»Gut, gut«, erwiderte El-ahrairah ruhig. »Ich werde dich nicht mehr belästigen.«
Es war sein voller Ernst, aber das war vor der Katze.
Die Katze, schwarz-weiß mit kurzem Fell, trat erstmals zwei Tage später am frühen Abend auf. Sie kam langsam aus der Umgebung des Farmhauses heran, pausierte hier und da und schaute auf alles, was im Augenblick ihr Interesse wachrief. Bald erreichte sie den Rand der Wiese mit dem hohen Gras und wanderte dort entlang, offenbar ohne ein bestimmtes Ziel, denn sie ging sehr langsam, setzte Schritt vor Schritt. Sie trug ein schmales Lederhalsband und sah gepflegt und wohlgenährt aus. Sie war jedenfalls nicht auf der Jagd.
El-ahrairah und Rabscuttle dösten auf der Böschung oberhalb des Sumpfes, als sie die herankommende Katze bemerkten. Sie waren sofort hellwach und fluchtbereit. Doch die Katze stolzierte im Abstand von ein paar Metern an ihnen vorbei, ohne ihnen die geringste Beachtung zu schenken. Dennoch wäre es empfehlenswert, dachte El-ahrairah, etwas weiter abzurücken. Das wollte er gerade tun, als plötzlich Celandine neben ihm stand.
Celandine atmete schwer; er betrachtete die Katze angespannt, mit wachsamer, angriffslustiger Miene. Nach einer Weile fragte er El-ahrairah: »Siehst du diese verdammte Pestbeule da drüben?«
»Ja, natürlich«, erwiderte El-ahrairah.
»Wir werden sie totmachen«, sagte Celandine.
»Noch in diesem Jahr oder erst im nächsten?« fragte El-ahrairah, der das für einen Witz hielt.
»Du glaubst mir nicht?« fragte Celandine. »Dann laß dir sagen, es wäre nicht das erste Mal, daß unsere Owsla eine Katze totgemacht hat.«
»Ich habe noch nie gehört, daß Kaninchen Katzen angreifen«, sagte El-ahrairah, »ausgenommen Muttertiere, die ihren Wurf verteidigen.«
»In dem Gehege, wo du uns das erste Mal getroffen hast«, sagte Celandine, »war eine Katze in der Nähe, die herumgejagt hat und sich allmählich als Quälgeist erster Klasse entpuppte, und nach einer Weile hatte unsere Owsla genug davon und machte sie tot. Das war, als Betony der Owsla-Hauptmann war, da war ich noch klein.«
»Und was ist passiert?« fragte El-ahrairah.
»Was meinst du mit >Was ist passiert?<« fragte Celandine zurück.
»Sind Menschen gekommen, um sie zu suchen, hat einer von ihnen die Tote weggebracht?«
»Nein, nichts dergleichen«, erwiderte Celandine. »Ich glaube, die Ratten haben sich um das Aas gekümmert. Irgend jemand jedenfalls.«
»Und du willst jetzt zeigen, daß du so gut wie Betony bist und willst die Katze töten?«
»Richtig. Drei oder vier von meiner Owsla sind ganz wild darauf.«
»Na, gut«, sagte El-ahrairah. »Ich bitte dich, ich flehe dich an, mich anzuhören, bevor du etwas tust. Nach allem, was du mir erzählt hast, war die Katze, die dein Hauptmann Betony getötet hat, eine Streunerin. Sie gehörte keinem Menschen.
Sie wanderte einfach herum. Aber die Katze da drüben gehört zum Farmhaus. Sie trägt ein Halsband und ist gut genährt, wie man sieht. Und sie riecht nach Menschen. Ich habe das von hier aus riechen können, als sie gerade vorbeistrich. Vertreib sie, wenn du's nicht lassen kannst, aber wenn du sie totmachst, dann kommen die Menschen vom Farmhaus hinter dir her, mit allem, was sie haben. Für sie wäre das der letzte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Ihr habt den Gemüsegarten ruiniert und im Kirschgarten viel Schaden angerichtet. Ich wundere mich, daß sie noch nicht alles getan haben, um euch alle auszulöschen. Nimm meinen Rat an, Celandine. Laß um Frith' willen die Katze in Ruhe.«
»Ich werde drüber nachdenken«, meinte Celandine. »Aber du mußt zugeben, die freche Katze fordert ihr Unglück doch selber heraus.«
Während der nächsten paar Tage warteten Celandine und drei seiner Owsla-Genossen geduldig im hohen Gras auf die schwarz-weiße Katze, die aber nicht wieder erschien. Erst mehrere Tage später sprang sie am frühen Abend wieder am Wiesenrand herum und inspizierte die Umgebung wie gehabt.
Von Celandines Standpunkt aus war die Gelegenheit optimal. Die Katze legte sich in die Sonne, ihrer Lauerstellung fast direkt gegenüber, wälzte sich auf den Rücken und putzte sich den Bauch. Als die vier Kaninchen auf sie sprangen, war sie vollkommen überrascht. Dennoch kämpfte sie, miaute und biß wild um sich; ihre Krallen waren wirksamer als die der Kaninchen, und sie war gewöhnt, sie auch zu benutzen. Sie wäre auch gewiß noch entwischt, hätte Celandine. sie nicht mit tollkühner Verwegenheit angegriffen. Ihre Rückenlage bot ihm die Gelegenheit, die stärkste Waffe eines Kaninchens einzusetzen: die Hinterläufe. Im Sprung landete Celandine auf ihrer Brust, stieß einen Hinterlauf in ihren Bauch und trat nach hinten aus. Damit war alles entschieden. Mit aufgerissenem, schrecklich verwundetem Leib und heraushängenden Eingeweiden kämpfte sie noch, kratzte wütend und schlug ihre Zähne in Celandines Gurgel, so daß er ihr tatsächlich ausgeliefert war. Doch in diesem Augenblick verließ sie die Kraft; ächzend rollte sie auf die Seite, und kurz darauf war sie tot. Celandine und seine Kaninchen, mit dem Blut der Katze und dem eigenen Blut befleckt, entflohen durch das hohe Gras.
Erst als es beinahe ganz dunkel war, entdeckte ein Mädchen von der Farm die tote Katze und trug sie so blutig, wie sie war, bitterlich weinend hinweg.
El-ahrairah war selber nicht Zeuge, wie Celandine und seine Kaninchen die Katze töteten, aber Rabscuttle war da, hatte alles mitangesehen und erzählte es ihm, und er hatte auch das weinende Mädchen bemerkt, das die Katze wegbrachte.
»Sollten wir uns jetzt nicht aufmachen, Meister?« fragte Rabscuttle. »Wir wollen doch nichts mit denen hier zu tun haben, oder? Wir könnten erschossen werden ... oder ... na ja, was immer diese Menschen jetzt tun werden.«
»Ja, jetzt gehen wir«, antwortete El-ahrairah. »Aber ich bin noch nicht ganz bereit. Halte mal Ausschau und melde mir sofort, wenn du siehst, daß die Menschen sich irgendwie anders verhalten als sonst.«
Nichts geschah jedoch am nächsten Tag und genausowenig am übernächsten. Aber drei Tage, nachdem die Katze getötet worden war, weckte Rabscuttle El-ahrairah ungewöhnlich früh und berichtete ihm, daß ein Haufen Männer auf die Wiese kamen, die meisten mit Stöcken und einer mit einem Gewehr. El-ahrairah kroch unter einen Weißdornbusch, an eine Stelle, von wo aus sie beide die Männer beobachten konnten, die im Augenblick noch nichts taten; sie standen nur herum, verbrannten weiße Stäbchen im Mund und redeten miteinander.
Nach einiger Zeit gingen zwei Männer weg und kamen auf einem hrududu mit einer angehängten Mähmaschine wieder. Sie fuhren damit zum Wiesenrand und begannen, die ganze Wiese in großen Kreisen abzumähen. Sie zogen die Kreise immer etwas enger. Die anderen Männer hatten sich inzwischen am Wiesenrand verteilt und bewegten sich langsam über das abgemähte Feld der Mitte zu. El-ahrairah wußte zwar, daß das ganze Feld voller Kaninchen war, sah aber keines herauskommen. Da wurde ihm klar, daß sie im hohen Gras versteckt bleiben wollten und zur Mitte krochen, während um sie herum gemäht wurde.
Schließlich blieb das hrududu geräuschlos stehen. Da war ein Stück in der Mitte ungemäht geblieben, und die Männer stellten sich darum herum auf.
»Also gut, wir gehen jetzt«, sagte El-ahrairah und fing an zu rennen so schnell er konnte, weg von dieser Wiese, weg von dieser Farm, ins offene Gelände, das dahinter lag, und Rabscuttle folgte ihm auf dem Fuße. Er wollte die Männer nicht schreien hören, wenn sie mit den Stöcken schlagend vorwärtsgingen. Er wollte nicht sehen, wie Burdock und Celandine versuchten, den Kreis der Männer zu durchbrechen, davonhasteten und dann erschlagen wurden. Einer oder zwei kamen durch, aber der Mann mit dem Gewehr verfehlte keinen.