Выбрать главу

Der Bau war kein schöner Anblick. Auf einem Feld, etwa eine halbe Meile vom Schulhaus entfernt, stand ein Würfel, dessen steiles, nach Süden abgeschrägtes Dach aus Glasziegeln gerade genug Tageslicht ins Innere ließ, um die fehlenden Fenster wettzumachen. Am höchsten Punkt des Daches thronten zwei Tanks aus schwarzem Kunststoff, die von Weitem wie die Augen eines monströsen Insekts aussahen. Um den Rohbau herum lagen Sand-, Kies- und Erdhaufen und türmten sich Betonblöcke und Bretter. Unter einem Wellblechverschlag lagerten stapelweise weiße Kacheln und in Plastikfolie gewickelte Säcke mit Fliesenkleber und Fugenzement. Der Boden des Grundstücks war verschlammt und von Traktorspuren zerfurcht, Bäume, die Wurzeln freigelegt, standen schief und abgestorben vor einem Zaun, den ein Schild mit der handgemalten Aufschrift SCHWIMMEN HEISST LEBEN! überragte.

Während der Autofahrt hatte Orla den Jungen die Entstehungsgeschichte des Klotzes erzählt und dabei Zeitungsberichte, Dorfklatsch und eigene Erkundigungen vermischt. Fintan Taggart, ein Kind des Ortes, war als junger Mann nach Neuseeland ausgewandert, wo er seinen Lebensunterhalt als Rettungsschwimmer bestritten hatte, bevor er mit imitierter Maori-Kunst zu handeln begann und schließlich Vertreter für Gartenmöbel wurde. Als seine Mutter schwer erkrankte, kam er zurück nach Irland, gerade noch rechtzeitig, um seinen Vater zu beerdigen, der beim Angeln von einem Felsen ins Meer gestürzt und ertrunken war.

Fintan pflegte seine Mutter, die sich bald erholte, und schwor am Grab seines Vaters, etwas gegen den Umstand zu unternehmen, dass in Irland kaum jemand schwimmen konnte. Er wandte sich an Behörden und Politiker, schrieb an Zeitungen und gründete einen Verein mit dem imposanten Namen Irische Gesellschaft zur Förderung der Schwimmkultur. Er hielt Vorträge an Schulen und zog durch die Dörfer und sammelte Geld, um das erste Schwimmbad im County Donegal zu bauen und darin Kinder und alle, die es wollten, die Kunst des Nichtertrinkens zu lehren.

Obwohl sie selten in ihren Gewässern badeten und die Notwendigkeit des Schwimmenkönnens nicht immer begreifen wollten, brachten die Leute aus der Gegend dem unermüdlich für sein Projekt werbenden Mann eine gewisse Sympathie entgegen und trugen ihren Teil zur Errichtung des Gebäudes bei, der schon vor Baubeginn als Fintans Kirche der ertrunkenen Seelen lokale Berühmtheit erlangte. Jeden Tag kamen Neugierige, um einen Blick auf den fensterlosen Klotz zu werfen. Die meisten hatten Geld gespendet und wollten sehen, was damit geschah. Einige hatten Verwandte, Freunde oder Bekannte, die ertrunken waren, brachten neue Namen für die Liste, gaben Taggart ihren Segen und bekreuzigten sich beim Verlassen der Baustelle.

Orla hatte eine großzügige Summe gespendet, obwohl sie der fast religiöse Eifer des jungen Mannes, der vor mehreren Monaten an ihrer Tür geklingelt hatte, befremdete. Er hatte ihr eine Broschüre seines Vereins gegeben und bei einer Tasse Kaffee erklärt, was er mit seiner ehrenamtlichen Arbeit erreichen wolle, wobei er die Ausdrücke» ehrenamtlich«,»unbezahlt «und» in Gottes Lohn «so oft wiederholte, dass sie einen schrägen Klang annahmen. Er sprach von zerstörten Familien, tatenlosen Politikern und fehlender Information, nannte die Zahl der in den letzten zehn Jahren Ertrunkenen und zeigte Baupläne und ein paar Fotos von Wasserleichen. Er sprach hektisch und mit einem halb abgelegten Neuseelandakzent, der Orla auf die Nerven ging. Schließlich gab sie ihm einhundert Pfund und entzog sich nervös lachend seinem Versuch, sie in entfesselter Dankbarkeit zu umarmen. Als sie ihm nachblickte, wie er in der Rauchwolke verschwand, die sein museumsreifes Motorrad ausspuckte, konnte sie sich nicht gegen den Gedanken wehren, gerade gutes Geld in ein Loch geworfen zu haben.

Im Innern des unverputzten Kubus roch es nach brackigem Wasser und Kaffee. Die Hitze war kaum auszuhalten und ging von einem Brennofen aus, der in einer Ecke auf Eisenbahnschwellen stand. Neben dem Ofen türmten sich weiße quadratische Kacheln, an einer Wand hing ein zwei mal drei Meter großer Bogen Packpapier, der mit Namen und Daten vollgeschrieben war. Hinter einigen Namen hingen rote Häkchen wie umgedrehte Spazierstöcke. Auf einem Tisch stand eine elektrische Kochplatte, darauf eine Kanne Kaffee. Der Ofen knackte, entließ seufzend heiße Luft. In einem Blecheimer unter dem Holztisch verströmten leere Suppendosen und Milchtüten einen fauligen Geruch.

Fintan Taggart kauerte in einer rechteckigen Grube und legte Fliese um Fliese in den Leim, der eine winzige Fläche des rohen Betonbodens bedeckte. Die Wände waren ebenfalls unverputzter Beton und ließen jeden Atemzug des Mannes zum lauten Keuchen werden. Auf den Fliesen, die er verlegte, waren Namen, Geburts- und Todesdaten geschrieben, schwarz und mit Pinsel und geschützt von einer gebrannten Schicht aus klarer Glasur. Taggart war weder besonders groß noch muskulös und bis auf eine kurze rote Hose nackt. Seine Haut war von einem hellen Oliv, als bewahre sie einen Rest neuseeländischer Bräune. Er richtete sich auf, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah zu Orla und Conor hoch, die an den Beckenrand traten, während Wilbur in der Nähe der Tür stand, durch die ein Stück Himmel zu sehen war, nicht größer als eine Fliese, und das Motorrad des Turnlehrers, eine neue Kawasaki, rot in der Sonne leuchtend.

Es war die letzte Woche der Sommerferien, und das schöne Wetter machte es Wilbur nicht leicht, an den nahenden Schulbeginn zu denken. Orla hatte ihn nach dem Mittagessen zu Colm gebracht, der auf ihn aufpassen sollte, während sie nach Letterkenny fuhr, um etwas zu besorgen, alleine, weil es ein Geheimnis war. Wilbur hatte darauf gedrängt, mitfahren zu dürfen, aber Orla hatte nur gelächelt und ihn auf den Abend vertröstet.

Nachdem Orla weg war, fuhr Colm mit Wilbur auf dem Traktor in den Ort, wo großer Markttag war. Bauern, Viehhändler, Trödler und Fahrende boten auf einem Parkplatz und einer angrenzenden Wiese ihre Waren an, ein Karussell drehte sich, gegen dessen Musik ein Akkordeonspieler ankämpfte, ein alter, als Pirat verkleideter Mann jonglierte mit Schwertern, in einem eiförmigen Wohnwagen empfing eine Handleserin ihre Kundschaft.

Orla hatte Wilbur etwas Geld gegeben, und als erstes kaufte er sich eine Portion Eis und eine Baseballkappe mit dem Schriftzug einer Traktorenfirma. Dann ging er neben Colm an den Ständen entlang, aß sein Eis und war enttäuscht von den Dingen, die ihm geboten wurden. Zwei dicke Frauen standen vor mehreren langen Kleiderständern auf Rollen, an denen Blusen, Röcke und Hosen in schreienden Farben hingen. Ein Mann saß hinter Stapeln von Musik- und Videokassetten und betrach tete ratlos einen Ghettoblaster, der den Geist aufgegeben hatte. Wortkarge Männer warteten neben Kisten voller Werkzeug, Ersatzteilen, Kabeln und Drähten, Bolzen und Schrauben und Muttern auf andere wortkarge Männer. Ein Mann und eine Frau aßen an einem Campingtisch zu Mittag und verhandelten zwischen zwei Bissen über den Preis von Teppichen und Gummistiefeln. Ein dösender Mann hockte inmitten von Möbeln, die weder antik noch modern, sondern auf eine tragische Weise zeitlos waren. Lampen wurden aus einem Lieferwagen, Hundewelpen aus einem Kofferraum verkauft. Eine Bauersfrau rief schüchtern das Wort Käse, und zwei kleine Mädchen schienen die Hoffnung verloren zu haben, ihre auf Zeitungen ausgelegten Spielsachen noch loszuwerden.

Wilbur, der mit Orla durch die Kaufhäuser Dublins gestreift war, empfand den Markt als schlechten Witz, erstand dann aber doch eine Kassette mit Sinatra-Songs für Orla, ein winziges Taschenmesser an einem Schlüsselanhänger für Conor, und ein mit Glitzersteinen verziertes Feuerzeug für Colm.

Als sie zu der Wiese kamen, dem Revier der Viehhändler mit ihren Lastwagen, Jeeps und Anhängern, sahen sie Conors Mutter, die neben ein paar Pferden stand und mit einem Mann in Stiefeln, Hut und grauem Anzug sprach. Sie gingen zu ihr hin, und sie erzählte ihnen aufgeregt, sie habe gerade ein Pferd für Kieran gekauft. Dabei streichelte sie den Hals des braun und weiß gescheckten Tieres, dessen Stirn ein weißes Karo zierte und das mit einem Strick an einen Lastwagen gebunden war. Colm sah sich fachmännisch das Gebiss und die Hufe der Stute an und befand dann, Aislin habe eine gute Wahl getroffen. Er schlug vor, den Anhänger zu holen, in dem er seine Kühe, Kälber und Schafe transportierte, und Aislin nahm dankbar an.