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Irgendwann drehte er sich zur Seite, kroch zum Stein und legte ihn frei. Beim Graben zerriss er Würmer mit den Fingern, Käfer liefen über seine Arme. Den geborgenen Stein teilte er, dann noch einmal. Die Hammerschläge schwammen durch seinen Körper und wurden bald zum langgezogenen metallischen Klang. Wenn er auf den Stein eindrosch, lag er drei Schritte entfernt im Gras, dösend, so wenig spürte er sich. Zeit war Licht, das kam und ging. Begann die Nacht, fand ein letzter Rest in ihm den Weg zum Haus. Dort stand warmes Essen auf dem Herd, lag frische Kleidung auf dem Bett. Im Badezimmer fehlte es nie an Tüchern und Seife. Manchmal stand er vor dem Spiegel und schnitt mit der Schere den Bart kurz, förderte ein halbes Gesicht zutage. War er es, der für all das sorgte? Erledigte er diese Dinge in den Stunden, die ihm zwischen Aufwachen und Einschlafen abhanden kamen? Er wusste es nicht. Und er wusste auch nicht, wer ihm allabendlich das Stück Schokolade aufs Kopfkissen legte, das, wenn er sich recht erinnerte, die Form eines Herzens hatte.

Einer der Arbeiter aus dem Sägewerk fiel von dem Boot, das er in seinem Garten baute, und brach sich dabei den Arm. Ein anderer war zwei Tage zuvor nach Chicago geflogen, um seinen Bruder zu besuchen. Angesichts dieser Notlage bestand Sean Lynch darauf, dass sein Sohn während der Ferien im Betrieb half. Unter dem Beifall der übrigen Männer taufte er ihn mit einer Handvoll Sägemehl und wies ihm dann seinen Platz hinter der Schälmaschine zu, wo Conor lange Borkenstreifen und Abfallholz in offene Blechcontainer füllen musste.

In den ersten Tagen weinte Conor vor Wut, und wenn einer der Arbeiter fragte, was los sei, sagte er, der Holzstaub kratze in seinen Augen. Wenn es regnete, und das tat es in diesem Sommer oft, brauchte Conor diese Ausrede nicht und stapfte leise schluchzend und fluchend durch den Morast aus Schlamm und Sägemehl. Die vollen Container, die auf einem rostigen Gleis liefen, galt es über den ganzen Platz zu schieben und an einer Halde auszukippen.

Conors Mutter war mit Kieran in Dublin, wo der Junge an der Hand operiert werden sollte.»Für Kierans unnütze Hand!«rief sein Vater manchmal, wenn ein Stapel Bretter auf einen Lastwagen geladen wurde. Fiona war mit ihrer besten Freundin und deren Eltern in Glenbeigh im Südwesten der Insel.»Da ist der Regen wärmer«, hatte Conors Vater geantwortet, als einer der Arbeiter fragte, was am Süden denn besser sei. Die Männer hatten gelacht und ein Lied über die Schönheit Donegals angestimmt.

Das Mittag- und Abendessen musste Conor mit seinem Vater in der Küche einnehmen. Im Kühlschrank und in der Gefriertruhe stapelten sich Schüsseln mit vorgekochtem Essen, und zu Beginn gab sich Conors Vater Mühe, jeden Tag zwei anständige Mahlzeiten auf den Tisch zu bringen. Ernüchtert durch die mürrische Appetitlosigkeit seines Sohnes, ging er jedoch bald dazu über, von O’Reilly Fish and Chips, frittiertes Huhn oder Pizza kommen zu lassen. Hatte Sean in den ersten Tagen noch versucht, während des Essens mit seinem Sohn zu reden, gab er auch das bald auf, und es war keine Woche vorbei, da saßen die beiden schweigend am Tisch und brüteten über ihren vollen Tellern und düsteren Gedanken.

Orla genoss die Zeit, in der sie Wilbur wieder für sich alleine hatte. Zwar vermisste sie Conor manchmal, aber wenn sie mit Wilbur durch die Gegend fuhr und er neben ihr statt mit seinem Freund auf der Rückbank saß, fühlte sie sich einfach nur glücklich. War sie besonders guter Laune, fuhr sie mit ihm am Morgen nach Dublin, wo sie sich zur Nachmittagsvorstellung in ein Kino setzten. Weil Wilbur sich nichts aus Zeichentrickfilmen machte, gingen sie in Streifen, die für Kinder nicht freigegeben waren. Orla bestach die Kassiererinnen und Platzanweiser mit größeren Beträgen, damit Wilbur eingelassen wurde und sich an der Seite seiner Großmutter Western und Science-Fiction-Filme und alle Folgen der Indiana-Jones-Reihe ansehen konnte.

Bei seinem ersten Film, dem Western Rio Bravo, der in einer Reprise gezeigt wurde, hatte Wilbur noch lauthals dazwischengerufen, als sei er in Lehardan im Puppentheater. Nachdem sich andere Besucher beschwerten und Orla ihm erklärte, die Schauspieler könnten ihn nicht hören, saß er stumm in seinem Sitz und verfolgte das Geschehen auf der Leinwand mit einem inneren Beben, das ihn beinahe zerriss und auch während der nächsten Vorführungen kaum nachließ.

Zu Beginn hatte Orla noch überlegt, Wilbur die Hand vor die Augen zu halten, wenn ein Cowboy sein Mädchen küsste, aber nach einer Weile fand sie, der Anblick könne dem Jungen kaum schaden. Wichtiger war ihr, ihm zu erklären, dass die Leute, die in den Filmen erschossen, von Pfeilen durchbohrt und von Laserwaffen zerstäubt wurden, nur Schauspieler waren und am Ende der Szene aufstanden und weiterlebten.

An den Freitagen fuhr Orla mit Wilbur nach Letterkenny, wo die beiden den ganzen Nachmittag in der Bibliothek verbrachten. Wilbur suchte sich dann seinen Büchervorrat für die kommende Woche aus, während Orla in sämtlichen Zeitungen nach interessanten Meldungen stöberte. Am Abend dieser Freitage wurde Orla jeweils ein wenig wehmütig, weil am Wochenende, wenn das Sägewerk stillstand, Conor kommen und Wilbur für sich beanspruchen würde.

Der Tag, an dem sie den Hund sahen, war ein Sonntag, und vom Haus her wehte der Duft des Früchtekuchens, den Orla im Ofen hatte. Hoben die Jungen den Kopf, war der reglose Himmel eine Fläche aus Glas, voller Schlieren, die bis nach Belfast reichten. Der Rücken des Hundes ragte schwarz aus dem Gras, als er über den Hügel kam. Es hätte eines von McGonigles Tieren sein können. Der Alte brachte nicht immer alle Welpen an den Mann, und die überzähligen streunten umher, bis ein Schafbauer sie in die Lehre nahm oder erschoss.

Der Hund kam aus dem hohen Gras und trabte zum Weg, der am Ende einer gemähten Wiese in die Straße mündete. Er trug etwas im Maul, einen Fetzen Stoff oder Fell, der am Boden schleifte. Conor stand auf und pfiff durch die Finger. Das Tier blieb stehen, sah in ihre Richtung und lief dann weiter, verschwand zwischen den Hügeln wie die Straße.

«Haste gesehn, was der im Maul hatte?«Conor sah zu den Hügeln, zwischen denen der Hund aufgetaucht war.

«Nö«, sagte Wilbur. Er schnippte vorsichtig eine Ameise von seinem Arm.

«Vielleicht ist irgendwas angeschwemmt worden«, sagte Conor.

Wilbur antwortete nicht. Er ging nicht gerne an den Strand. Das Meer als abstrakte Masse, als weite blaue Fläche faszinierte ihn, auch der Gedanke, dass dahinter Amerika lag. Aber den Geruch fand er eklig, und das monotone Geräusch der anrollenden Wellen machte ihn nervös. Wenn er die farbigen Illustrationen in seinem Tieratlas betrachtete, erfasste ihn ein Schaudern, sogar harmlose Kugelfische kamen ihm vor wie kleine Monster, die nur darauf warteten, dass er seinen Zeh in ihre Welt streckte. Er verstand die Menschen nicht, die darin schwammen, und Taucher hielt er für komplett verrückt, auch wenn er insgeheim ihren Mut bewunderte.

«Ich werd mal nachsehn«, sagte Conor. Er wartete, aber Wilbur zog nur ein gelangweiltes Gesicht. Conor ging in die Richtung, aus der der Hund gekommen war.»Bin gleich zurück!«rief er.

Wilbur sah Conor nach, und kurz bevor er außer Sicht war, erhob er sich rasch und folgte ihm. Er rannte über den ersten Hügel und holte Conor schnaufend ein. Das Grinsen im Gesicht seines Freundes sah er nicht.