Nun war er gebeten worden, einen weiteren, ähnlichen Flug zu unternehmen, und das hatte ihn verstimmt, allerdings nicht so sehr, daß er ihn rundheraus abgelehnt hätte. Die Bitte war sehr taktvoll vorgetragen worden. Hazel wußte genau, daß Bigwig von all seinen Kaninchen Kehaars größter Bewunderer und Freund war, und hatte ihm listigerweise die Aufgabe übertragen, dem Vogel ihr Vorhaben und was er auskundschaften sollte zu erläutern.
»Wir möchten ein neues Gehege aufbauen, Kehaar«, hatte Bigwig erklärt und wich den orangefarbenen Möwenbeinen aus, die durch das ausgedünnte Novembergras hin und her stolzierten. »Denn unseres wird zu eng. Die Hälfte der Kaninchen wird von hier kommen, die andere Hälfte aus Efrafra. Wir möchten dich bitten, uns eine gute Stelle zu finden und dann nach Efrafra zu fliegen und Hauptmann Campion bitten, hinzukommen, um uns dort zu treffen und sich die Stelle anzusehen.«
»Was für 'ne Stelle wollt ihr?« fragte Kehaar. »Und wo soll sie sein?«
»Irgendwo auf der Seite des Sonnenuntergangs«, antwortete Bigwig, »etwa zwischen hier und Efrafra. Sie sollte nicht in der Nähe von Menschenhäusern oder Gärten sein, das ist sehr wichtig. Wir brauchen eine trockene Stelle, wo das Graben leicht ist. Ein Hang am Rand eines Dickichts, wo Menschen nicht oft hinkommen, mit einigen Büschen, um die Löcher zu verdecken - das wäre ideal.«
»Find' ich«, sagte Kehaar kurz. »Dann komm' ich und zeig' sie dir. Auch dem Kerl von Efrafra, ja?«
»Das wäre großartig, Kehaar. Fabelhafter Vogel! Was für einen Freund haben wir doch in dir! Was sollten wir ohne dich tun?«
»Brauchst nicht auf mich warten. Ich geh' jetzt. Komme morgen hierher. Du auch herkommen, ja?«
»Ich werde hier sein. Paß nur auf die Katzen auf!«
»Djack! Verdammte Katze, die fängt mich nicht mehr.«
Dieses sagend, stieg er auf und flog südwärts, in die kalten Sonnenstrahlen hinein. Er flog über Hare Warrens Farm und dann hinunter zu einem Gehölzstreifen, den man »Caesar's Belt« nannte. Hier machte er eine Imbißpause und plauderte ein Weilchen mit einigen Möwendamen.
Eine von ihnen sagte: »Da kommt schlimmes Wetter auf uns zu. Sehr übles Wetter. Schlimmer als alles, was wir erlebt haben. Schnee und bittere Kälte aus Westen. Wenn du nicht sterben willst, Kehaar, dann such dir besser irgendeine Unterkunft.«
Kehaar flog weiter nach Westen und fühlte schon mit dem rätselhaften und unerklärlichen Instinkt seiner Art die herankommende Kälte, vor der ihn die Zufallsbekanntschaft gewarnt hatte. Er murmelte »Verdammte Kaninchen fliegen nicht« und gelangte bis nach Beacon Hill, bevor er kehrtmachte und weiter nach Norden flog. Bald fand er eine Stelle für ein Gehege, so ideal, wie sie ein Kaninchen sich nur wünschen konnte: ein abgelegener, niedriger Hang, der nach Südwesten ging, am Rand eines Eschen- und Birkenwäldchens. Davor erstreckte sich ein Grasland, auf dem jetzt drei oder vier Pferde weideten.
Er landete und schaute sich um. Natürlich kamen hier öfter Männer her, um nach den Pferden zu sehen, aber nichts wies darauf hin, daß diese Wiese je umgepflügt würde. Er sah auch keine Merkmale anderer Kaninchen hier - keine Löcher, kein hraka. Einen besseren Platz würde er bestimmt nicht finden. Er lag, wie er glaubte, näher an Efrafra als am Watership Down, aber angesichts so vieler Vorteile sprach nichts gegen diese Stelle.
Am folgenden Tag traf er Bigwig, zusammen mit Hazel, Groundsel und Thethuthinnang und erzählte ihnen von seiner Entdeckung. Hazel lobte ihn überschwenglich und bat ihn, nach Efrafra zu fliegen, Campion zu berichten und zu hören, wie bald dieser zu einem Treffen an Ort und Stelle kommen könnte.
Die Vorbereitungen zu diesem Treffen waren nicht ganz einfach und mit bestimmten Gefahren verbunden. Campion müßte von Kehaar geführt werden, den die Menge der Aufgaben, die ihm abverlangt wurden, ohnehin schon verdroß. Doch die Kaninchen vom Watership Down müßten gleichfalls geführt werden. Das hieß, daß eine Gruppe am Ziel auf die Ankunft der anderen warten müßte. Da drohten Gefahren von elil. Es dauerte eine Weile, bis alles arrangiert war. Campion sandte eine Nachricht: Er würde aufbrechen, sowie Kehaar ihn verständigt hätte, daß die anderen den Hang erreicht hatten und ihn erwarteten. Dies allerdings bedeutete, daß die Kaninchen vom Watership Down zumindest eine Nacht und einen Tag im Freien zubringen müßten.
»Nun, das ist nicht zu ändern«, meinte Hazel, »und wenigstens haben wir Kehaar noch über Nacht, der jeden elil, der vielleicht auftaucht, sofort attackiert. Ich bin bereit, morgen aufzubrechen, wenn wir in einem Tag hinkommen können.«
»Ja, in einem Tag kommste hin«, sagte Kehaar. »Ich bring' dich, und am nächsten Tag flieg' ich zu Efrafra und bring' Meister Campion vor Dunkelwerden.«
Sie kamen am frühen Abend am Zielort an, und nach dem silflay in der Wiese legten sie sich ins hohe Gras, um zu schlafen.
In der Nacht, im fahlen Licht des Mondes, griff sie ein Hermelin an, leichter Beute völlig sicher, doch hatte er nicht mit Kehaar gerechnet. Vom Angstgeschrei der Kaninchen alarmiert, stürzte sich die Möwe von dem Eschenast, auf dem sie geruht hatte, und brachte dem Hermelin schwere Wunden bei, bevor es diesem gelang, sich frei zu machen und ins Unterholz zu fliehen. »Ich hab' ihn nicht totgemacht«, sagte Kehaar bedauernd, als die Kaninchen ihm dankten, »aber der hat sich sehr gewundert, der kommt bestimmt nicht zurück.«
Am folgenden Morgen besprach sich Groundsel mit Hazel und Bigwig. »Mich erschreckt so leicht kein elil«, sagte er. »Das hat Woundwort gewußt, und deswegen hatte er mich für den Angriff auf euer Gehege ausgesucht. Aber ich habe keine Lust, irgendwo zu wohnen, wo es von Hermelinen und Wieseln wimmelt.«
»Wenn ihr erst einmal eure Löcher gegraben habt, ist alles in Ordnung«, beruhigte ihn Bigwig. »Was meinst du, Hazel-rah? Sollten sie nicht vielleicht sofort anfangen zu graben?«
Hier gesellte sich Kehaar zu ihnen, der Bigwigs Worte offenbar gehört hatte. »Keine Löcher machen jetzt«, sagte er zu Hazel, und das war wie ein Befehl. »Du bringst alle Kaninchen heim, und verdammt schnell!«
»Aber warum, Kehaar?« fragte Hazel. »Ich dachte, wir bringen die Kaninchen aus beiden Gehegen raus und machen uns an die Arbeit.«
»Keine Arbeiten jetzt«, sagte die Möwe mit Nachdruck. »Wenn ihr jetzt anfangt, verliert ihr alle Kaninchen.«
»Wieso denn?«
»Kälte. Frost, Schnee, Eis, wird alles ganz schnell kommen. Sehr schlimm.«
»Bist du sicher?«
»Djack! Frag jeden Vogel. Kaninchen, die hier draußen bleiben, frieren tot. Kalter Winter kommt, Meister Hazel.
Sehr, sehr kalt. Bring die Kaninchen heim, allesamt. Heute noch, verstehst du?«
»Aber gestern hast du uns noch hergeführt und kein Wort über Frost gesagt.«
»Gestern war nix zu merken. Gestern dachte ich: Zeit genug. Aber heute ist es anders. Ihr habt keine Zeit. Kälte kommt ganz schnell.«
Sie kannten Kehaar und vertrauten ihm. So brachen die vier Kaninchen vom Watership Down sofort zur Rückkehr auf. Die Möwe flog nach Efrafra, um Campion auszurichten, das Projekt sei verschoben. Campion war skeptisch. »Sieht mir nicht nach Frost aus.«
»Dann geh nur, du wirst ein schönes Eiskaninchen abgeben«, sagte Kehaar und flog ohne ein weiteres Wort davon.
14. Flyairth