben und zu schmücken suchten, ohne selber erhoben zu sein; welches den Gedanken durch allen Trug ihrer Kunst hindurch so sieht, wie er zuerst vor ihnen stand, vielleicht wie eine entzückende Lichtgestalt, vielleicht aber auch als ein Diebstahl an aller Welt, als ein Alltags-Gedanke, den sie dehnen, kürzen, färben, einwickeln, würzen mussten, um Etwas aus ihm zu machen, anstatt dass der Gedanke Etwas aus ihnen machte, — oh dieses Auge, welches alle eure Unruhe, euer Spähen und Gieren, euer Nachmachen und überbieten (diess ist nur ein neidisches Nachmachen) eurem Werke anmerkt, welches eure Schamröthe so gut kennt, wie eure Kunst, diese Röthe zu verbergen und vor euch selber umzudeuten!
Das Erhebende «am Unglück des Nächsten. — Er ist im Unglück, und nun kommen die» Mitleidigen «und malen ihm sein Unglück aus, — endlich gehen sie befriedigt und erhoben fort: sie haben sich an dem Entsetzen des Unglücklichen wie an dem eigenen Entsetzen geweidet und sich einen guten Nachmittag gemacht.
Mittel, um schnell verachtet zu werden. — Ein Mensch, der schnell und viel spricht, sinkt ausserordentlich tief in unserer Achtung, nach dem kürzesten Verkehre, und selbst wenn er verständig spricht, — nicht nur in dem Maasse als er lästig fällt, sondern weit tiefer. Denn wir errathen, wie vielen Menschen er schon lästig gefallen ist, und rechnen zu dem Missbehagen, das er macht, noch die Missachtung hinzu, welche wir für ihn voraussetzen.