«Ja. Ich trug ihr auf, sie noch ein paar Tage zu behalten. Im Büro kann man sie ja nirgends unterbringen.«
«Sie fahren trotzdem sofort hin und holen die Akte in der Sache Brinton. Und passen Sie gut auf! Die Negative, auf die es Kraye abgesehen hat, sind dabei.«
Chico starrte mich an.
«Das ist nicht Ihr Ernst.«
«Warum nicht?«
«Aber alle. Radnor, Lord Hagbourne, sogar Kraye und Bolt, auch die Polizei. Alle sind der festen Meinung, daß die Dinger mit dem Büro in die Luft geflogen sind!«
«Zum Glück nicht«, sagte ich.»Lassen Sie Abzüge machen. Wir müssen dahinterkommen, was daran so wichtig war. Und erzählen Sie Miss Martin nicht, daß Kraye es darauf abgesehen hatte.«
Die Tür ging auf, und eine der hübschen Schwestern kam herein.»Sie müssen jetzt aber wirklich gehen«, sagte sie zu Chico. Sie trat ans Bett und fühlte meinen Puls.»Sind Sie denn wirklich so unvernünftig?«fragte sie und sah ihn wütend an.»Ein paar Minuten und ganz ohne Aufregung, das war abgemacht.«
«Versuchen Sie ihm mal etwas zu befehlen«, meinte Chico fröhlich,»dann sehen Sie schon, was dabei herauskommt.«
«Zanna Martins Anschrift — «begann ich.
«Nein«, sagte die Schwester streng.»Jetzt wird nicht mehr geredet.«
Ich gab Chico die Anschrift.
«Sehen Sie?«sagte er zu der Schwester.
Sie schaute mich an und lachte.
Chico ging zur Tür.
«Bis dann, Sid. Übrigens, das habe ich für Sie zum Lesen mitgebracht. Vielleicht interessiert es Sie.«
Er zog eine Broschüre aus der Innentasche und warf sie Richtung Bett. Sie fiel auf den Boden, und die Schwester hob sie auf, um sie mir zu geben. Aber plötzlich besann sie sich anders.
«O nein«, rief sie,»das können Sie ihm nicht geben!«
«Warum nicht?«fragte Chico.»Wofür halten Sie ihn, für ein Baby?«
Er ging hinaus und schloß die Tür. Die Schwester machte ein verstörtes Gesicht. Sie hielt die Broschüre in der Hand.
«Geben Sie her«, sagte ich.
«Ich muß erst den Arzt — «
«Dann kann ich mir schon vorstellen, was es ist. Geben Sie ruhig her.«
Sie gab mir zögernd die Broschüre und wartete meine Reaktion ab, als ich die Überschrift las: >Moderne Prothesen<.
Ich lachte.»Er ist Realist«, sagte ich.»Ich habe nicht erwartet, daß er ein Märchenbuch mitbringt.«
Kapitel 20
Radnor, der am nächsten Tag erschien, wirkte müde, entmutigt und zehn Jahre älter.
Er starrte bedrückt meinen verbundenen Arm an, der zehn Zentimeter unter dem Ellbogen aufhörte.
«Tut mir leid ums Bürohaus«, sagte ich.
«Herrgott noch mal.«
«Kann man es wieder aufbauen? Wie schlimm ist das Ganze?«
«Sid.«
«Stehen die Außenmauern noch, oder muß man alles abreißen?«
«Ich bin zu alt, um noch einmal anzufangen«, sagte er.
«Was da zerstört ist, ist doch nur ein Haus. Sie brauchen nicht neu anzufangen. Das Unternehmen sind Sie, nicht das Gebäude, die Leute können anderswo genausogut für Sie arbeiten.«
Er setzte sich in einen Sessel, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen.»Ich bin müde«, sagte er.
«Sie sind wohl kaum ins Bett gekommen?«
«Ich bin einundsiebzig«, erwiderte er tonlos.
Ich war völlig verblüfft. Bis zu diesem Augenblick hatte ich ihn auf Ende Fünfzig geschätzt.
«Unmöglich!«
«Die Zeit vergeht«, sagte er.»Einundsiebzig.«
«Wenn ich nicht vorgeschlagen hätte, daß wir uns um Kraye kümmern, wäre das Ganze nicht passiert«, sagte ich reumütig.
Er öffnete die Augen.
«Sie können nichts dafür, eher ich. Sie hätten Hagbourne die Fotos nicht mitgegeben. Daß sie nach Seabury gelangten, war
die direkte Ursache für die Bombenexplosionen. Es war also meine Schuld, nicht die Ihre.«
«Das konnten Sie doch nicht wissen«, wandte ich ein.
«Ich hätte es wissen müssen, bei meiner Erfahrung. Ich glaube. Manchmal sehe ich nicht mehr so klar — Konsequenzen dieser Art. «Seine Stimme wurde immer leiser.»Weil ich Hagbourne die Fotos mitgab, haben Sie Ihre Hand verloren.«
«Nein«, sagte ich entschieden.»Es ist albern, wenn Sie sich das aufladen. Hören Sie auf damit. Was sollen denn die andern tun, wenn Sie so weitermachen?«
Er schwieg.
«Meine Hand war sowieso nicht mehr zu gebrauchen«, sagte ich.»Wenn ich Kraye nachgegeben hätte, wäre sie mir geblieben. Das hatte mit Ihnen nichts zu tun.«
Er stand auf.
«Sie haben Kraye allerhand vorgelogen«, sagte er.
«Stimmt.«
«Aber mich lügen Sie nicht an.«
«Natürlich nicht.«
«Ich glaube Ihnen nicht.«
«Konzentrieren Sie sich drauf, das wird schon.«
«Sie haben keinen Respekt vor alten Leuten, Sid.«
«Nur dann nicht, wenn sie sich so dumm benehmen«, gab ich trocken zu.
Er stieß den Atem durch die Nase aus, aber er sagte nur:»Und Sie, arbeiten Sie noch für mich?«
«Das hängt von Ihnen ab. Beim nächstenmal fliegen wir vielleicht alle in die Luft.«
«Das Risiko gehe ich ein.«
«Also gut. Aber wir sind ja noch gar nicht fertig. Hat Chico die Negative bekommen?«»Ja. Er hat von allen zwei Abzüge machen lassen, einen für sich und einen für Sie. Er sagte, Sie wollten sie sehen, aber ich.«
«Haben Sie sie mitgebracht?«
«Ja, sie sind in meinem Wagen. Wollen Sie wirklich?«
«Na klar, ich kann es kaum noch erwarten«, sagte ich.
Tags darauf hatte ich ein paar Kissen mehr, ein Telefon neben dem Bett und den Ruf, ein schwieriger Patient zu sein.
Die Firma Hunt Radnor nahm an diesem Tag die Arbeit wieder auf, in Radnors kleinem Haus.
Kurz danach rief Chico von einer Zelle aus an.»Sammy hat den Kraftfahrer gefunden, diesen Smith«, sagte er.»Er war gestern in Birmingham. Da Kraye im Gefängnis sitzt, will Smith jetzt aussagen. Er gibt zu, daß er zweihundertfünfzig Pfund bekommen hat, um auszusteigen, nach dem Kippen des Tankfahrzeugs die Ketten abzumachen und sich an den Straßenrand zu setzen und eine Gehirnerschütterung zu simulieren. Leicht verdientes Geld.«
«Gut«, sagte ich.
«Aber das ist noch nicht alles. Er hat das Geld noch, jedenfalls fast alles. Kraye bezahlte die zweite Rate in Zehnpfundnoten von einem der Päckchen, die Sie fotografiert haben. Smith hat sogar noch einen der Scheine, die auf dem Bild sind. Er will ihn als Beweismaterial herausrücken, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ihm jemand den Rest abnehmen wird. Oder Sie?«
«Nein.«
«Damit sitzt Kraye schön in der Tinte.«
«Prima«, sagte ich.»Trotzdem besitzt er immer noch dreiundzwanzig Prozent der Aktien.«
«Allerdings«, gab Chico zu.
«Wie sieht es mit dem Bürohaus aus?«fragte ich.
«Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Die Außenmauern stehen noch, das Innere ist stark lädiert.«
«Wir könnten verschiedenes anders machen«, sagte ich,»zum Beispiel einen Lift einbauen.«
«Feine Sache«, meinte er zufrieden,»ich wüßte auch etwas Interessantes.«
«Was denn?«
«Das Haus nebenan steht zum Verkauf.«
Am Nachmittag kam Charles. Ich schlief gerade und fuhr entsetzt hoch, weil ich schlecht geträumt hatte.
«Du lieber Gott, Sid«, sagte er erschrocken,»bekommst du denn keine Spritzen?«
Ich nickte.»Keine Sorge. Erzähl mir lieber, was mit Fred war.«
Fred war schon in Charles’ Haus gewesen, als die Polizei auftauchte. Vier Beamte hatten ihn mit Mühe festhalten können.
«War der Schaden groß?«fragte ich.
«Er hatte alle Unterlagen in meinem Schreibtisch zerrissen. Anschließend wollte er alles in die Luft sprengen. «Er machte eine Pause.»Wie bist du auf die Idee gekommen, daß er bei mir auftauchen würde?«