Nicht fordern! — Ihr kennt ihn nicht! Ja, er unter wirft sich leicht und frei den Menschen und den Dingen, und ist gütig gegen Beide; seine einzige Bitte ist, in Ruhe gelassen zu werden, — aber nur solange Menschen und Dinge nicht Unterwerfung fordern. Alles Fordern macht ihn stolz, scheu und kriegerisch.
Der Böse. — »Nur der Einsame ist böse, «rief Diderot: und sogleich fühlte sich Rousseau tödtlich verletzt. Folglich gestand er sich zu, dass Diderot Recht habe. In der That hat jeder böse Hang inmitten der Gesellschaft und Geselligkeit so viel Zwang sich anzuthun, so viel Larven vorzunehmen, so oft sich selbst in das Prokrustes-Bett der Tugend zu legen, dass man recht wohl von einem Märtyrerthum des Bösen reden könnte. In der Einsamkeit fällt diess Alles dahin. Wer böse ist, ist es am meisten in der Einsamkeit: auch am besten — und folglich für das Auge Dessen, der überall nur ein Schauspiel sieht, auch am schönsten.
Wider den Strich. — Ein Denker kann sich Jahre lang zwingen, wider den Strich zu denken: ich meine, nicht den Gedanken zu folgen, die sich ihm von Innen her anbieten, sondern denen, zu welchen ein Amt, eine vorgeschriebene Zeiteintheilung, eine willkürliche Art von Fleiss ihn zu verpflichten scheinen. Endlich aber wird er krank: denn diese anscheinend moralische Überwindung verdirbt seine Nervenkraft ebenso gründlich, wie es nur eine zur Regel gemachte Ausschweifung thun könnte.
Sterbliche Seelen! — In Betreff der Erkenntniss ist vielleicht die nützlichste Errungenschaft: dass der Glaube an die unsterbliche Seele aufgegeben ist. Jetzt darf die Menschheit warten, jetzt hat sie nicht mehr nöthig, sich zu überstürzen und halbgeprüfte Gedanken hinunterzuwürgen, wie sie ehedem musste. Denn damals hieng das Heil der armen» ewigen Seele «von ihren Erkenntnissen während des kurzen Lebens ab, sie musste sich von heut zu morgen entscheiden, — die» Erkenntniss «hatte eine entsetzliche Wichtigkeit! Wir haben den guten Muth zum Irren, Versuchen, Vorläufig-nehmen wieder erobert — es ist Alles nicht so wichtig! — und gerade desshalb können Individuen und Geschlechter jetzt Aufgaben von einer Grossartigkeit in's Auge fassen, welche früheren Zeiten als Wahnsinn und Spiel mit Himmel und Hölle erschienen sein würden. Wir dürfen mit uns selber experimentiren! Ja die Menschheit darf es mit sich! Die grössten Opfer sind der Erkenntniss noch nicht gebracht worden, — ja, es wäre früher Gotteslästerung und Preisgeben des ewigen Heils gewesen, solche Gedanken auch nur zu ahnen, wie sie unserem Thun jetzt voranlaufen.
Ein Wort für drei verschiedene Zustände. — In der Leidenschaft bricht bei Diesem das wilde, scheussliche, unausstehliche Thier hervor; Jener erhebt sich durch sie in eine Höhe und Grösse und Pracht der Gebärde, gegen die sein sonstiges Sein dürftig erscheint. Ein Dritter, durch und durch veredelt, hat auch den edelsten Sturm und Drang, er ist in diesem Zustande die wildschöne Natur und nur um einen Grad tiefer, als die grosse ruhig-schöne Natur, welche er für gewöhnlich darstellt: aber von den Menschen wird er in der Leidenschaft mehr begriffen und gerade dieser Momente wegen mehr verehrt, — er ist ihnen da einen Schritt näher und verwandter. Sie empfinden Entzücken und Entsetzen bei einem solchen Anblick und nennen ihn gerade da: göttlich.
Freundschaft. — Jener Einwand gegen das philosophische Leben, dass man mit ihm seinen Freunden unnützlich werde, wäre nie einem Modernen gekommen: er ist antik. Das Alterthum hat die Freundschaft tief und stark ausgelebt, ausgedacht und fast mit sich in's Grab gelegt. Diess ist sein Vorsprung vor uns: dagegen haben wir die idealisirte Geschlechtsliebe aufzuweisen. Alle grossen Tüchtigkeiten der antiken Menschen hatten darin ihren Halt, dass Mann neben Mann stand, und dass nicht ein Weib den Anspruch erheben durfte, das Nächste, Höchste, ja Einzige seiner Liebe zu sein, — wie die Passion zu empfinden lehrt. Vielleicht wachsen unsere Bäume nicht so hoch, wegen des Epheu's und der Weinreben daran.
Versöhnen! — Sollte es denn die Aufgabe der Philosophie sein, zwischen dem, was das Kind gelernt und der Mann erkannt hat, zu versöhnen? Sollte die Philosophie gerade die Aufgabe der Jünglinge sein, weil diese in der Mitte zwischen Kind und Mann stehen und das mittlere Bedürfniss haben? Fast will es so scheinen, wenn man erwägt, in welchen Lebensaltern die Philosophen jetzt ihre Conception zu machen pflegen: dann, wenn es zum Glauben zu spät und zum Wissen noch zu früh ist.
Die Praktischen. — Wir Denker haben den Wohlgeschmack aller Dinge erst festzustellen und nöthigenfalls ihn zu decretiren. Die praktischen Leute nehmen ihn endlich von uns an, ihre Abhängigkeit von uns ist unglaublich gross und das lächerlichste Schauspiel der Welt, so wenig sie um dieselbe wissen und so stolz sie über uns Unpraktische hinwegzureden lieben: ja sie würden ihr praktisches Leben geringschätzen, wenn wir es geringschätzen wollten: — wozu uns hier und da ein kleines Rachegelüst reizen könnte.
Die nöthige Austrocknung alles Guten. — Wie! Man müsse ein Werk gerade so auffassen, wie die Zeit, die es hervorbrachte? Aber man hat mehr Freude, mehr Erstaunen und auch mehr zu lernen daran, wenn man es gerade nicht so auffasst! Habt ihr nicht gemerkt, dass jedes neue gute Werk, so lange es in der feuchten Luft seiner Zeit liegt, seinen mindesten Werth besitzt, — gerade weil es so sehr noch den Geruch des Marktes und der Gegnerschaft und der neuesten Meinungen und alles Vergänglichen zwischen heut und morgen an sich trägt? Später trocknet es aus, seine» Zeitlichkeit «stirbt ab — und dann erst bekommt es seinen tiefen Glanz und Wohlgeruch, ja, wenn es darnach ist, sein stilles Auge der Ewigkeit.
Gegen die Tyrannei des Wahren. — Selbst wenn wir so toll wären, alle unsere Meinungen für wahr zu halten, so würden wir doch nicht wollen, dass sie allein existirten — : ich wüsste nicht, warum die Alleinherrschaft und Allmacht der Wahrheit zu wünschen wäre; mir genügte schon, dass sie eine grosse Macht habe. Aber sie muss kämpfen können und eine Gegnerschaft haben, und man muss sich von ihr im Unwahren ab und zu erholen können, — sonst wird sie uns langweilig, kraft- und geschmacklos werden und uns eben dazu auch machen.
Nicht pathetisch nehmen. — Das, was wir thun, um uns zu nützen, soll uns keinen moralischen Lobspruch eintragen, weder von Anderen, noch von uns selber; ebenso wenig Das, was wir thun, um uns an uns zu freuen. In solchen Fällen das Pathetisch-nehmen abweisen und sich selber alles Pathetischen enthalten, ist der gute Ton bei allen höheren Menschen: und wer sich an ihn gewöhnt hat, dem ist die Naivität wiedergeschenkt.
Das dritte Auge. — Wie! du bedarfst noch des Theaters! Bist du noch so jung? Werde klug und suche die Tragödie und Komödie dort, wo sie besser gespielt wird! Wo es interessanter und interessirter zugeht! Ja, es ist nicht ganz leicht, dabei eben nur Zuschauer zu bleiben, — aber lerne es! Und fast in allen Lagen, die dir schwer und peinlich fallen, hast du dann ein Pförtchen zur Freude und eine Zuflucht, selbst noch, wenn deine eigenen Leidenschaften über dich herfallen. Mache dein Theater-Auge auf, das grosse dritte Auge, welches durch die zwei anderen in die Welt schaut!
Seinen Tugenden entlaufen. — Was liegt an einem Denker, wenn er nicht gelegentlich seinen eigenen Tugenden zu entlaufen weiss! Er soll ja» nicht nur ein moralisches Wesen «sein!