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»Wir haben einen weiten Weg hinter uns und haben viele Schwierigkeiten und Gefahren überwunden. Wir wissen, daß du der Herr dieses Waldes bist und nach Belieben retten oder töten kannst. Ich bitte dich, Herr, geduldig zuzuhören, und ich werde dir erzählen, was wir durchgemacht haben und wie wir hergekommen sind.«

Darauf hockte sich El-ahrairah im Licht des abnehmenden Mondes zu Füßen des lendri nieder und erzählte ihm von König Darzin und der Misere seiner Kaninchen, wie Rabscuttle und er dem Schwarzen Kaninchen von Inle entgegengetreten waren und welchen Gefahren sie seither auf ihrer Reise trotzen mußten. »Und wir bitten dich, Herr«, endete er, »daß du uns deinen Schutz gewährst und uns hilfst, dieses letzte Hindernis vor unserer friedlichen Heimkehr zu überwinden. Wenn es irgend etwas gibt, womit wir dir helfen oder von Nutzen sein können, sind wir dazu gern bereit. Ein Wort genügt, und was du verlangst, wird geschehen.«

»Ich hab' meine Burg hier in der Nähe«, sagte der lendri grollend. »Ihr kommt jetzt besser mit! «

Sie liefen mit ihm den verfilzten Waldrand entlang so gut es eben ging und kamen zu einer flachen Grube, in der auf einer Seite ein großes Loch war. Davor lag ein Erdhaufen, vermischt mit verdorrtem Gras und Farnen. Der lendri verschwand im Loch, und die Kaninchen folgten ihm.

Das Innere war einschüchternd: ein Irrgarten von Tunnels nach allen Richtungen und offenbar sehr weitläufig. Tatsächlich waren die Tunnels so lang, daß die Kaninchen den lendri um eine Rast baten. Aber schon bald darauf wurde er ungeduldig und ging wortlos weiter, so daß sie gezwungen waren, hinter ihm herzustolpern, so gut es ging, sonst wären sie allein im Dunkeln zurückgeblieben.

Schließlich verhielt er an einer Stelle, die sich von keiner anderen im Tunnel unterschied, außer daß sie mit Stroh und trockenem Gras ausgelegt war und gewaltig nach Dachs stank. Der lendri legte sich hin, wartete auf die Kaninchen und fragte sie dann: »Wie habt ihr euch denn das gedacht, daß ihr mir von Nutzen sein könnt?«

»Wir können dich mit Nahrung versorgen, Herr«, sagte El-ahrairah. »Sag uns, was du frißt, und das suchen wir und bringen's dir.«

»Ich fresse alles. Hauptsächlich Würmer, außerdem Käfer, Raupen, Maden und Schnecken aller Art, wenn sie zu finden sind.«

»Wir bringen dir jede Menge, Herr, wenn du uns nur durch den Wald führst, sobald du dazu bereit bist.«

»Dann fangt jetzt an.«

Er führte sie nach oben und zum Waldrand zurück. Und jetzt begann wohl die seltsamste Zeit, die die Kaninchen je erlebt hatten. Jeden Abend trafen sie sich mit dem lendri und gingen mit ihm auf Nahrungssuche, manchmal auch im Wald, aber meist auf den Feldern und in den Gärten der Häuser. Es war ein langwieriges und ermüdendes Geschäft, denn der lendri war gefräßig und hielt sie bis Tagesanbruch auf Trab und manchmal auch länger. Für Kaninchen war es scheußliche Arbeit. Oft gruben sie in nasser Erde nach Würmern oder sammelten sie nach Regen vom Boden auf und nahmen sie ins Maul, um sie dem lendri zu bringen, nicht nur Würmer, sondern auch Schnecken und alles mögliche kleine Getier, das sie fanden. Obwohl es schon spät im Jahr war, stießen sie gelegentlich auf Fasanennester, deren Eier der lendri mit Wonne zwischen den Zähnen zermalmte. Oft konnten auch Mäuse erbeutet werden, da ihr Instinkt sie gegenüber Kaninchen arglos machte.

Anfangs ekelten sich die Kaninchen vor den Würmern und Schnecken im Maul, aber nach einer Weile hatten sie sich daran gewöhnt und empfanden nichts mehr dabei.

Schwerer zu ertragen war die Abneigung und Verachtung, die sie von Seiten ihrer Mitkreaturen erfuhren. Als sich herumsprach, was sie in den Feldern und Gehölzen machten, haßte und verabscheute sie alsbald jedermann. Mehrere Nächte hintereinander folgte ihnen ein Eichhörnchen von Baum zu Baum und zeterte: »Sklaven! Lendri-Sklaven! Macht zu, eilt euch, schneller, sonst wird der Meister böse!« In einer anderen Nacht stieß eine verwundete, hilflose Ratte höhnisch hervor: »Welche Freude für mich, daß ich den feigen Kaninchen dienlich sein kann.« Eulen ließen Warnrufe ertönen, wenn sie sich näherten, und Wühlmäuse keiften unflätige Beschimpfungen aus der Sicherheit ihrer Löcher heraus. Es war ein unerträglich niederdrückendes und unnatürliches Leben für Kaninchen, die ja von Natur aus gesellig und von allen Geschöpfen die vegetarischsten sind. Sie wurden mürrisch und verkehrten gereizt miteinander, und oft waren sie kurz davor, diese widerliche Arbeit hinzuwerfen und wegzulaufen. Dennoch aber wußten sie, daß der lendri ihre einzige Hoffnung war, heimzukommen.

Anfangs hatten sie noch angenommen, der lendri würde sie freundlicher behandeln, wenn sie sich erst einmal besser kennengelernt hätten. Das war jedoch nicht der Fall. Er verhielt sich weiterhin grob und unfreundlich. Er sprach selten, außer um Befehle zu geben oder vor einer Gefahr zu warnen oder zu schimpfen, wenn sie etwas falsch gemacht hatten. Er lobte niemals. El-ahrairah bemühte sich am Anfang sehr, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, doch der lendri schwieg nur oder hörte gar nicht zu. Ihre Wachsamkeit ließ nach, sie wurden langsamer und unempfänglicher für die zahllosen Signale, die gesunde Kaninchen fortwährend vom Wind, von Gerüchen, Geräuschen und Bewegungen ringsum empfangen.

Eines naßkalten Morgens, als sie beide nach einer langen Nacht mit vielen Wurmlieferungen völlig erschöpft waren, fragte Rabscuttle: »Meister, glaubst du nicht, wir könnten den lendri dazu bringen, uns zu sagen, wann er uns gehen läßt und uns durch den Wald führt? Ich weiß nämlich nicht, wie lange ich das noch aushalten kann, und du siehst auch nicht mehr so gut aus, und riechen tust du auch ziemlich schlecht.«

El-ahrairah nahm all seinen Mut zusammen und fragte den lendri in dieser Nacht, aber die einzige Antwort war: »Wenn ich dazu bereit bin. Arbeitet mehr, und dann könnte ich es einmal erwägen.«

Eines Nachts trafen sie einen Hasen im Feld. Nach den üblichen verletzenden Ausdrücken der Verachtung sagte er: »Warum ihr das macht, kann ich mir nicht vorstellen und auch niemand sonst.« El-ahrairah erklärte ihm den Grund. »Glaubt ihr denn im Ernst, der lendri ließe euch gehen und würde euch zu eurem Heimweg verhelfen?« fragte der Hase. »Natürlich nicht. Der behält euch einfach und läßt euch arbeiten, bis ihr tot umfallt oder weglauft.«

Das stürzte El-ahrairah in tiefe Verzweiflung. Doch ohne daß sie es wußten war Frith der Herr seinen treuen Kaninchen näher, als sie glaubten.

Ein paar Nächte später gruben sie in der Nähe vom Dachsbau nach Würmern. Da bemerkte Rabscuttle eine Stelle, wo der Boden vor kurzem bewegt worden war. »Komm mal her, Meister«, sagte er, »und sieh dir diese lockere Erde an. Das ist noch nicht lange umgegraben worden. Das war kürzlich hier noch nicht so. Gute Stelle für Würmer jetzt, was meinst du?«

Sie gruben in der lockeren Erde. Sie waren noch nicht tief gekommen, als El-ahrairah innehielt, schnüffelte und zögerte. »Komm mal her, Rabscuttle, und sag mir, was du davon hältst.«

Rabscuttle schnüffelte auch. »Da ist was vergraben worden, Meister, noch nicht lange her. Etwas Lebendiges war das, ist aber jetzt nicht mehr lebendig. Sollen wir's lieber in Ruhe lassen?«

»Nein«, antwortete El-ahrairah. »Wir machen weiter.«

Sie gruben tiefer. »Meister, da ist eine Hand. Die Hand eines Menschen.«

»Ja«, sagte El-ahrairah, »die Hand einer Frau. Und wenn mich nicht alles täuscht, liegt der ganze Körper hier. Sonst würde es nicht so stark riechen.«

»Dann lassen wir's lieber in Ruhe, Meister.«