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Doch mehr und mehr Kaninchen gingen auf Abstand zu ihr. Sie sahen täglich die Jungkaninchen, die sich selbst überlassen waren, nicht jedoch die Ansteckungsgefahr der Weißen Blindheit, die nicht vorhanden war. Einige gingen schon hinaus zu Milmowns Jungen, um mit ihnen zu reden, und sagten ihnen, daß sie persönlich es vorzögen, wenn sie wieder ins Gehege gebracht werden könnten, doch es sei sehr schwierig für die Owsla, in dieser Sache eine Änderung herbeizuführen.

Eines heißen Sommerabends - ich lag schweratmend im überfüllten Bau des Hinterlauf-Kennzeichens - brachte mir der Fluß die Nachricht, daß mehrere Kaninchen, in Mißachtung der Owsla, gemeinsam Milmowns Junge ins Thinial-Gehege gebracht und ihnen einen leeren Bau für sich allein gegeben hatten. Als Flyairth selbst kam, um sie hinauszuweisen, traten ihr Weibchen entgegen, die zum Teil mit ihr zusammen selber Gründungsmütter des Geheges gewesen waren, und lehnten den Ausweisungsbefehl ab. Flyairth, ein schweres, robustes Weibchen, kämpfte mit ihnen und schlug zwei oder drei nieder. Aber gegen alle kam sie nicht an.

Mehrere Tage lang brachte uns der Fluß nichts Neues. Das empfangene Wissen sagte uns nur, daß Flyairth in hilfloser Wut von einer Gruppe Kaninchen zur anderen ging und mit aller Macht ihre Autorität geltend zu machen versuchte. Wir, die drei von uns in Efrafra, meinten, sie hätte die Sache besser einfach fallenlassen sollen. Aber sie war von der Furcht vor einer Blindheitsepidemie derart besessen, daß sie die Wahrscheinlichkeit und die Unwahrscheinlichkeit nicht gegeneinander abwägen konnte. Solange die geringste Möglichkeit bestand, daß die Krankheit nach Thinial kam, mußte sie alles Mögliche tun, um das zu verhindern. Nacht für Nacht brachte uns der Geheime Fluß nur immer wieder das Wissen, daß sie zornentbrannt und entschlossen blieb.

Ich werde nie vergessen, wie ich die halbe Nacht an der Bauwand in Efrafra lag und fühlte, wie Flyairths Wut mich überspülte, erstaunt, daß andere sie nicht auch fühlten. Denn es war bei weitem die stärkste und machtvollste Übermittlung von Wissen, die wir je gehabt hatten.

Flyairths Stellung als Anführerin hatte durch die Sache mit Milmowns Jungen sehr gelitten, besonders weil sie sich geweigert hatte nachzugeben.

Gerade zu dieser Zeit hatte sie ihren dritten Wurf. Sie mußte nun notgedrungen ihre leitende Position aufgeben, um sich um ihre Jungen kümmern zu können, und das verminderte ihren Einfluß im Gehege. Auch hatten einige Kaninchen gesagt, da sie immer noch nicht bereit sei, in der Sache von Milmowns Jungen nachzugeben, sollte sie besser ihre Führungsrolle abgeben.

Zu dieser Zeit nun verloren wir die Verbindung und erfuhren nichts mehr von Thinial oder von Flyairth und ihrer Verzweiflung. Aber das hatte nichts mit dem Geheimen Fluß zu tun. Der Grund war, daß Bigwig nach Efrafra kam und Offizier im Bau des Hinterlauf-Kennzeichens wurde, das heißt: bei uns. Wann hast du zum erstenmal Hyzenthlay wegen eines Ausbruchs angesprochen, Bigwig?«

»Das war am Abend des Tages, als ich zu eurem Kennzeichen kam«, antwortete Bigwig. »In meinem Bau, Hyzenthlay. Erinnerst du dich? Der Plan war, daß du die Weibchen für die Flucht aussuchst. Dann solltest du sie am selben Tag einweihen, und wir wollten am Abend dieses Tages ausbrechen. Je weniger Zeit sie zum Überlegen hätten, um so besser.«

»Aber es ging nicht an diesem Abend, weil Woundwort sich mit dir unterhalten wollte.«

»Also mußten wir es am nächsten Abend versuchen - als das Gewitter losging. Der Abend, an dem sie Nelthilta verhafteten.«

»Wie viele Nächte bist du tatsächlich in Efrafra geblieben?« fragte Vilthuril.

»Drei.«

»Ich erinnere mich«, sagte Hyzenthlay. »Ich war halb wahnsinnig vor Angst, weil alle Weibchen eine Nacht und einen Tag lang schon von der Flucht wußten. Unmöglich, daß das nicht ans Licht kommt, dachte ich. Und ich hatte ja recht. Wäre Nelthilta nur etwas früher festgenommen worden, wäre alles aus gewesen.«

»Meine letzte Nacht in Efrafra«, sagte Vilthuril, »das war die Nacht, in der wir alle von dem Plan wußten und gezwungen waren abzuwarten. Und das war auch die letzte Nacht, in der ich mich in den Geheimen Fluß legte, als einzige von uns dreien.«

»In dieser Nacht war ich dazu nicht aufgelegt«, berichtete Hyzenthlay. »Thethuthinnang und ich waren beide halbtot vor Angst, daß der Plan entdeckt würde.«

»In dieser Nacht«, erklärte Vilthuril, »erfuhr ich nichts, nicht mehr, als ich ohnehin von der wachsenden Gegnerschaft zu Flyairth schon wußte. Ich frage mich, wie alles ausging.«

»Und mir kommt es besonders merkwürdig vor«, sagte Hyzenthlay, »daß wir nicht die leiseste Ahnung haben, wo Thinial ist oder wo diese Kaninchen sind. Vielleicht sind sie viele Tagesreisen von uns entfernt, vielleicht sind sie auch ganz in der Nähe.«

»Das ist die unglaublichste Geschichte, die ich je gehört habe«, meinte Hazel.

Was jedoch Hazel und den anderen Kaninchen, die Vilthurils Geschichte gehört hatten, so unglaublich erschien, war nicht der unterirdische Fluß an sich. Beim Erleben von Phänomenen machte niemand eine Unterscheidung zwischen Unglaublichem und Glaubwürdigem. Der Begriff »unerklärlich« bedeutete ihnen nichts; sie brauchten ihn nicht. Soviel Unerklärliches - zum Beispiel die Mondphasen

- war Bestandteil ihres Lebens, daß sie es einfach zur Kenntnis nahmen. Dieser »Fluß« lag zwar außerhalb ihrer Erfahrungen, das ist wahr, aber soviel anderes auch. Was ihnen hingegen außergewöhnlich erschien war, daß Vilthuril diese Geschichte, diese Information - auf welche Weise auch immer - empfangen hatte, die doch von anderen Kaninchen handelte, von Kaninchen, die irgendwo weit weg lebten, von denen sie nicht eines jemals gesehen hatten. Ihrer Erzählung zufolge hatten diese fernen Kaninchen ihr ja nicht das Wissen, das sie empfangen hatte, irgendwie mitgeteilt, sondern es war über sie gekommen, fast so, als hätte sie selbst in Thinial gelebt. Wäre ihr dieses Wissen nicht durch einen unterirdischen Fluß zugeströmt - und zweifellos gab es in der ganzen Welt viele solcher Flüsse -, dann hätte sie es auf eine andere Weise gewonnen. Warum? Vermutlich, sagten einige, lag es einfach in der Luft und wurde zufällig von Kaninchen wie Fiver und Vilthuril aufgefangen - und das war in der Tat merkwürdig. Keineswegs, meinten andere; es war doch allgemein bekannt, daß Fiver und Vilthuril ungewöhnlich sensible Fähigkeiten besaßen.

Es gab kein allgemeines Einverständnis. Es war Blackberrys Verdienst, eine abschließende Formulierung zu finden, der jedermann zustimmen konnte, ohne sich etwas zu vergeben: »Ich glaube, in dieser Sache ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.«

13. Das neue Gehege

In der Kälte kamen sie an ... eine solche Reise just zur schlimmsten Zeit des Jahres ... das Wetter unwirtlich, die Tage kurz, die Sonne am fernsten Punkt ...

Bischof Lancelot Adrewes (Sermon 15, Of the Nativity)

Kehaar, die schwarzköpfige Möwe, flog westwärts über das Land zwischen Caesar's Belt und den Downs. Er flog niedrig, in unregelmäßigen Nordsüd-Kurven und landete nach Belieben hier und da, um auf irgendeinem einladenden Stück Boden etwas zu sich zu nehmen.

Er war nicht in bester Laune. Von Natur aus aggressiv und schnell gereizt wie die meisten Möwen, die sich gegen Myriaden von Artgenossen durchsetzen müssen, war es ihm nicht immer recht, von den Watership-Down-Kaninchen mit Aufgaben betraut zu werden. Kampfeslust an den Tag zu legen und ihre Feinde anzugreifen war eine Sache.

Auskundschaften eine andere. Vor fünf Monaten hatte er mit Wonne an ihrer Auseinandersetzung mit Efrafra teilgenommen, war im Sturzflug auf den berüchtigten General Woundwort hinabgestoßen, hatte die Flucht von Bigwig und den aus Efrafra ausbrechenden Weibchen gedeckt und ihnen geholfen, den Fluß hinab zu entkommen. Was er liebte, war die Attacke. Dennoch, nachdem ihm die Kaninchen das Leben gerettet hatten, als er verletzt und hilflos auf dem Down lag, war er bereitwillig zu dem Aufklärungsflug aufgestiegen, der unglücklicherweise mit seiner Entdeckung von Efrafra geendet hatte.