Der Boden war ausgekühlt. Er stand auf und trat gegen die Tür, aber das Glas zersprang nicht. Er sah sich darin und schlug mit den Fäusten darauf ein, dann ging er durch die Räume und schrie ihren Namen. Im Schlafzimmer zerrte er das Bettzeug herunter und schleifte es hinaus, er hob einen Stuhl über den Kopf und zerschmetterte ihn, dann den zweiten. Er trat die morschen Bretter los und warf sie auf den Haufen. Er holte Zeitungen aus der Küche, riss schmutzige Geschirrtücher von den Haken, fand Streichhölzer und zündete alles an, erschrak, wie hoch die Flammen bald schlugen, und holte trotzdem mehr. Er holte das Hemd und die Schuhe und die Bibel und warf alles ins Feuer.
Er weinte und fiel hin, schürfte sich die Handflächen auf. Die Hitze warf sich gegen seinen Körper, es war nicht Kälte, die ihn zittern ließ. Er zerrte die Matratze vom Bett und zog sie über den Boden und wuchtete sie in die Flammen. Asche stob um ihn herum, an den Rändern glühende Papierfetzen wirbelten hoch, segelten über die Mauer. Aus der Matratze stieg schwarzer Rauch. Eine Weile stand er schlotternd da, seine Augen brannten, Tränen liefen ihm über die Wangen.
Dann ging er zurück ins Schlafzimmer und sah die Briefe. Fünf Umschläge lagen auf der Spanplatte, die den Bettrost bedeckte. Er griff nach ihnen, musste sie ablösen. Eamons Schweiß, durch die Matratze gesickert, sein Gewicht und die Jahre hatten sie ans Holz gepresst. Sie waren an Orla adressiert. Wilbur trug sie hinaus, betrachtete die geschwungene Schrift, die Marken. Das Feuer pumpte Rauch in den tiefen Himmel. Wilbur las. Irgendwann rief von weit her Matthew, aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit.
Sie hatten das Feuer gemeinsam gelöscht. Matthew hatte mit einer Schaufel Stücke aus dem schwelenden Haufen gezerrt, Wilbur brachte in einem Eimer Wasser aus der Küche. Sie redeten nicht. Die Asche wurde schwarzer Brei, ein Schlackenmeer, aus dem verkohlte Holzstücke und eine Ecke der Matratze ragten, sinkenden Schiffen gleich. Eine Stunde später saß Wilbur neben Matthew im Auto. Matthew erwähnte das Feuer nicht. Er merkte, wie aufgewühlt Wilbur war, und fragte ihn, wie es gewesen sei, durch das leere Haus zu gehen, ob er etwas gefunden habe, eine Erinnerung an Orla. Er bedrängte den Jungen nicht und ließ ihm Zeit mit den Antworten, die stockend kamen.
Sie fuhren eine andere Strecke zurück, einen Umweg. Matthew fand zunehmend Gefallen am Lenken des Autos, und er hatte es nicht eilig. Die schmale Straße wand sich durch kleine Wälder, deren Bäume in einem Meer aus farbigen Blättern standen, und vorbei an Dörfern aus vier, fünf Häusern. Kein Auto kam ihnen entgegen, keine Fahnen wehten. Auf einer Brücke stand ein alter Mann und winkte ihnen zu. Sein Hund saß auf der gewölbten Steinmauer und sah in den Fluss. Als Matthew hupte, zuckte Wilbur zusammen. Er holte eine Fotografie aus der Tasche, die Orla vor einem Restaurant in Sligo zeigte. Deirdre hatte sie gemacht, daran erinnerte sich Wilbur. Er war den ganzen Tag mit Süßigkeiten gefüttert worden und hatte sich auf dem Heimweg übergeben. Das erzählte er und hoffte, Matthew würde aufhören zu fragen. Er wollte nicht über die Briefe reden. Er konnte nicht. Er sah aus dem Fenster und dachte an einen Ort, der unendlich weit weg lag.
Zwei Monate später kam ein Brief der Moorhead-Stiftung. Wilbur wurde nach Cork eingeladen, wo er vorspielen sollte. Matthew begleitete ihn. Sie nahmen die Bahn, der Triumph wäre zu unzuverlässig gewesen, die Fahrt zu anstrengend. Fast einhundert Jugendliche reisten aus dem ganzen Land an, um eine Jury von ihrem Talent zu überzeugen und sich für die Endausscheidung ein halbes Jahr später in Göteborg zu qualifizieren. Wilbur sah sich gegen vier Cellisten antreten, alle älter als er. Ein siebzehnjähriger Junge aus Waterford, eine Neunzehnjährige aus Ennis und Wilbur mussten am Abend noch einmal spielen. Einer der fünf Experten fand Wilburs Vortrag zu eigen, zu unorthodox, eine Kollegin gab zu bedenken, er sei noch sehr jung, womit sie unerfahren meinte. Wilbur gewann trotzdem. Im Hotel weinte Matthew und trank mehr, als gut für ihn war.
Am nächsten Tag gab es eine kleine Feier mit den Auserwählten und ihren Eltern, den Mitgliedern der Jury und Vertretern der Stiftung. Reporter waren da und machten Fotos von strahlenden Pianisten und glücklichen Geigerinnen. Ein Mädchen ließ sich mit verweinten Augen und ihrer Querflöte ablichten, ein Junge trug den ganzen Abend seine Trompete unter dem Arm. Es wurden Reden gehalten, ein Streichquartett spielte, und in den Gesichtern der jungen Gewinner leuchteten Stolz und Erleichterung und der Wille, der wartenden Welt noch mehr zu beweisen. Wilbur lächelte, wenn man ihn darum bat, und gab kurze Interviews. Er stand eine halbe Stunde mit einem angetrunkenen Professor durch, der behauptete, Wilbur sei er selber vor fünfzig Jahren. Die Frau eines Jurymitglieds meinte, er sei ein hübscher Junge und solle sich bei ihr melden. Sie roch nach Parfüm und steckte ihm eine Visitenkarte in die Brusttasche des Jacketts, das Pauline für diesen Anlass gekauft hatte. Matthew traf ein paar alte Bekannte und knüpfte neue Kontakte, an die er sich Minuten später nicht mehr erinnerte. Trotz des Katers vom Vortag schien er sich gut zu amüsieren, behauptete vor dem Zubettgehen jedoch, das Geschwätz der alten Männer sei unerträglich gewesen, sein eigenes mit eingeschlossen. Er sagte Wilbur noch einmal, wie stolz und glücklich er sei, dann schlief er ein.
Wilbur lag die halbe Nacht wach und blätterte in der Broschüre, die alle Endrundenteilnehmer erhalten hatten. Göteborg, las er immer wieder. Aus einem Ort etwa dreihundert Kilometer nördlich davon waren die Briefe seines Vaters gekommen.
8
Ich habe zurückgefunden. Ich sitze im Hotel in einem Zimmer, das noch kleiner und schäbiger ist als das, das ich vorher hatte. Der Typ am Empfang hat mich gleich erkannt, als ich vor fünf Tagen in die Lobby trat. Er sagte, man habe nach mir gesucht, und wenn ich wegen meines Koffers hier sei, solle ich mich an die Polizei wenden. Ich sagte ihm, das sei mir alles bekannt, erzählte etwas von einem Unfall und Missverständnissen und einem leichten Fall von Gedächtnisverlust und dass jetzt alles geregelt sei. Er glaubte mir nicht, und ich nahm es ihm nicht übel. Ich habe ihm Vermeers Scheck gezeigt und gesagt, meine Ausweise seien verlorengegangen, was ja auch irgendwie stimmt. Sobald ich die neuen bekäme, würde ich den Scheck einlösen und für mein Zimmer bezahlen. Auch das hat er mir nicht abgenommen. Er meinte, wenn ich ein Zimmer wolle, müsse ich dafür arbeiten. Eine Stunde später war ich der neue Mann für alle Fälle, der Arsch, der die Müllcontainer in den Hof schiebt und Hundescheiße vom Gehsteig schippt, der Glühbirnen auswechselt und im Keller gegen den Heizkessel tritt, der Wäschesäcke schleppt und Fenster putzt und Böden saugt. Ich bin der neue Hausmeister, der erste Weiße und der erste, der eine Leiter braucht, um an die Lampen im Flur zu kommen.
Meine Tage sind auf eine unordentliche Weise geregelt. Ich stehe um sieben auf und mache einen Rundgang durch die drei Stockwerke des Hotels. Mit einem Eimer gehe ich durch die Flure und das Treppenhaus und sammle den Müll ein, Zeitungen, Pappbecher, zerrissene Wettscheine und Briefe von Anwaltsfirmen und Sozialbehörden. Um acht esse ich auf dem Zimmer einen Doughnut und trinke zwei Tassen Tee. Gegen halb neun, neun wische ich vor dem Eingang und unterhalte mich dabei mit Winston, der auf einem Klappstuhl vor seinem Trödelladen sitzt. Eigentlich tauschen wir nur jeden Morgen ein paar Floskeln aus, bevor Winston über das Wetter fachsimpelt. Er ist um die sechzig und hält sich für einen Profi, wenn es um Prognosen geht. Gestern prophezeite er einen warmen Tag, und als es am Nachmittag saukalt wurde, saß er im Hemd vor seinem Laden, nur um recht zu behalten.
Den Rest des Tages verbringe ich mit Putzen und kleinen Reparaturen. Ich habe zwei linke Hände und kann eine Rohr- nicht von einer Kneifzange unterscheiden, aber ich scheine damit durchzukommen. Randolph erwartet von mir nicht, dass ich eine Fensterscheibe ersetze oder eine Toilettenspülung in Ordnung bringe, für so etwas lässt er richtige Handwerker kommen. Ich bin für die einfachen Dinge zuständig, schraube eine neue Sicherung ein, fülle ein Loch in der Wand mit Spachtelmasse aus der Tube, streiche einen Geländerpfosten und ziehe die lose Schraube einer Türnummer an. Und ich wische mitten in der Nacht Erbrochenes auf und krieche in einen Lüftungsschacht, um eine tote Taube rauszuholen. Diese Tätigkeiten sind auch der Grund, weshalb ich den Job überhaupt bekommen habe.