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464.

Scham des Schenkenden. — Es ist so ungrossmüthig, immer den Gebenden und Schenkenden zu machen und dabei sein Gesicht zu zeigen! Aber geben und schenken und seinen Namen und seine Gunst verhehlen! Oder keinen Namen haben, wie die Natur, in der uns eben Diess mehr als Alles erquickt, hier endlich einmal nicht mehr einem Schenkenden und Gebenden, nicht mehr einem» gnädigen Gesichte «zu begegnen! — Freilich, ihr verscherzt euch auch diese Erquickung, denn ihr habt einen Gott in diese Natur gesteckt — und nun ist wieder Alles unfrei und beklommen! Wie? Niemals mit sich allein sein dürfen? Nie mehr unbewacht, unbehütet, ungegängelt, unbeschenkt? Wenn immer ein Anderer um uns ist, so ist das Beste von Muth und Güte in der Welt unmöglich gemacht. Möchte man nicht gegen diese Zudringlichkeit des Himmels, gegen diesen unvermeidlichen übernatürlichen Nachbar ganz des Teufels werden! — Aber es ist nicht nöthig, es war ja nur ein Traum! Wachen wir auf!

465.

Bei einer Begegnung. — A: Wohin blickst du? Du stehst so lange schon still hier. — B: Immer das Alte und das Neue! Die Hülfsbedürftigkeit einer Sache reisst mich so weit und so tief in sie hinein, dass ich endlich ihr dabei auf den Grund komme und einsehe, dass sie nicht gar so viel werth ist. Am Ende aller solcher Erfahrungen steht eine Art Trauer und Starrheit. Diess erlebe ich alle Tage im Kleinen zu dreien Malen.

466.

Verlust im Ruhme. — Welcher Vorzug, als ein Unbekannter zu den Menschen reden zu dürfen!» Die Hälfte unserer Tugend «nehmen uns die Götter, wenn sie uns das Incognito nehmen und uns berühmt machen.

467.

Zweimal Geduld! — »Damit machst du vielen Menschen Schmerz.«— Ich weiss es; und weiss auch diess, dass ich doppelt dafür leiden muss, einmal durch Mitleid an ihrem Leide und dann durch die Rache, die sie an mir nehmen werden. Aber trotzdem ist es nicht weniger nöthig, so zu thun, wie ich thue.

468.

Das Reich der Schönheit ist grösser. — Wie wir in der Natur herumgehen, listig und froh, um die Allem eigene Schönheit zu entdecken und gleichsam auf der That zu ertappen, wie wir bald bei Sonnenschein, bald bei gewitterhaftem Himmel, bald in der bleichsten Dämmerung einen Versuch machen, jenes Stück Küste mit Felsen, Meerbuchten, Ölbäumen und Pinien so zu sehen, wie es zu seiner Vollkommenheit und Meisterschaft kommt: so sollten wir auch unter den Menschen umhergehen, als ihre Entdecker und Ausspäher, Gutes und Böses ihnen erweisend, damit die ihnen eigene Schönheit sich offenbare, welche bei Diesem sonnenhaft, bei Jenem gewitterhaft und bei einem Dritten erst in der halben Nacht und bei Regenhimmel sich entfaltet. Ist es denn verboten, den bösen Menschen als eine wilde Landschaft zu geniessen, die ihre eigenen kühnen Linien und Lichtwirkungen hat, wenn der selbe Mensch, solange er sich gut und gesetzlich stellt, unserm Auge wie eine Verzeichnung und Carricatur erscheint und als ein Flecken in der Natur uns Pein macht? — Ja, es ist verboten: bisher war es nur erlaubt, im Moralisch-Guten nach Schönheit zu suchen, — Grund genug, dass man so Wenig gefunden und sich so viel nach imaginären Schönheiten ohne Knochen hat umthun müssen! — So gewiss es hundert Arten von Glück bei den Bösen giebt, von denen die Tugendhaften Nichts ahnen, so giebt es an ihnen auch hundert Arten von Schönheit: und viele sind noch nicht entdeckt.

469.

Die Unmenschlichkeit des Weisen. — Bei dem schweren, Alles zermalmenden Gange des Weisen, welcher, nach dem buddhistischen Liede,»einsam wandelt wie das Rhinozeros«, — bedarf es von Zeit zu Zeit der Zeichen einer versöhnlichen und gemilderten Menschlichkeit: und zwar nicht nur jener schnelleren Schritte, jener artigen und geselligen Wendungen des Geistes, nicht nur des Witzes und einer gewissen Selbstverspottung, sondern selbst er Widersprüche, der gelegentlichen Rückfälle in die herrschende Ungereimtheit. Damit er nicht der Walze gleiche, welche wie das Verhängniss daherrollt, muss der Weise, der lehren will, seine Fehler zu seiner Beschönigung gebrauchen, und indem er sagt» verachtet mich!«, bittet er um die Gunst, der Fürsprecher einer anmaasslichen Wahrheit zu sein. Er will euch in's Gebirge führen, er wird euer Leben vielleicht in Gefahr bringen: dafür überlässt er es euch willig, vorher und nachher, an einem solchen Führer Rache zu nehmen, — es ist der Preis, um den er sich selber den Genuss macht, voranzugehen. — Gedenkt ihr dessen, was euch durch den Sinn gieng, als er euch einmal durch eine finstere Höhle auf schlüpfrigen Wegen geleitete? Wie euer Herz, klopfend und missmuthig, sich sagte:»dieser Führer da könnte Besseres thun, als hier herumzukriegen! Er gehört zu einer neugierigen Art von Müssiggängern: — ist es nicht schon zu viel Ehre für ihn, dass wir ihm überhaupt einen Werth zuzuerkennen scheinen, indem wir ihm folgen?»

470.

Am Gastmahle Vieler. — Wie glücklich ist man, wenn man so genährt wird, wie die Vögel, aus der Hand Eines, der den Vögeln ausstreut, ohne sie genauer anzusehen und auf ihre Würdigkeit zu prüfen! Zu leben als ein Vogel, der kommt und fortfliegt und keinen Namen im Schnabel trägt! So am Gastmahle Vieler mich zu sättigen, ist meine Freude.

471.

Eine andere Nächstenliebe. — Das aufgeregte, lärmende, ungleiche, nervöse Wesen macht den Gegensatz zur grossen Leidenschaft: diese, wie eine stille düstere Gluth im Innern wohnend und dort alles Heisse und Hitzige sammelnd, lässt den Menschen nach Aussen hin kalt und gleichgültig blicken und drückt den Zügen eine gewisse Impassibilität auf. Solche Menschen sind gelegentlich wohl der Nächstenliebe fähig, — aber sie ist anderer Art, als die der Geselligen und Gefallsüchtigen: es ist eine milde, betrachtsame, gelassene Freundlichkeit; sie blicken gleichsam aus den Fenstern ihrer Burg hinaus, die ihre Festung und eben dadurch ihr Gefängniss ist: — der Blick in's Fremde, Freie, in das Andere thut ihnen so wohl!

472.

Sich nicht rechtfertigen. — A: Aber warum willst du dich nicht rechtfertigen? — B: Ich könnte es, hierin und in hundert Dingen, aber ich verachte das Vergnügen, das in der Rechtfertigung liegt: denn diese Dinge sind für mich nicht gross genug, und lieber will ich Flecken an mir tragen, als jenen Kleinlichen zu ihrer hämischen Freude verhelfen, dass sie sagen könnten:»er nimmt diese Dinge doch sehr wichtig!«Diess ist eben nicht wahr! Vielleicht müsste mir noch mehr an mir selber gelegen sein, um eine Pflicht zu haben, fehlerhafte Vorstellungen über mich zu berichtigen; — ich bin zu gleichgültig und träge gegen mich und so auch gegen Das, was durch mich gewirkt wird.

473.

Wo man sein Haus bauen soll. — Wenn du in der Einsamkeit dich gross und fruchtbar fühlst, so wird dich die Geselligkeit verkleinern und veröden: und umgekehrt. Machtvolle Milde, wie die eines Vaters: — wo diese Stimmung dich ergreift, da gründe dein Haus, sei es nun im Gewühl oder in der Stille. Ubi pater sum, ibi patria.

474.

Die einzigen Wege. — »Dialektik ist der einzige Weg, um zu den göttlichen Wesen und hinter den Schleier der Erscheinung zu gelangen«— diess behauptet Plato ebenso feierlich und leidenschaftlich, als es Schopenhauer von dem Gegensatze der Dialektik behauptet, — und Beide haben Unrecht. Denn es giebt Das gar nicht, zu dem hin sie einen Weg uns zeigen wollen. — Und waren nicht alle grossen Leidenschaften der Menschheit bisher solche Leidenschaften für ein Nichts? Und alle ihre Feierlichkeiten — Feierlichkeiten um ein Nichts?