Coltsfoot machte eine Pause, kaute eine Weile auf seinen Kügelchen herum, als überlegte er, wie er fortfahren sollte.
»Aber auf unserem Ausflug ging alles schief. Am späten Nachmittag wurde es bitter kalt, und es regnete in Strömen. Wir liefen einer streunenden Katze über den Weg und kamen gerade noch davon. Wir waren völlig unerfahren. Wir hatten keine Ahnung, wohin wir gehen sollten, und nach kurzer Zeit verloren wir jede Orientierung. Wir konnten ja die Sonne nicht sehen und als die Nacht kam, auch keine Sterne. Am nächsten Morgen stöberte uns ein Wiesel auf, ein Großwiesel.
Ich weiß nicht, was sie mit einem machen, ich habe seit damals nie wieder eins gesehen, El-ahrairah sei's gedankt, aber wir saßen damals alle drei hilflos da, während es Mian totmachte; sie gab keinen Laut von sich. Irgendwie kamen wir davon, aber Fescue war in einer schlimmen Verfassung, er weinte und gebärdete sich wie wahnsinnig, der arme, kleine Kerl. Und schließlich, etwas nach ni-Frith am zweiten Tag, beschlossen wir, wieder zum ursprünglichen Gehege zurückzukehren.
Das war leichter gesagt als getan. Ich glaube, wir sind lange Zeit im Kreis gewandert. Jedenfalls waren wir am Abend in die Irre gelaufen wie am ersten Tag, und wir wankten einfach hilflos und hoffnungslos weiter. Aber auf einmal lief ich einen Hang hinunter und durch einen Brombeerstrauch hindurch - und da war ein Kaninchen, ein Fremdling, ganz nah vor mir. Er war beim silflay, stöberte durch das Gras, und hinter ihm sah ich das Loch seines Baus, genauer gesagt mehrere Löcher auf der anderen Seite der Mulde, in der wir standen.
Ich war ungeheuer erleichtert und froh und wollte gerade zu ihm gehen und es ansprechen, aber da war etwas, was mich zurückhielt. Und als ich innehielt und es ansah, dämmerte es mir, wo wir hier hineingestolpert waren.
Der Wind, was an Wind jedenfalls da war, kam aus seiner Richtung, und mitten im Grasen hörte es auf und machte hraka. Ich war ganz nah, aber da war nichts zu riechen, gar nichts, da war nicht die Spur eines Geruchs. Wir waren unbedacht durch das Gestrüpp gestolpert, direkt vor ihm, und es hatte nicht einmal aufgeschaut, nicht einmal zu erkennen gegeben, daß es uns bemerkt hatte. Und dann sah ich etwas, was mich jetzt noch schaudern läßt - ich werde das nie vergessen können. Eine Fliege, eine dicke Schmeißfliege, flog ihm genau ins Auge. Das Kaninchen zwinkerte nicht und schüttelte auch nicht den Kopf. Es graste weiter, und die Fliege ... sie verschwand einfach. Gleich darauf sprang es eine Körperlänge vorwärts, und ich sah sie auf dem Gras, dort, wo sein Kopf gewesen war.
Fescue stand neben mir, und ich hörte ihn aufstöhnen. Und als ich das hörte, wurde mir bewußt, daß in der Mulde, in der wir waren, kein anderer Laut hörbar wurde. Es war ein schöner Abend mit einer leichten Brise, aber da sang keine Amsel, da raschelte kein Blatt - nichts. Die Erde rund um alle Kaninchenlöcher war kalt und hart - aber nirgends ein Kratzer, nirgends eine Markierung. Ich wußte dann, was es war, das ich sah, und war meiner Sinne - Sicht, Geruch - auf einmal nicht mehr mächtig. Eine Art von Ohnmacht erfaßte mich, die ganze Welt kippte unter mir weg, und ich war ganz allein an diesem fürchterlichen Ort der Stille, wo es keine Gerüche gab. Wir waren in einem unirdischen Niemandsland. Ich sah kurz aus dem Augenwinkel auf Stitchwort, der neben mir stand und aussah wie ein Kaninchen, das in der Schlinge erstickt.
Und da sahen wir den Jungen. Er kroch seitlich von uns auf dem Bauch durchs Gestrüpp, in Richtung Kaninchen, gegen den Wind. Es war ein großer Junge, und ich kann nur sagen, die Menschen haben vielleicht einmal so ausgesehen wie er, aber jetzt nicht mehr. Er war von einer schmutzigen, fremdartigen Wildheit, so wie der ganze Ort. Er hatte ein dummes, grausames Gesicht mit schlechten Zähnen und großen Warzen auf einer Backe. Seine Kleider waren verdreckt und zerrissen. Er trug alte Stiefel, die viel zu groß für ihn waren. Auch er machte kein Geräusch und hatte keinen eigenen Geruch.
In einer Hand hielt er einen gegabelten Stock mit einer daran befestigten Art von Schlinge, und ich sah, wie er einen Stein hineinlegte, die Schlinge fast bis zu seinem Auge zurückzog. Dann ließ er los, und der Stein flog auf das Kaninchen und traf es am rechten Hinterbein. Ich hörte den Knochen brechen, und das Kaninchen sprang auf und schrie. Ja, das hörte ich genau - und ich höre es immer noch und träume davon. Könnt ihr euch vorstellen, wie sich ein Schrei ohne Atemluft, ohne Lunge, anhört? Er schien eher aus der Luft als von dem strampelnden Kaninchen auf dem Gras zu kommen. Es war, als hätte der ganze Ort geschrien.
Der Junge stand auf, lachte gackernd, und auf einmal schien das ganze Tal von Kaninchen zu wimmeln, die wir aber nicht sahen, und alle liefen sie zu diesen kalten, leeren Bauen. Der Junge war sehr erfreut über das, was er getan hatte, das konnte man sehen. Nicht nur, weil er selber ein Kaninchen erlegt hatte, sondern daß es verletzt war und schrie. Er ging zu ihm, tötete es aber nicht.
Er stand über ihm und sah zu, wie es mit den Beinen zuckte. Das Gras war blutig, aber seine Stiefel hinterließen keinen Abdruck, weder auf dem Gras noch auf der Erde.
Was als nächstes geschah, weiß ich nicht, und Frith sei Dank werde ich es niemals wissen. Ich glaube, mein Herz wäre mir stehengeblieben, ich wäre gestorben. Doch plötzlich hörte ich etwas, wie ein Geräusch, das draußen allmählich näherkommt, wenn man unter der Erde ist, nämlich Männerstimmen, und ich roch die brennenden weißen Stäbchen. Wie froh war ich da, froh wie ein Zeisig im hohen Gras, als ich die Stimmen hörte und das weiße Stäbchen riechen konnte. Gleich darauf zwängten sie sich durch die blühenden Schlehdornbüsche, und die weißen Blütenblätter fielen überall zu Boden. Es waren zwei Männer, groß und nach Fleisch riechend, und sie sahen den Jungen, ja, sie sahen ihn und riefen ihn an.
Wie kann ich euch nur den Unterschied zwischen den Männern und dem ganzen Ort erklären? Erst, als sie durch das Dornengestrüpp brachen, begriff ich, daß das Kaninchen und der Junge - und ... alles da ... so wie Eicheln waren, die vom Baum fielen. Ich habe einmal ein hrududu gesehen, das allein einen Hang hinunterrollte. Der Mann hatte es oben stehenlassen und vermutlich irgend etwas falsch gemacht -es rollte langsam in einen Bachlauf unten und blieb dort stehen.
So ähnlich war das mit denen auch. Sie taten, was sie tun mußten ... sie hatten gar keine Wahl ... sie hatten das alles schon einmal getan ... sie würden es immer wieder tun ... ihre Augen waren glanzlos ... es waren Wesen, die weder sehen noch fühlen konnten -«
Coltsfoot verstummte und würgte. In der Totenstille verließ Fiver seinen Platz und legte sich neben ihn, zwischen die Wurzeln, und sprach so leise auf ihn ein, daß niemand es hören konnte. Nach einer langen Pause setzte sich Coltsfoot auf, schüttelte die Ohren und fuhr fort.
»Diese ... Bilder ... diese Dinge ... das Kaninchen und der Junge ... die schmolzen, vergingen, noch während die Männer redeten. Sie lösten sich auf, so wie Reif auf dem Gras, wenn man es anhaucht. Und die Männer ... sie bemerkten nichts Besonderes. Ich glaube jetzt, daß sie den Jungen sahen und ihn ansprachen, so wie in einer Art Traum, und als er und sein armes Opfer verschwanden, hatten sie keine Erinnerung mehr daran. Sei dem, wie es wolle, sie waren offenbar gekommen, weil sie das Kaninchen schreien gehört hatten, und man sah auch sofort den Grund.
Einer von ihnen trug ein Kaninchen, das an der Weißen Blindheit gestorben war, ich sah diese armen Augen und erkannte auch, daß der Körper noch warm war. Vielleicht wißt ihr nicht, was das für ein schmutziges Geschäft der Menschen ist; sie stecken nämlich den noch warmen Körper eines toten Kaninchens in ein Loch in einem Kaninchenbau, bevor die Flöhe seine Ohren verlassen haben. Wenn die Leiche dann kalt wird, gehen die Flöhe zu den anderen Kaninchen und stecken sie mit der Mondblindheit an. Man kann nichts anderes tun als wegrennen - vorausgesetzt, man merkt noch zur rechten Zeit, welche Gefahr droht.