»Milmown«, warf Hyzenthlay ein.
»Richtig, Milmown. Sie brachten die Jungen nach Thinial und gaben ihnen einen leeren Bau. Flyairth wollte sie ausweisen, aber Milmown hatte zu viele Freundinnen, und die Niederlage in dieser Auseinandersetzung schwächte Flyairths Stellung als Leiterin des Geheges. Das war das Letzte, das ich vom Fluß erfuhr.
Sie hat mir dann selbst erzählt, daß sie im Laufe der Zeit immer mehr an Autorität verlor, nicht sosehr wegen Milmowns Jungen, sondern weil sie an nichts anderes mehr denken konnte als an die Weiße Blindheit. Sie war besessen davon und brachte dauernd neue Ideen vor, wie man eine Ansteckung in Thinial verhindern könnte, Ideen, welche die meisten in ihrer Owsla nur als Ärgernis empfanden, als unnötige Maßnahmen, die ohne Not jedermann im Gehege nur belästigten. Hätte sie sich nur von dieser Besessenheit befreien können, hätten die anderen den Streit mit ihr vergessen.
Aber sie ließ nicht davon ab. Und eines Tages, als die Owsla einen Vorschlag von ihr zurückwies, sagte sie etwas Verhängnisvolles, nämlich, wenn man ihren Vorschlag nicht annehme, verlasse sie Thinial samt Familie. Obgleich nun alle ihren Weggang als großen Verlust betrachteten, gingen sie trotzdem nicht auf ihren Vorschlag ein, und folglich mußte sie gehen.
Das war im vorigen Spätsommer und recht warm, so daß sie mit der Familie die meisten Nächte im Freien verbringen konnte. Was elil anlangt, hat sie mir erzählt, daß sie sogar selbst mit einem Wiesel gekämpft und es getötet hat. Irgendwie hatte sie einmal von Efrafra gehört, und sie beschloß, dorthin zu gehen. Sie wußte natürlich nicht, wie es da zuging, nur, daß es ein streng geführtes Gehege war, was ihr durchaus zusagte, und sie glaubte, man würde sie dort gern aufnehmen.
Doch dann erfuhr sie, daß Woundwort und seine Efrafranier von uns geschlagen worden waren. Also änderte sie ihren Plan und beschloß, zu uns zu kommen. Aber als sie am Fuß des Downs angekommen war, hatten ihre Jungen kaum noch Kraft; sie waren hrair Tage hergewandert, erzählte sie mir, und als sie auf diese Baue hier stieß, alle sauber und leer, entschied sie, einen davon zu besetzen. Als ihr sie gefunden habt, hatte sie schon eine ganze Weile darin gewohnt und ihn nun einfach als ihr Eigen betrachtet. Aber sie fühlt sich jetzt auch mit uns wohl. Wenn nur diese schauerliche Kälte nachließe, meinte sie.«
»Wir haben sie alle gern«, meldete sich jetzt Thethuthinnang. »Sie ist wirklich die netteste Kaninchendame, die man sich wünschen kann. Sie hat schon eine Menge Freunde hier. Sie ist so herzensgut und lieb.«
»Wenn sie nur nicht so von dieser Blindheit besessen wäre«, sagte Hyzenthlay. »Ich hab' sie kürzlich gefragt, ob sie nicht auch meint, es sei jetzt an der Zeit, das zu vergessen. Aber sie hat nur zurückgefragt, ob ich je ein Kaninchen mit dieser Blindheit gesehen hätte.«
»Hast du?« fragte Bigwig.
»Hab' ich nicht, das weißt du doch.«
»Also ich hab' auch Angst davor, wenn wir schon davon sprechen«, sagte Hazel.
»Ja, aber du denkst nicht die ganze Zeit daran. Im Gegensatz zu Flyairth. Das ist ihr einziger Fehler, möchte ich sagen. Was meinst du, Fiver?«
»Ich denke wie sie: Wenn nur diese schauerliche Kälte nachließe«, antwortete Fiver. »Wir leben jetzt unter schwierigen Bedingungen. Je eher wir wieder zu unserem normalen Leben zurückkehren können, desto eher können wir uns auch ein klares Bild von ihr machen.«
»Ich habe jetzt schon ein klares Bild«, sagte Hyzenthlay. »Ich halte sie für eines der klügsten und vernünftigsten Kaninchen, die ich je gesehen habe. Thinials Verlust ist unser Gewinn, wenn ihr mich fragt.«
Einige Tage später trauerten Hazel und seine Veteranen über den Tod von Acorn, einen der ursprünglichen Mannschaft, die mit ihm von Sandleford gekommen war. Die Kälte und der Hunger waren für Acorn zuviel gewesen. Selbst Bigwig, der sich nie viel aus Acorn gemacht hatte, war über den Verlust sehr bekümmert. »Da haben wir ihn den langen Weg hergebracht, Hazel-rah, und er hat mit uns gegen die Efrafranier gekämpft und ist auch mit dem Boot den Fluß hinuntergefahren, und jetzt hüpft er hier nicht mehr herum. Er wird mir fehlen, er wird mir wirklich fehlen.«
»Der wird uns allen fehlen«, sagte Hazel. »Ich hoffe nur, daß er der einzige ist, den wir verlieren. Sie sehen alle so dünn und durchgefroren aus - also, ich würd' mich nicht wundern, wenn noch weitere bald nicht mehr hier herumhüpfen.«
Doch schon ein paar Tage später konnte Hazel seine Befürchtungen vergessen, als Tauwetter einsetzte. Schnee und Eis schmolzen, und das Schmelzwasser rann erst tröpfchenweise, dann aber in Rinnsalen den Hang hinunter, die sich unten am Fuß des Hügels zu einem Bächlein vereinigten. Alle waren dafür, sofort zum Wabenbau zurückzukehren, aber Hazel wartete noch einen Tag, bis er sicher sein konnte, daß es weiter taute und die Zeit des Frosts vorüber war.
Der Empfehlung Kehaars und der eigenen Überzeugung vertrauend, dachte er gleich an die Wiederaufnahme des Projekts eines neuen Geheges. Abermals mußte die Möwe als Vermittler dienen, und er, Bigwig und Campion trafen sich am neuen Bauplatz. Sie verabredeten, mit Campions nachdrücklicher Zustimmung, daß sich Kaninchen aus beiden Gehegen in zwei bis drei Tagen dort treffen sollten. Groundsel - einer der früheren Efrafra-Offiziere, die nach der Niederlage von Woundwort im vorigen Sommer in Hazels Gehege aufgenommen worden war - wurde zum Leitkaninchen des neuen Geheges bestimmt, und Buckthorn, Strawberry und der Efrafra-Hauptmann Avens sollten den Kern seiner Owsla bilden.
Etwa zwölf Kaninchen vom Watership Down machten sich unter Führung von Bigwig auf die Wanderung. Nach seiner Rückkehr erzählte er Hazel, daß sie sich offenbar recht fröhlich mit den Kaninchen aus Efrafra vermischt hätten. Kein elil hatte sie bis jetzt gestört. Niemand war getötet worden, und das Graben im Hang hatte einen guten Anfang genommen. Hazel war es sehr recht, daß Groundsel die Führung dort hatte, zumindest zur jetzigen Zeit; er widmete sich jetzt wieder seinem eigenen Gehege.
Es fiel ihm auf, daß Flyairth zum Mittelpunkt einer Gruppe junger Weibchen geworden war, die mit Hyzenthlay seinerzeit aus Efrafra geflohen waren. In deren Gegenwart fühlte sie sich sichtbar wohl; wie es Hazel schien, hatte sie deren Achtung gewonnen. Die Weibchen behandelten sie ehrerbietig und waren offenkundig dankbar für die Wärme und Freundlichkeit, mit der Flyairth ihnen begegnete. Mit einem jüngeren Weibchen namens Flesca fing er ein Gespräch an und fragte es, wie sie mit Flyairth auskäme.
»Oh, wir haben uns alle sehr mit ihr angefreundet, Hazel-rah«, sagte Flesca. »Sie hat uns viel von dem Gehege erzählt, aus dem sie kam, und wie sie und ein anderes Weibchen es gegründet hatten. Sie war die Anführerin, und ihre Owsla bestand nur aus Weibchen. So etwas habe ich noch nie gehört. Und du?«
»Ich auch nicht«, antwortete Hazel, »aber es überrascht mich nicht sehr. Jedenfalls bin ich froh, daß ihr sie alle mögt.«
»Und sie ist so lustig«, fuhr Flesca fort, »und offenbar ist sie gern mit uns zusammen. Wir haben ihr von der Flucht aus Efrafra erzählt und wie Kehaar sich auf General Woundwort gestürzt hat, um uns bei der Flucht zu helfen. Sie meinte, das hätte sie auch gern gemacht, und wünschte, sie hätte Flügel wie Kehaar. Ein fliegendes Kaninchen, das wäre doch mal was Neues, sagte sie. Dann hat sie mich gefragt, ob ich ihr nicht ein Paar Flügel besorgen könnte und mir selber auch, und dann würden wir zusammen nach Efrafra fliegen. Ich mußte ja soo lachen!«
Der überlange Winter hatte in der Nähe des Geheges so wenig Gras übriggelassen, daß Hazel mit einer Suchmannschaft aufbrach, mit jedem, der mitkommen wollte, um irgendwo auf dem Down etwas zu finden, das ergiebiger war. Flyairth war sofort dabei und brachte zwei oder drei Weibchen und ihrem eigenen Nachwuchs mit.