»Du hast hier nichts zu suchen«, sagte der Timblier. »Drehst du dich nun um und haust ab oder nicht?«
»Nichts dergleichen«, antwortete El-ahrairah, »und du hast kein Recht, mich herumzukommandieren.«
Darauf stürzte sich der Timblier auf El-ahrairah, und dieser rang mit dem Timblier im Kreuzkraut und in den Nesseln, und ein schrecklicher Kampf wogte auf dem Pfad hin und her. Der Timblier war kräftig und äußerst beweglich und verwundete El-ahrairah derart, daß dieser eine Menge Blut verlor. Doch El-ahrairah wehrte sich wacker, und am Ende war der Timblier froh, daß er den Kampf abbrechen und unter Flüchen und Verwünschungen weghumpeln konnte.
El-ahrairah fühlte sich schwach und schwindlig. Er sank zu Boden, wo er gerade stand, und versuchte sich auszuruhen, aber seine Wunden taten ihm so weh, daß er keine Stellung oder Lage fand, die ihm Linderung gebracht hätte. Es wurde Nacht, und er wälzte sich vor Schmerzen hin und her. Doch schließlich mußte er eingeschlafen sein, denn als er wieder umherschaute, brach der Tag an, und eine Drossel sang aus einer Birke in der Nähe. Er versuchte aufzustehen, fiel aber sofort wieder um. Die Wunden schmerzten immer noch sehr, und da er nicht gehen konnte, mußte er wohl oder übel auf dem Pfad bleiben, wo er gerade war. Allmählich begann er zu befürchten, daß er dort sterben würde.
Bald hatte er Fieberphantasien und lag den ganzen Tag da, ohne Bewußtsein für die Zeit. Manchmal schlief er, aber sogar im Schlaf empfand er den Schmerz. Er wähnte, daß Rabscuttle bei ihm wäre, und er bat ihn um Hilfe. Aber Rabscuttle löste sich langsam auf und verwandelte sich in einen krummen Wacholderbusch auf dem Down, wo El-ahrairah zu liegen glaubte. Dann bildete er sich ein, Hazel zu sein und bat Hyzenthlay, gut aufs Gehege aufzupassen, während er mit Campion auf eine besondere weiträumige Streife ging. Doch all diese Bruchstücke vergingen entweder oder die Bilder überblendeten sich und wurden zu Feinden, die er aus dem Augenwinkel wahrnahm. Den ganzen Tag lang drehte er den Kopf hin und her im Bemühen, sie deutlicher zu erkennen. Inzwischen flüsterte ihm ein Kaninchen Witze ins Ohr, doch er begriff nicht, um was es eigentlich ging. Er hörte ein Kaninchen hilfesuchend nach Rabscuttle rufen, bis ihm nach einer Weile klar wurde, daß er es selbst war.
Er knabberte am Gras, dort wo er lag, konnte es aber nicht schmecken. »Es ist ein besonderes Gras, Meister«, sagte Rabscuttle, den er nicht sehen konnte, hinter ihm. »Ein Spezialgras, um dich zu heilen. Schlaf jetzt wieder.«
Am nächsten Morgen sah er ganz deutlich einen grünen Fuchs, der auf dem Pfad näherkam. Wieder versuchte er aufzustehen, aber gerade als der Fuchs verschwand, gaben die Beine unter ihm nach, er fiel auf den Rücken, lag da und starrte dumm in den Himmel.
Dann fing er an, vor Angst zu zittern. In der blauen Kurve des Himmels sah er einen großen Riß, der aber, wie er erkannte, eine klaffende Wunde war. Die beiden Ränder waren unregelmäßig gezackt, als hätte man sie mit einem stumpfen Gegenstand geschlagen, mit einem Instrument, das erst geschnitten und dann gerissen hatte. Hie und da hingen noch Fleischfetzen an den Rändern und über der Wunde, deren Inneres dadurch verdeckt wurde. Er konnte nur Blut und Eiter in der Tiefe der Wunde ausmachen, eine glitzernde, dickflüssige, unebene Oberfläche wie auf einem Morast. Die Ränder waren außerdem ausgefranst, mit Blut und gelber Masse besudelt, und Fliegen spazierten darauf herum. Während er noch entsetzt darauf schaute, fiel der Leichnam eines Kaninchens aus der Wunde, der sich aber im Fallen auflöste.
Bestürzt sah er, daß sich die ganze klaffende Wunde offenbar bewegte, daß sie wie ein geöffnetes Lippenpaar herabsank, um ihn einzusaugen und sich über ihm zu schließen. Schrill schreiend fiel er über den Wegrand, rollte den Hang hinab und überschlug sich mehrmals, bevor er die Sinne verlor.
Als er wieder zu sich kam, hatte er einen klaren Kopf, und seine Wunden waren nicht mehr so schmerzhaft. Er glaubte, daß er jetzt wahrscheinlich aus eigener Kraft nach Hause fände, wo sein Weibchen, Nur-Rama, und der getreue Rabscuttle ihn solange pflegen könnten, bis er wieder der alte war. Er ging ein kurzes Stück, ganz langsam, und legte sich dann in die Sonne, um sich zu säubern, so gut er konnte.
Und jetzt, während er am Hang ruhte, hörte er in seinem Herzen Frith, den Herrn, der zu ihm sprach.
»El-ahrairah, du solltest nicht mehr auf gefährliche Abenteuer aus sein, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Du brauchst deinem Volk nicht mehr mit weiteren großen Kämpfen und Reisen zu imponieren. Du hast genug getan. Sie lieben und bewundern dich ohnehin schon über die Maßen, und mehr wäre von Übel, sowohl für sie wie für dich. Sei faul und genieße den Sommer wie ein anständiges Kaninchen. Du hast dich bereits allem, was dir über den Weg gelaufen ist, gewachsen gezeigt.«
»O Herr«, sprach El-ahrairah, »deine Wege, so dunkel und geheimnisvoll sie mir oft erscheinen, habe ich nie in Zweifel gezogen. Aber ... wie kannst du es nur zulassen, daß in deiner Schöpfung so etwas wahnwitzig Grausiges existiert wie diese Wunde, etwas so Furchtbares, das niemand ertragen kann?«
»Ich lasse es nicht zu, El-ahrairah. Schau empor zum Himmel. Da ist nichts zu sehen, nicht wahr?«
El-ahrairah sah ängstlich nach oben. Das Loch im Himmel war nicht mehr zu sehen.
»Selbst wenn du es nur einen Augenblick lang zuläßt, Herr -«
»Es war nie da, El-ahrairah.«
»Nie da? Aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Was du gesehen hast, El-ahrairah, war eine Wahnvorstellung. Unwirklich. Ich hatte keine Möglichkeit, sie wegzuwischen.«
»Und der alte Themmeron, in Parda-rail -«
»Er konnte erkennen, daß du das Loch im Himmel nie gesehen hast. Sprich nie mehr darüber. Kaninchen, die es gesehen haben wie du, wollen nicht darüber reden, und solche, die es nicht gesehen haben, halten dich nur für einen komischen Kauz.«
El-ahrairah nahm sich das zu Herzen. Er hatte etwas Neues gelernt. Das Loch im Himmel sah er nie mehr, und er sprach auch nie mehr leichtfertig darüber, besonders nicht gegenüber Kaninchen, denen er anmerkte, daß sie Ähnliches durchlitten hatten wie er.
6. Die Sache mit dem Kaninchengespenst
Da gibt's hier herum keins, weder Mann noch Schaf, was am Jammerbrunnen jammert, und gab's auch nie, solang ich hier leb'.
M. R. James (Wailing Well)
Von den vier Efrafraniern, die sich seinerzeit, am Morgen von General Woundworts Niederlage, in dem verwüsteten Wabenbau Fiver ergeben hatten, waren drei sehr bald darauf in Hazels Gehege gut gelitten.
Groundsel, der auf Streifengängen noch geschickter und findiger war als Blackavar, war trotz seiner leidenschaftlichen Verehrung für das Andenken des Generals eine wertvolle Bereicherung des Geheges, und der junge Thistle erwies sich alsbald, befreit von der harten Efrafra-Disziplin, als warmherziger und fröhlicher Baugenosse.
Die Ausnahme war Coltsfoot. Niemand wußte, woran man bei ihm war. Ein verdrießliches, schweigsames Kaninchen, zwar höflich gegenüber Hazel und Bigwig, aber doch oft ausgesprochen ruppig gegenüber anderen; selbst mit seinen Efrafra-Genossen sprach er kaum etwas. Beim silflay graste er fast immer in einiger Entfernung von allen anderen. Niemand hätte im Traum daran gedacht, ihn zu bitten, eine Geschichte zu erzählen.
Als Bigwig sich eines Tages bei Hazel über »diesen lästigen Widerling mit dem Gesicht so lang wie ein Krähenschnabel« beschwerte, riet Hazel, ihn in Ruhe zu lassen, weil es offenbar das war, was er wollte; wenn er sich erst einmal hier mehr zu Hause fühlte, würde man weiter sehen.
Bluebell wurde gebeten, keine Witze mehr auf Kosten von Coltsfoot zu machen; er bemerkte, daß ihn dessen Schweigen und trauriger Blick an eine Kuh erinnerte, die im Regen zusammengeschrumpft war.