Die Versucherin. — Die Ehrlichkeit ist die grosse Versucherin aller Fanatiker. Was sich Luthern in Gestalt des Teufels oder eines schönen Weibes zu nahen schien und was er auf jene ungeschlachte Manier von sich abwehrte, war wohl die Ehrlichkeit und vielleicht, in seltneren Fällen, sogar die Wahrheit.
Gegen die Sachen muthig. — Wer seiner Natur nach gegen Personen rücksichtsvoll oder ängstlich ist, aber seinen Muth gegen die Sachen hat, scheut sich vor neuen und näheren Bekanntschaften und beschränkt seine alten: damit sein Incognito und seine Rücksichtslosigkeit in der Wahrheit zusammenwachsen.
Schranke und Schönheit. — Suchst du Menschen mit schöner Cultur? Aber dann musst du dir, wie wenn du schöne Gegenden suchst, auch beschränkte Aussichten und Ansichten gefallen lassen. — Gewiss giebt es auch panoramatische Menschen, gewiss sind sie, wie die panoramatischen Gegenden, lehrreich und erstaunlich: aber nicht schön.
An die Stärkeren. — Ihr stärkeren und hochmüthigen Geister, nur um Eins seid gebeten: legt uns Anderen keine neue Last auf, sondern nehmt Etwas von unserer Last auf euch, da ihr ja die Stärkeren seid! Aber ihr macht es so gerne umgekehrt: denn ihr wollt fliegen, und desshalb sollen wir auch noch eure Last zur unsren tragen: das heisst, wir sollen kriechen!
Zunahme der Schönheit. — Warum nimmt die Schönheit mit der Civilisation zu? Weil bei dem civilisirten Menschen die drei Gelegenheiten zur Hässlichkeit selten und immer seltener kommen: erstens die Affecte in ihren wildesten Ausbrüchen, zweitens die leiblichen Anstrengungen des äussersten Grades, drittens die Nöthigung, durch den Anblick Furcht einzuflössen, welche auf niederen und gefährdeten Culturstufen so gross und häufig ist, dass sie selbst Gebärden und Ceremoniell festsetzt und die Hässlichkeit zur Pflicht macht.
Seinen Dämon nicht in die Nächsten fahren lassen! — Bleiben wir immerhin für unsere Zeit dabei, dass Wohlwollen und Wohlthun den guten Menschen ausmache; nur lasst uns hinzufügen:»vorausgesetzt, dass er zuerst gegen sich selber wohlwollend und wohlthuend gesinnt sei!«Denn ohne Dieses — wenn er vor sich flieht, sich hasst, sich Schaden zufügt — ist er gewiss kein guter Mensch. Dann rettet er sich nur in die Anderen, vor sich selber: mögen diese Anderen zusehen, dass sie nicht schlimm dabei fahren, so wohl er ihnen anscheinend auch will! — Aber gerade Diess: das ego fliehen und hassen und im Anderen, für den Anderen leben — hat man bisher, ebenso gedankenlos als zuversichtlich,»unegoistisch «und folglich» gut «geheissen!
Zur Liebe verführen. — Wer sich selber hasst, den haben wir zu fürchten, denn wir werden die Opfer seines Grolls und seiner Rache sein. Sehen wir also zu, wie wir ihn zur Liebe zu sich selber verführen!
Resignation. — Was ist Ergebung? Es ist die bequemste Lage eines Kranken, der sich lange unter Martern herumgeworfen hat, um sie zu finden, der dadurch müde ward — und sie nun auch fand!
Betrogen werden. — Sobald ihr handeln wollt, müsst ihr die Thür zum Zweifel verschliessen, — sagte ein Handelnder. — Und du fürchtest dich nicht, auf diese Weise der Betrogene zu werden? — antwortete ein Beschaulicher.
Die ewige Todtenfeier. — Es könnte Jemand über die Geschichte weg eine fortgesetzte Grabrede zu hören glauben: man begrub und begräbt immer sein Liebstes, Gedanken und Hoffnungen, und erhielt und erhält Stolz dafür, gloria mundi, das heisst, den Pomp der Leichenrede. Damit soll Alles gut gemacht werden! Und der Leichenredner ist immer noch der grösste öffentliche Wohlthäter!
Ausnahme-Eitelkeit. — Jener hat Eine hohe Eigenschaft, zu seinem Troste: über den Rest seines Wesens — es ist fast Alles Rest! — gleitet sein Blick verächtlich hin. Aber er erholt sich von sich selber, wenn er wie zu seinem Heiligthume geht; schon der Weg dahin dünkt ihm wie ein Aufsteigen auf breiten sanften Stufen: — und ihr Grausamen nennt ihn desshalb eitel!
Die Weisheit ohne Ohren. — Täglich zu hören, was über uns gesprochen wird, oder gar zu ergrübeln, was über uns gedacht wird, — das vernichtet den stärksten Mann. Darum lassen uns ja die Anderen leben, um täglich über uns Recht zu behalten! Sie würden uns ja nicht aushalten, wenn wir gegen sie Recht hätten oder gar haben wollten! Kurz, bringen wir der allgemeinen Verträglichkeit das Opfer, horchen wir nicht hin, wenn über uns geredet, gelobt, getadelt, gewünscht, gehofft wird, denken wir auch nicht einmal daran!
Hinterfragen. — Bei Allem, was ein Mensch sichtbar werden lässt, kann man fragen: was soll es verbergen? Wovon soll es den Blick ablenken? Welches Vorurtheil soll es erregen? Und dann noch: bis wie weit geht die Feinheit dieser Verstellung? Und worin vergreift er sich dabei?
Eifersucht der Einsamen. — Zwischen geselligen und einsamen Naturen ist dieser Unterschied (vorausgesetzt, dass beide Geist haben!): die ersteren werden zufrieden oder beinahe zufrieden mit einer Sache, welche sie auch sei, von dem Augenblicke an, da sie eine mittheilbare glückliche Wendung über dieselbe in ihrem Geiste gefunden haben, — das versöhnt sie mit dem Teufel selber! Die Einsamen aber haben ihr stilles Entzücken, ihre stille Qual an einer Sache, sie hassen die geistreiche glänzende Ausstellung ihrer innersten Probleme, wie sie die allzugewählte Tracht an ihrer Geliebten hassen: sie sehen dann melancholisch auf sie hin, wie als ob der Verdacht ihnen aufstiege, dass sie Anderen gefallen wolle! Diess ist die Eifersucht aller einsamen Denker und leidenschaftlichen Träumer auf den esprit.
Wirkung des Lobes. — Die Einen werden durch grosses Lob schamhaft, die Anderen frech.
Nicht Symbol sein wollen. — Ich beklage die Fürsten: es ist ihnen nicht erlaubt, sich zeitweilig im Verkehre zu annulliren und so lernen sie die Menschen nur aus einer unbequemen Lage und Verstellung kennen; der fortwährende Zwang, Etwas zu bedeuten, macht sie zuletzt thatsächlich zu feierlichen Nullen. — Und so geht es Allen, welche ihre Pflicht darin sehen, Symbole zu sein.
Die Versteckten. — Habt ihr jene Menschen noch nicht gefunden, welche auch ihr entzücktes Herz festhalten und pressen und welche lieber stumm werden, als dass sie die Scham des Maasses verlören? — Und jene Unbequemen und oft so Gutartigen fandet ihr auch noch nicht, welche nicht erkannt werden wollen, und die ihre Fusstapfen im Sande immer wieder verwischen, ja die Betrüger sind, vor Anderen und vor sich, um verborgen zu bleiben?
Seltnere Enthaltsamkeit. — Es ist oft kein geringes Zeichen von Humanität, einen Andern nicht beurtheilen zu wollen und sich zu weigern, über ihn zu denken.
Wodurch Menschen und Völker Glanz bekommen. — Wie viele ächte individuelle Handlungen werden desshalb unterlassen, weil man, bevor man sie thut, einsieht oder argwöhnt, dass sie missverstanden werden! — also gerade jene Handlungen, welche überhaupt Werth haben, im Guten und Schlimmen. Je höher also eine Zeit, ein Volk die Individuen achtet und je mehr man ihnen das Recht und Übergewicht zugesteht, um so mehr Handlungen jener Art werden sich an's Licht wagen — und so breitet sich zuletzt ein Schimmer von Ehrlichkeit, von Ächtheit im Guten und Schlimmen über ganzen Zeiten und Völkern aus, dass sie, wie zum Beispiel die Griechen, nach ihrem Untergange noch Jahrtausende lang gleich manchen Sternen fortleuchten.