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Sie sah ihre Mutter, deren Schönheit nie verklingende Musik war, nie endender Sommer, die untragbare Kleider nähte und das Kochen aus Büchern lernte, die manchmal heimlich rauchte und weinte, die ohne Hilfe einen Zaun um den Gartenteich baute, die an Feiertagen Kerzen anzündete und Lieder sang und ihren Mann auf die Wange küsste, die sonntags zur Kirche ging, nicht an Wunder glaubte und nicht an die Veränderbarkeit des Schicksals und ihrer Tochter das Gegenteil predigte. Sie sah eine starke, einstmals lebensfrohe Frau, die den Eid, den sie vor dem Pfarrer, Gott und der Welt geleistet hatte, nicht brechen wollte und bei ihrem Mann blieb, auch nachdem sie sich die Sinnlosigkeit ihrer Ehe längst eingestanden hatte.

Mit einundzwanzig ging Maureen aus Irland weg. An einem Septembermorgen verließ sie ihre untröstliche Mutter, den altersschwachen Collie und den von Jahr zu Jahr schemenhafter werdenden Vater mit einer Erleichterung, die sie erschreckte. Orla hatte gewollt, dass ihre Tochter in Cork blieb und studierte, aber in Wirklichkeit ertrug sie den Gedanken nicht, mit Eamon alleine in dem großen Haus zurückzubleiben. Trotzdem kaufte sie das Flugticket nach Ontario, wo eine Cousine von ihr lebte, und besorgte genügend American-Express-Travellerschecks, um Maureen zwölf Monate komfortabel und vierundzwanzig in Bescheidenheit reisen zu lassen. Wenn das Geld aufgebraucht wäre, redete Orla sich ein, würde ihr Kind zurückkommen.

Während des ersten Sommers durchstreifte Maureen Kanada, im Winter arbeitete sie in Mexiko als Zimmermädchen. Sie hatte einen Liebhaber in Montreal und einen in Acapulco, vor Aufregung japsende Bürschchen, deren erhitzte Gesichter sie vergessen hatte, kaum saß sie im Bus. Ihr Herz war ungebunden, ihr Gepäck leicht, und ihre Ziele suchte sie sich so willkürlich aus wie die Gelegenheitsarbeiten, mit denen sie sich über Wasser hielt, nachdem der letzte Scheck eingelöst war. In Miami kellnerte sie auf einem Ausflugsboot, in Chicago saß sie an der Kasse eines Supermarkts, Baltimore erschien ihr so trist wie ihr Job als Putzfrau, und aus Washington floh sie vor einem Mann, der ihr Boss in einem Souvenirladen war und sie heiraten wollte. Sie lebte ein halbes Jahr im mexikanischen Monterrey an der Grenze zu Texas und danach ein halbes in Charleston, South Carolina, hatte eine Affäre mit einem Mathematikprofessor, der für sie seine Frau sitzenließ, beteiligte sich an der jährlichen Green-Card-Verlosung und hatte Glück. Weil ihr der Name gefiel, ging sie nach Philadelphia, wo sie als Schuhverkäuferin, Telefonistin und schließlich Kellnerin arbeitete und Lennard Arne Sandberg begegnete.

Henrik und Katarina waren von Lennards Plänen alles andere als begeistert. Dass er sich in diese rotzfreche irische Kellnerin verguckt hatte, wollten sie ihm noch als Flausen eines in romantischen Angelegenheiten unerfahrenen Jungen durchgehen lassen, die sich im rauhen Klima der Realität bald verflüchtigen würden. Aber seine Absicht, der Firma Marklund und einer blendenden Karriere den Rücken zu kehren, lasteten sie ihm an wie ein Verbrechen gegen die Familie, gegen ihre Ideale und gegen das ganze Land, dem er so viel zu verdanken hatte. In Gesprächen und schließlich einem langen Brief versuchte Lennard den beiden verständlich zu machen, wie groß seine Liebe zu dieser Frau und wie unumstößlich sein Entschluss war, sie zu heiraten und fortan Cellos zu bauen. Doch Henrik und Katarina hatten für diese Absichtserklärungen, die in ihren Ohren wie Süßholzgeraspel eines hormonell überschwemmten dummen Burschen klangen, keinerlei Verständnis, und als sie begriffen, dass es ihm ernst war, warfen sie ihn aus dem Haus und der Firma und verstießen ihn aus ihrer Sippe.

Lennard und Maureen warteten bis zum Mai des nächsten Jahres, dann gaben sie sich das Jawort in einer weiß gestrichenen presbyterianischen Holzkirche in Cedar Hollow. Salvador und Sofia waren die Trauzeugen, eine alte Dame spielte den mit kaum wahrnehmbar falschen Tönen durchwobenen Hochzeitsmarsch auf der Orgel, und ein kleines Mädchen, das im Schatten der Kirche einsam Gummitwist getanzt hatte und dem Lennard einen Dollar gab, verstreute die mitgebrachten Blumen, als das Brautpaar zu seinem Auto ging, einem dunkelbraunen, Zweckdienlichkeit ausstrahlenden Volvo, den Lennard gegen den Buick eingetauscht hatte.

Sofia hatte einen Fotoapparat, mit dem sie den Tag festhielt, und wenn sie durch den Sucher sah, bemerkte sie in Lennards Augen eine Spur Wehmut, die kein Kuss seiner Frau und kein Bitte lächeln ganz zum Verschwinden bringen konnte. Lennards Eltern waren in Schweden, und an diesem Tag vermisste er sie schrecklich. Drei Monate vor der Hochzeit hatte er sie angerufen, um sie einzuladen, aber die beiden ließen sich weder dazu bewegen, zu kommen, noch ihrem Sohn zu vergeben.

Maureen hingegen strahlte auf jedem Bild reine Glückseligkeit aus. Sie lachte und scherzte und warf der Kamera Kusshände zu, sie umarmte den verdutzten Pfarrer und schwang das Mädchen durch die Luft, bis es kreischte. Sie hatte nie heiraten wollen, und wenn doch, dann frühestens mit dreißig. Jetzt war sie fünfundzwanzig und konnte sich nichts anderes mehr vorstellen, als mit Lennard den Rest ihres Lebens zu verbringen. Gedanken an die Ehe ihrer Eltern wischte sie weg in der Gewissheit, dass sie und ihr Mann es anders machen würden, besser. Einmal im Monat rief sie zu Hause an und hielt ihre Mutter über ihr Leben auf dem laufenden. Obwohl sie mittlerweile seit mehr als zwei Jahren in Philadelphia wohnte, erzählte sie Orla, sie sei noch immer auf Reisen, auf der Suche nach dem richtigen Ort, dem richtigen Job und deshalb telefonisch nicht erreichbar.

Sie hasste es, ihre Mutter zu belügen, aber nur so schien es ihr vermeidbar, dass diese plötzlich bei ihr auftauchte, im Schlepptau Eamon, den zu verlassen Orla sich in einer Mischung aus Loyalität, schlechtem Gewissen und Fatalismus nach wie vor weigerte. So unbegreiflich für Maureen die Aufopferung ihrer Mutter war, so wenig verstand Orla, weshalb ihre Tochter wie eine heimatlose Seele durch Amerika flirrte. Alle paar Monate war Orla fest entschlossen herüberzukommen, aber dann erfand Maureen eilig eine neue Reise, eine neue Stelle, die ihr angeboten wurde, eine neue Wohnung, in die sie ziehen musste.

Als sie Lennard kennenlernte, war Maureen versucht, ihrer Mutter von dem Mann, den sie liebte, zu erzählen, aber als sie kurz davor war, verkaufte Eamon das Haus in Cork und zog mit seiner Frau in den Nordwesten, zurück in die Gegend, wo er aufgewachsen war, und von diesem Zeitpunkt an wurde Orla immer schweigsamer und schien die Absicht, ihre Tochter zu besuchen, bald vergessen zu haben. Maureen spürte, wie ihre Mutter unter dem Umzug litt, und als sie Lennard davon erzählte, schlug der vor, Orla solle eine Weile bei ihnen wohnen. Aber Maureen wollte warten, bis sie eine neue, größere Wohnung oder ein kleines Haus fanden oder sie schwanger war. Sie hatte Lennard nie vom Reichtum ihrer Eltern erzählt, nie erwähnt, wie einfach es wäre, sich Geld schenken zu lassen oder zu leihen, und sie tat es auch jetzt nicht. Orla schien noch immer darauf zu hoffen, dass ihr Kind in Amerika scheitern und reumütig nach Hause kommen würde. Aber Maureen hatte ihren Stolz. Sie wollte es ohne die finanzielle Hilfe ihrer Eltern schaffen, wollte ihrer Mutter ein ordentliches Gästezimmer bieten, einen erfolgreichen Mann präsentieren und ein wundervolles Enkelkind in die Arme legen.

Die Flitterwochen, die aus Geldmangel auf ein Wochenende gekürzt wurden, verbrachte das Paar in einem Familienhotel in Norristown, dessen mondänste Attraktion ein allabendlich in farbiges Licht getauchter Springbrunnen in der Empfangshalle war. Auf einem Schild wurden die Gäste darauf hingewiesen, dass das Werfen von Münzen in das Brunnenbecken zur Erfüllung eines Wunsches führen, die Hotelleitung jedoch nicht für unerfüllte Wünsche belangt werden könne. Lennard und Maureen ließen je einen Cent ins Regenbogenwasser fallen, und beide glaubten zu wissen, was der andere sich wünschte.