Der Beweis einer Vorschrift. — Im Allgemeinen wird die Güte oder Schlechtigkeit einer Vorschrift, zum Beispiel der, Brod zu backen, so bewiesen, dass das in ihr versprochene Resultat sich ergiebt oder nicht ergiebt, vorausgesetzt, dass sie genau ausgeführt wird. Anders steht es jetzt mit den moralischen Vorschriften: denn hier sind gerade die Resultate nicht zu übersehen, oder deutbar und unbestimmt. Diese Vorschriften ruhen auf Hypothesen von dem allergeringsten wissenschaftlichen Werthe, deren Beweis und deren Widerlegung aus den Resultaten im Grunde gleich unmöglich ist: — aber einstmals, bei der ursprünglichen Rohheit aller Wissenschaft und den geringen Ansprüchen, die man machte, um ein Ding für erwies en zu nehmen, — einstmals wurde die Güte oder Schlechtigkeit einer Vorschrift der Sitte ebenso festgestellt wie jetzt die jeder anderen Vorschrift: durch Hinweisung auf den Erfolg. Wenn bei den Eingeborenen in Russisch-Amerika die Vorschrift gilt: du sollst keinen Thierknochen in's Feuer werfen oder den Hunden geben, — so wird sie so bewiesen:»thue es und du wirst kein Glück auf der Jagd haben. «Nun aber hat man in irgend einem Sinne fast immer» kein Glück auf der Jagd«; es ist nicht leicht möglich, die Güte der Vorschrift auf diesem Wege zu widerlegen, namentlich wenn eine Gemeinde und nicht ein Einzelner als Träger der Strafe gilt; vielmehr wird immer ein Umstand eintreten, welcher die Vorschrift zu beweisen scheint.
Sitte und Schönheit. — Zu Gunsten der Sitte sei nicht verschwiegen, dass bei Jedem, der sich ihr völlig und von ganzem Herzen und von Anbeginn an unterwirft, die Angriffs- und Vertheidigungsorgane — die körperlichen und geistigen — verkümmern: das heisst, er wird zunehmend schöner! Denn die Übung jener Organe und der ihnen entsprechenden Gesinnung ist es, welche hässlich erhält und hässlicher macht. Der alte Pavian ist darum hässlicher, als der junge, und der weibliche junge Pavian ist dem Menschen am ähnlichsten: also am schönsten. — Hiernach mache man einen Schluss auf den Ursprung der Schönheit der Weiber!
Die Thiere und die Moral. — Die Praktiken, welche in der verfeinerten Gesellschaft gefordert werden: das sorgfältige Vermeiden des Lächerlichen, des Auffälligen, des Anmaassenden, das Zurückstellen seiner Tugenden sowohl, wie seiner heftigeren Begehrungen, das Sich-gleich-geben, Sich-einordnen, Sich-verringern, — diess Alles als die gesellschaftliche Moral ist im Groben überall bis in die tiefste Thierwelt hinab zu finden, — und erst in dieser Tiefe sehen wir die Hinterabsicht aller dieser liebenswürdigen Vorkehrungen: man will seinen Verfolgern entgehen und im Aufsuchen seiner Beute begünstigt sein. Desshalb lernen die Thiere sich beherrschen und sich in der Weise verstellen, dass manche zum Beispiel ihre Farben der Farbe der Umgebung anpassen (vermöge der sogenannten» chromatischen Function«), dass sie sich todt stellen oder die Formen und Farben eines anderen Thieres oder von Sand, Blättern, Flechten, Schwämmen annehmen (Das, was die englischen Forscher mit mimicry bezeichnen). So verbirgt sich der Einzelne unter der Allgemeinschaft des Begriffes» Mensch «oder unter der Gesellschaft, oder passt sich an Fürsten, Stände, Parteien, Meinungen der Zeit oder der Umgebung an: und zu allen den feinen Arten, uns glücklich, dankbar, mächtig, verliebt zu stellen, wird man leicht das thierische Gleichniss finden. Auch jenen Sinn für Wahrheit, der im Grunde der Sinn für Sicherheit ist, hat der Mensch mit dem Thiere gemeinsam: man will sich nicht täuschen lassen, sich nicht durch sich selber irre führen lassen, man hört dem Zureden der eigenen Leidenschaften misstrauisch zu, man bezwingt sich und bleibt gegen sich auf der Lauer; diess Alles versteht das Thier gleich dem Menschen, auch bei ihm wächst die Selbstbeherrschung aus dem Sinn für das Wirkliche (aus der Klugheit) heraus. Ebenfalls beobachtet es die Wirkungen, die es auf die Vorstellung anderer Thiere ausübt, es lernt von dort aus auf sich zurückblicken, sich» objectiv «nehmen, es hat seinen Grad von Selbsterkenntniss. Das Thier beurtheilt die Bewegungen seiner Gegner und Freunde, es lernt ihre Eigenthümlichkeiten auswendig, es richtet sich auf diese ein: gegen Einzelne einer bestimmten Gattung giebt es ein für allemal den Kampf auf und ebenso erräth es in der Annäherung mancher Arten von Thieren die Absicht des Friedens und des Vertrags. Die Anfänge der Gerechtigkeit, wie die der Klugheit, Mässigung, Tapferkeit, — kurz Alles, was wir mit dem Namen der sokratischen Tugenden bezeichnen, ist thierhaft: eine Folge jener Triebe, welche lehren, nach Nahrung zu suchen und den Feinden zu entgehen. Erwägen wir nun, dass auch der höchste Mensch sich eben nur in der Art seiner Nahrung und in dem Begriffe dessen, was ihm Alles feindlich ist, erhoben und verfeinert hat, so wird es nicht unerlaubt sein, das ganze moralische Phänomen als thierhaft zu bezeichnen.
Der Werth im Glauben an übermenschliche Leidenschaften. — Die Institution der Ehe hält hartnäckig den Glauben aufrecht, dass die Liebe, obschon eine Leidenschaft, doch als solche der Dauer fähig sei, ja dass die dauerhafte lebenslängliche Liebe als Regel aufgestellt werden könne. Durch diese Zähigkeit eines edlen Glaubens, trotzdem dass derselbe sehr oft und fast in der Regel widerlegt wird und somit eine pia fraus ist, hat sie der Liebe einen höheren Adel gegeben. Alle Institutionen, welche einer Leidenschaft Glauben an ihre Dauer und Verantwortlichkeit der Dauer zugestehen, wider das Wesen der Leidenschaft, haben ihr einen neuen Rang gegeben: und Der, welcher von einer solchen Leidenschaft nunmehr befallen wird, glaubt sich nicht, wie früher, dadurch erniedrigt oder gefährdet, sondern vor sich und seines Gleichen gehoben. Man denke an Institutionen und Sitten, welche aus der feurigen Hingebung des Augenblicks die ewige Treue geschaffen haben, aus dem Gelüst des Zornes die ewige Rache, aus Verzweiflung die ewige Trauer, aus dem plötzlichen und einmaligen Worte die ewige Verbindlichkeit. Jedesmal ist sehr viel Heuchelei und Lüge durch eine solche Umschaffung in die Welt gekommen: jedesmal auch, und um diesen Preis, ein neuer übermenschlicher, den Menschen hebender Begriff.
Die Stimmung als Argument. — Was ist die Ursache freudiger Entschlossenheit zur That? — Diese Frage hat die Menschen viel beschäftigt. Die älteste und immer noch geläufige Antwort ist: Gott ist die Ursache, er giebt uns dadurch zu verstehen, dass er unserem Willen zustimmt. Wenn man ehemals die Orakel über ein Vorhaben befragte, wollte man von ihnen jene freudige Entschlossenheit heimbringen; und jeder beantwortete einen Zweifel, wenn ihm mehrere mögliche Handlungen vor der Seele standen, so.-»ich werde Das thun, wobei jenes Gefühl sich einstellt. «Man entschied sich also nicht für das Vernünftigste, sondern für ein Vorhaben, bei dessen Bilde die Seele muthig und hoffnungsvoll wurde. Die gute Stimmung wurde als Argument in die Wagschale gelegt und überwog die Vernünftigkeit: desshalb, weil die Stimmung abergläubisch ausgelegt wurde, als Wirkung eines Gottes, der Gelingen verheisst und durch sie seine Vernunft als die höchste Vernünftigkeit reden lässt. Nun erwäge man die Folgen eines solchen Vorurtheils, wenn kluge und machtdurstige Männer sich seiner bedienten — und bedienen!» Stimmung machen!«— damit kann man alle Gründe ersetzen und alle Gegengründe besiegen!