Ich drehe den Rahmen aus dunklem, glänzendem Holz um. Er ist leer.
Irgendwie werde ich die Woche hinter mich bringen. Vielleicht ist es sogar ganz gut, wenn ich die Stadt nicht überstürzt verlasse. Drei Tage ist es her, seit ich in Vermeers Büro saß. Die Idee, meine Zukunft zu planen, zumindest die ersten Wochen, erscheint mir vernünftig. Mit dem Geld könnte ich einiges anstellen. Ich könnte mir ein Auto kaufen, ein gebrauchtes. Ich könnte mich in ein Flugzeug setzen und irgendwohin fliegen. Oder einen Laden mieten. Ich wollte schon immer Dinge an Leute verkaufen. Schrauben, zum Beispiel. Ich könnte einen Laden eröffnen, wo man jede Schraube kaufen kann, die es gibt. Ich hätte Schubladen an den Wänden, jede Schublade wäre beschriftet, durchnumeriert. Alles wäre geordnet und hätte seinen Platz. Ich würde Arbeitskleidung tragen, einen blauen Kittel, graue Hosen. Der Laden hätte einen Namen wie Schraub-O-rama oder Wilburs Welt der Schrauben.
Ich könnte auch einen Laden für Nichtschwimmer aufmachen und Rettungsringe, Schwimmwesten und aufblasbare Inseln verkaufen. Und Bücher, in denen Worte wie Wasser oder Schwimmen nicht vorkommen. Und Reisen in Länder, die nicht ans Meer stoßen. In die Schweiz, zum Beispiel, oder nach Ungarn. Oder in die Wüste.
Wayne kommt ins Zimmer und fragt, ob ich Japanisch spreche. Obwohl ich verneine, hält er mir eine Gebrauchsanweisung hin. Ich sage ihm, er soll sich verziehen. Er nennt mich einen eingebildeten Arsch und geht. Ich werde doch keinen Laden eröffnen. Ich hätte es mit Leuten wie Wayne und Elroy zu tun, und das geht nicht. Wayne würde nach einer Schraube verlangen, die es nicht gibt, nicht mal in Japan, und ich würde sämtliche Kataloge durchgehen und ein paar Anrufe machen und ihm dann sagen, dass es diese Schraube nicht gibt, und Wayne würde mich beschimpfen und Schraub-O-rama einen Saftladen nennen. Elroy säße den ganzen Tag da und sähe mir zu. Er würde am ersten Tag eine Schraube kaufen und damit das Recht, für den Rest seines Lebens in meinem Laden zu sitzen. Typen wie er würden kommen und nach Phantasieschrauben fragen. Sie würden Schrauben aus uralten Maschinen bringen und wollen, dass ich ihnen drei davon besorge. Alte Damen würden nach Nägeln fragen, um ihre Vogelhäuschen zu reparieren, und ich müsste ihnen erklären, dass ich nur Schrauben führe.
Am liebsten wäre mir, wenn ich in meinem Laden sitzen und die kleinen Schubladen auf- und zumachen könnte, um die Schrauben darin zu betrachten, ohne von irgendjemandem gestört zu werden. Ein Laden ohne Kunden in einer Straße ohne Menschen, das wäre ideal. Ich würde die Rollos herunterlassen, Musik hören und im Licht runder Lampen Bestellformulare ausfüllen. Vielleicht würde ich anfangen, Zigarren zu rauchen. Ab und zu käme eine Lieferung neuer Schrauben, die es einzusortieren gälte. Natürlich würde der Laden nach kurzer Zeit Pleite machen, und ich würde vor dem Nichts stehen.
Ich könnte mit den zweitausend Dollar auch einen Privatdetektiv engagieren, der in meiner angeschlagenen Erinnerung kramt.
The Player, 1992
Der alte Mann hieß Matthew Fitzgerald. Er war einundsiebzig Jahre alt und Engländer. Bis er zweiundsechzig war, lebte er in Norwich, wo er an der University of East Anglia Cello unterrichtete. Als er den Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, unternahm er eine Reise durch Irland und fand das Haus, das er jetzt bewohnte. Das feuchtkalte Klima im Nordwesten der Insel war zwar Gift für sein Rheuma, dafür schien die frische Luft seinen Lungen gut zu bekommen. Matthew Fitzgerald rauchte, seit er vierzehn war, und er gab sich nicht der Illusion einer Genesung oder gar wundersamen Heilung hin. Aber er schwor auf die lindernde Wirkung der Brise, die ihm während Spaziergängen vom Meer entgegenwehte und die seinen Husten fast zum Verschwinden gebracht hatte, obwohl er sich noch immer hin und wieder eine filterlose Zigarette gönnte.
Er war ein großgewachsener Mann mit kräftigen Händen, denen man den zarten Umgang mit Bogen und Saiten nicht zutraute. Sein Haar war dunkel und drahtig, und das Alter bestrafte ihn weder mit lichten Stellen noch gänzlichem Ergrauen. Essen war ihm lästig, weshalb er nie dick gewesen war und jetzt von Jahr zu Jahr dünner wurde. Sein einziges Gebrechen war eine Sehschwäche, die ihn bei Kriegsausbruch von dem Dienst an der Waffe befreit und ihm möglicherweise das Leben gerettet hatte. Überall im Haus lagen Brillen, deren Gläser dick wie Glasbausteine waren und ohne die er seine Umgebung als düstere, konturenlose Höhle wahrnahm. Eine Zeitlang hatte er kleine Brillen mit runden Gläsern und Gestellen aus Draht getragen, die nichts wogen und in seinem bärtigen Gesicht verschwanden. Jetzt bevorzugte er die massiven Modelle aus Horn oder Kunststoff, schwarze und braune Fassungen, gemasert und glänzend und nicht zu verbiegen, nur zu brechen. Als Kind hatte er sie gehasst, jetzt liebte er ihr Gewicht und den leichten Widerstand der Scharniere, wenn er die Bügel auf- oder zuklappte.
Er war verheiratet gewesen, länger als ein Leben lag das zurück. Cynthia Moss arbeitete beim städtischen Bauamt, wo sie, unter anderem, für die Bewilligungen zum Fällen von Bäumen zuständig war. Matthew hatte das Haus seiner Eltern geerbt, die jung gestorben waren, sie mit Mitte vierzig an Tuberkulose, er ein Jahr darauf an gebrochenem Herzen, noch keine fünfzig. Matthew wollte eine Fichte beseitigen lassen, die bei Wind vor seinem Schlafzimmerfenster schwankte und im Winter unter der Last des Schnees zusammenzubrechen drohte. Aber jetzt, nur wenige Jahre nach dem Krieg, waren Bäume in den Städten selten, und die wenigen verbliebenen standen unter behördlichem Schutz.
Nach einem verbissen geführten Papierkrieg stürmte Matthew eines Tages ins Büro seiner Brieffeindin, bereit, sie mit dem Ast, der am Morgen seinen Kopf nur um Haaresbreite verfehlt hatte, zu erschlagen, als ihn die Liebe, oder das, was er dafür hielt, wie ein Stromstoß traf. Von diesem Tag an stand er allabendlich vor ihrem Büro und flehte um ein gemeinsames Abendessen, einen unverfänglichen Lunch, eine harmlose Tasse Kaffee. Er schwor, den Baum in Ruhe zu lassen, schickte ihr Blumen und schrieb eine Sonate für sie. Er wollte auf dem Flur vor ihrem Büro Cello spielen und wurde des Hauses verwiesen. Er trug ihr ein selbstverfasstes Gedicht am Telefon vor, bis sie nicht mehr auflegte.
Irgendwann gewährte sie ihm ein Abendessen. Er führte sie ins beste Lokal der Stadt und gab dem Kellner Tage zuvor Geld, damit der ihn als Herrn Professor und Stammgast begrüßte. Von da an durfte er sie immer samstags einladen. Cynthia schätzte gutes Essen und teuren Wein, und wenn sie einen besonders raffinierten Nachtisch verschlang, erlaubte sie sich sogar die Blöße eines Lächelns. Bald hatte Matthew die Ehre, seine Liebe zwei- oder dreimal pro Woche durch ihren Magen gehen zu lassen. Mit jedem Pfund, das sie an Gewicht zulegte, bröckelte ihr Widerstand gegen Matthews Avancen, und eines Nachts ging sie, leicht benommen von einem sündhaft teuren Pommard, mit ihm nach Hause.
Begleitet vom Ächzen der Fichte, deren Äste das Mondlicht verwischten, legte Matthew sich neben Cynthia und durchbrach ihre letzte Schranke, rang schwitzend und keuchend um ein bisschen Lust und sank schließlich über ihr zusammen, einen Schrei ausstoßend, in dem Triumph und Selbstverachtung schwangen und eine Verzweiflung, die ihn frösteln ließ und bis zum Morgen wach hielt.
Eine Weile sahen sie sich nicht, und Matthew war froh darüber und hoffte, Cynthia fühle genauso. Er dachte daran, sie ein letztes Mal zum Essen einzuladen und ihr zu sagen, warum er die Beziehung, wenn es denn überhaupt eine war, beenden wollte. Aber er brachte es nicht fertig, sie anzurufen. Er besaß eine Fotografie von ihr, und manchmal nahm er sie hervor und sah sie an. Er hatte die Aufnahme gemacht, sie zeigte Cynthia vor der Fichte stehend, die Arme hinter den Rücken gelegt, das Kinn erhoben. Ihr Blick ging an der Kamera vorbei, nicht schüchtern, sondern kühl und eine Spur hochmütig. Zwei Wochen später warf Matthew das Bild weg und fällte den Baum.