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Bald erhellte sich der Himmel hinter ihnen, als der neue Tag sich nach der kurzen Sommernacht meldete. Als die Sonne aufging, spähte El-ahrairah nach vorn in der Hoffnung, er könnte sehen, was auf der anderen Seite des Sumpfes lag, doch sah er da auch nichts anderes als trostlose Wildnis. Wie lange noch, fragte er sich, bis sie Hunger bekämen und übermüdet wären? Wenn noch ein ganzer Tag im Sumpfgebiet vor ihnen läge, würden sie sich wahrscheinlich in Grüppchen aufteilen, in die Starken und Nicht-so-Starken. Schlimmer noch, sie würden nach allen Richtungen laufen auf der Suche nach etwas Freßbarem, und das wäre tödlich. Er teilte Burdock und Celandine seine Befürchtungen mit und schlug vor, daß sie sich wieder unter ihre Kaninchen mischten, um sie unter allen Umständen zusammenzuhalten. »Wenn sie nur tun wollten, was ich ihnen sage«, erwiderte Celandine. »Neuerdings machen sie, was sie wollen, wenn ich was sage. Es ist leider so: Uns ging's viel zu lange viel zu gut.« Darauf wußte El-ahrairah nichts zu antworten.

Er wollte gerade die Führung von Rabscuttle übernehmen, als ein Reiher herabflog und neben ihnen watete. Er war nicht gut aufgelegt. »Was in aller Welt macht ihr ekelhaften Kaninchen hier?« keifte er Rabscuttle an. »Dieser Sumpf gehört mir und meiner Familie. Wir wollen hier kein Kaninchenpack. Warum haut ihr nicht ab?«

El-ahrairah erklärte ihm, daß sie eben das beabsichtigten zu tun. Er erzählte dem Reiher von den Ratten und ihrem dadurch erzwungenen Nachtmarsch.

»Du meinst also, du willst hier so schnell wie möglich raus?« fragte der Reiher. »Wenn das alles ist, dann zeig ich dir gern den Weg.«

»Wir wären überglücklich, wenn du uns führen könntest«, sagte El-ahrairah. »Aber bedenke bitte, wir können nicht waten. Der Schlamm, der dir bei deinen langen Beinen keine Schwierigkeiten macht, ist für uns eine tödliche Gefahr. Ist es noch weit, bis wir draußen sind?«

»Nicht weit«, antwortete der Reiher kurz angebunden.

»Das ist die beste Nachricht seit langem«, sagte El-ahrairah.

Er übernahm die Führung gleich hinter dem Reiher, doch wie er befürchtet hatte, wurde es hochgefährlich. Trotz seiner Erklärung verstand der Reiher einfach nicht, daß Kaninchen nicht in der Lage waren zu waten, und als El-ahrairah versuchte, ihm das klarzumachen, wurde der Reiher erst ungeduldig, dann ärgerlich. Doch nachdem er längere Zeit die Beleidigungen und Beschimpfungen des Reihers stumm über sich ergehen ließ, konnte er doch den Reiher schließlich dazu überreden, sie über festen Boden zu führen, wo sie nicht einsinken würden, und Stellen zu vermeiden, die zwar nicht für Reiher, wohl aber für Kaninchen trügerisch wären. Als der Reiher endlich den Unterschied begriffen hatte, wurde seine Führung besser, wenn auch nicht immer vollends verläßlich. Er verhielt sich weiterhin barsch und unfreundlich, und offenbar, dachte El-ahrairah, war es ihm völlig egal, ob da ein paar Kaninchen mehr oder weniger im Sumpf ertranken. Er trug seine Verachtung für sie offen zur Schau, und El-ahrairah wußte, daß er seine Beherrschung nicht verlieren durfte.

Immerhin kamen sie gut vorwärts, besser als zuvor. El-ahrairah gestand sich ein, daß sie über einen Boden gingen, dem er selber nicht ohne weiteres vertraut hätte. Doch im Gegensatz zur Aussage des Reihers waren sie noch lange unterwegs. Gegen ni-Frith kämpften sie sich immer noch durch Schilf und Grasbüschel, und nichts deutete darauf hin, daß es je besser würde. El-ahrairah war in einem quälenden Zwiespalt; er konnte es nicht wagen, die Führung abzugeben, nicht einmal dem erschöpften Rabscuttle, und er wagte auch nicht, seinen Posten zu verlassen, um zurückzufallen und die Kaninchen am Ende des Zugs aufzumuntern und zusammenzuhalten. Er war selber so müde wie noch nie in seinem Leben, und auch Rabscuttle war sichtlich völlig ausgelaugt, trotz seiner tapferen Versuche, es zu verbergen. In welcher Verfassung würden dann die anderen Kaninchen sein? Er trug Rabscuttle auf, die letzten abzuwarten und dann zu berichten, wie es hinten aussähe.

Er bat den Reiher zu warten, bis sie gerastet hätten, aber der tat das derartig mißmutig, daß El-ahrairah fürchtete, er könnte sie im Stich lassen.

»Warum können deine verdammten Kaninchen nicht fliegen?« fragte er. »Ihr wärt gleich draußen, wenn ihr fliegen könntet wie jedes andere anständige Geschöpf.«

»Ich wünschte, wir könnten's«, antwortete El-ahrairah, »daß wir's nicht können, ist halt der Wille von Frith unserem Herrn.«

Im selben Augenblick war Rabscuttle neben ihm. »Meister, zwei Kaninchen fehlen. Und jetzt sind sie hinten ziemlich am Boden.«

Ob wohl der ganze Zug auseinanderfiele, fragte sich El-ahrairah. Besser weitergehen, bevor das passierte. Er bat den Reiher, so gütig zu sein und weiterzumachen.

Und dann sah er kurz darauf eine Reihe von Kastanienbäumen oberhalb eines grünen Hanges, weit über ihrer eigenen Höhe. Sogleich kletterten sie hinauf, und der Boden unter ihren Pfoten war trocken. »Wir sind draußen, stimmt's?« fragte er den Reiher. »Aus dem Sumpfgebiet heraus?«

»Ja«, antwortete der Reiher. »Kommt nie wieder her, versteht ihr?« Damit erhob er sich, ohne auf Dank zu warten, und schwang sich mit seinen schweren Flügeln langsam in die Lüfte.

El-ahrairah war im Handumdrehen auf dem Hang. Die freiliegenden Wurzeln einer Kastanie waren strohtrocken unter seinen Pfoten. Rabscuttle stand neben ihm. Noch nie hatte er sich so erleichtert gefühlt.

Das nächste Kaninchen, das er sah, war Burdock, der in der Nähe saß und zusah, wie seine Kaninchen aus dem Sumpfgebiet heraus auf den Hang kletterten. Burdock war in einer Krise als Leitkaninchen vielleicht nicht viel wert, aber jetzt zeigte er sich von einer anderen Seite. Er kannte all seine Kaninchen beim Namen, begrüßte jedes einzelne und beglückwünschte es zu seinem Mut und seiner Entschlossenheit. Und seine Kaninchen wiederum zeigten ganz offen, daß sie ihn mochten und achteten. Er erwähnte auch die fehlenden Kaninchen und betrauerte ihren Verlust. »Yarrow und Kingcup«, sagte er bedauernd und voller Kummer zu El-ahrairah. »Zwei der besten Kaninchen im Gehege. Wir hätten auf jedes andere eher verzichten können, aber nicht auf diese beiden.« El-ahrairah hatte sich nie die Mühe gemacht, sich die Namen so vieler Kaninchen zu merken, und war beschämt.

Oben auf dem Hang fanden sie eine große üppige Wiese, wo das hohe Mittsommergras noch nicht gemäht worden war.

Die erschöpften Kaninchen krochen hinein, fraßen und fielen sofort in Schlaf.

»Laß sie nur«, sagte Burdock. »Sie haben's verdient.« El-ahrairah sah keinen Grund, dem zu widersprechen.

10. Die schreckliche Heumahd

In der Natur gibt es weder Belohnung noch Bestrafung, es gibt nur Folgen.

Horace Annesley Vachell (The Face of Clay)

Die meisten Kaninchen schliefen im hohen Gras der Wiese bis zum frühen Morgen des folgenden Tages oder blieben einfach so lange liegen. Am Abend zuvor hatten sich El-ahrairah und Rabscuttle allerdings noch umgesehen. Das erste, was ihnen sofort auffiel, war ein Farmhaus mit Hof und Scheunen - und zwar in gefährlicher Nähe; darüber waren beide einer Meinung.

»Ich weiß nicht, wozu sie sich entschließen werden«, sagte El-ahrairah, »aber lange können sie hier nicht bleiben, soviel steht fest. So eine plötzliche Invasion von einer Horde Kaninchen in nächster Nähe, das merken die Farmleute sofort. Und du weißt, was das heißt: Gewehre, Hunde, vielleicht sogar Gift, also jedenfalls erbarmungslose Jagd. Sie müssen weg von hier.«

»Wie denn, zurück über das Sumpfgebiet, Meister?« fragte Rabscuttle. »Das machen sie doch bestimmt nicht.«

»Also, wenn doch, dann allerdings ohne dich und mich«, entgegnete El-ahrairah. »Wir müssen unseren kleinen Spaziergang nach Hause wieder aufnehmen.«