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299.

Anschein des Heroismus. — Sich mitten unter die Feinde werfen, kann das Merkmal der Feigheit sein.

300.

Gnädig gegen den Schmeichler. — Die letzte Klugheit der unersättlich Ehrgeizigen ist, ihre Menschenverachtung nicht merken zu lassen, welche der Anblick der Schmeichler ihnen einflösst: sondern gnädig auch gegen sie zu erscheinen, wie ein Gott, der nicht anders als gnädig sein kann.

301.

«Charaktervoll«. —»Was ich einmal gesagt habe, das thue ich«— diese Denkweise gilt als charaktervoll. Wie viele Handlungen werden gethan, nicht weil sie als die vernünftigsten ausgewählt worden sind, sondern weil sie, als sie uns einfielen, auf irgend welche Art unsere Ehrsucht und Eitelkeit gereizt haben, sodass wir dabei verbleiben und sie blindlings durchsetzen! So mehren sie bei uns selber den Glauben an unseren Charakter und unser gutes Gewissen, also, im Ganzen, unsere Kraft: während das Auswählen des möglichst Vernünftigen die Skepsis gegen uns und dermaassen ein Gefühl der Schwäche in uns unterhält.

302.

Einmal, zweimal und dreimal wahr! — Die Menschen lügen unsäglich oft, aber sie denken hinterher nicht daran und glauben im Ganzen nicht daran.

303.

Kurzweil des Menschenkenners. — Er glaubt mich zu kennen und fühlt sich fein und wichtig, wenn er so und so mit mir verkehrt: ich hüte mich, ihn zu enttäuschen. Denn ich würde es zu entgelten haben, während er mir jetzt wohlwill, da ich ihm ein Gefühl der wissenden Überlegenheit verschaffe. — Da ist ein Anderer: der fürchtet sich, dass ich mir einbilde, ihn zu kennen, und sieht sich dabei erniedrigt. So beträgt er sich schauerlich und unbestimmt und sucht mich über sich in die Irre zu führen, — um sich über mich wieder zu erheben.

304.

Die WeltVernichter. — Diesem gelingt Etwas nicht; schliesslich ruft er empört aus:»so möge doch die ganze Welt zu Grunde gehen!«Dieses abscheuliche Gefühl ist der Gipfel des Neides, welcher folgert: weil ich Etwas nicht haben kann, soll alle Welt Nichts haben! soll alle Welt Nichts sein.

305.

Geiz. — Unser Geiz beim Kaufen nimmt mit der Wohlfeilheit der Gegenstände zu, — warum? Ist es, dass die kleinen Preis-Unterschiede eben erst das kleine Auge des Geizes machen?

306.

Griechisches Ideal. — Was bewunderten die Griechen an Odysseus? Vor Allem die Fähigkeit zur Lüge und zur listigen und furchtbaren Wiedervergeltung; den Umständen gewachsen sein; wenn es gilt, edler erscheinen als der Edelste; sein können, was man will; heldenhafte Beharrlichkeit; sich alle Mittel zu Gebote stellen; Geist haben — sein Geist ist die Bewunderung der Götter, sie lächeln, wenn sie daran denken — : diess Alles ist griechisches Ideal! Das Merkwürdigste daran ist, dass hier der Gegensatz von Scheinen und Sein gar nicht gefühlt und also auch nicht sittlich angerechnet wird. Gab es je so gründliche Schauspieler!

307.

Facta! Ja Facta ficta. — Ein Geschichtsschreiber hat es nicht mit dem, was wirklich geschehen ist, sondern nur mit den vermeintlichen Ereignissen zu thun: denn nur diese haben gewirkt. Ebenso nur mit den vermeintlichen Helden. Sein Thema, die sogenannte Weltgeschichte, sind Meinungen über vermeintliche Handlungen und deren vermeintliche Motive, welche wieder Anlass zu Meinungen und Handlungen geben, deren Realität aber sofort wieder verdampft und nur als Dampf wirkt, — ein fortwährendes Zeugen und Schwangerwerden von Phantomen über den tiefen Nebeln der unergründlichen Wirklichkeit. Alle Historiker erzählen von Dingen, die nie existirt haben, ausser in der Vorstellung.

308.

Sich nicht auf den Handel verstehen ist vornehm. — Seine Tugend nur zum höchsten Preise verkaufen oder gar mit ihr Wucher treiben, als Lehrer, Beamter, Künstler, — macht aus Genie und Begabung eine Krämer-Angelegenheit. Mit seiner Weisheit soll man nun einmal nicht klug sein wollen!

309.

Furcht und Liebe. — Die Furcht hat die allgemeine Einsicht über den Menschen mehr gefördert, als die Liebe, denn die Furcht will errathen, wer der Andere ist, was er kann, was er wilclass="underline" sich hierin zu täuschen, wäre Gefahr und Nachtheil. Umgekehrt hat die Liebe einen geheimen Impuls, in dem Andern so viel Schönes als möglich zu sehen oder ihn sich so hoch als möglich zu heben: sich dabei zu täuschen, wäre für sie eine Lust und ein Vortheil — und so thut sie es.

310.

Die Gutmüthigen. — Die Gutmüthigen haben ihr Wesen durch die beständige Furcht erlangt, welche ihre Voreltern vor fremden Übergriffen gehabt haben, — sie milderten, beschwichtigten, baten ab, beugten vor, zerstreuten, schmeichelten, duckten sich, verbargen den Schmerz, den Verdruss, glätteten sofort wieder ihre Züge — und zuletzt vererbten sie diesen ganzen zarten und wohlgespielten Mechanismus auf ihre Kinder und Enkel. Diesen gab ein günstigeres Geschick keinen Anlass zu jener beständigen Furcht: nichtsdestoweniger spielen sie beständig auf ihrem Instrumente.

311.

Die sogenannte Seele. — Die Summe innerer Bewegungen, welche dem Menschen leicht fallen und die er in Folge dessen gerne und mit Anmuth thut, nennt man seine Seele; — er gilt als seelenlos, wenn er Mühe und Härte bei inneren Bewegungen merken lässt.

312.

Die Vergesslichen. — In den Ausbrüchen der Leidenschaft und im Phantasiren des Traumes und des Irrsinns entdeckt der Mensch seine und der Menschheit Vorgeschichte wieder: die Thierheit mit ihren wilden Grimassen; sein Gedächtniss greift einmal weit genug rückwärts, während sein civilisirter Zustand sich aus dem Vergessen dieser Urerfahrungen, also aus dem Nachlassen jenes Gedächtnisses entwickelt. Wer als ein Vergesslicher höchster Gattung allem Diesen immerdar sehr fern geblieben ist, versteht die Menschen nicht, — aber es ist ein Vortheil für Alle, wenn es hier und da solche Einzelne giebt, welche» sie nicht verstehen «und die gleichsam aus göttlichem Samen gezeugt und von der Vernunft geboren sind.