»Du mußt noch eine Menge lernen«, meinte Bigwig. »Es gibt elil, gegen die kannst du nicht an, sie sind einfach zu groß oder zu stark für Kaninchen, dann mußt du dich entweder verstecken oder rennen. Ich würde ungern mit ansehen, wie du dein Leben wegwirfst für nichts und wieder nichts.«
»Also ich würde ungern vor einem Feind davonlaufen«, sagte Stonecrop. »Aber ich will natürlich nicht mit dir streiten; du nimmst soviel auf dich, um mir zu helfen.«
»Du bist bestimmt besser dran, wenn du einfach meinen Rat annimmst«, entgegnete Bigwig. »Jedenfalls im Augenblick. Aber wenn du jetzt ausgeruht bist, dann sollten wir weitergehen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
Am Nachmittag ging es noch langsamer voran, und es war schon fast Abend, als sie in die Nähe von Groundsels Gehege kamen. Als sie in Sichtweite waren, hielten Hazel und Bigwig abrupt an und setzten sich erschreckt auf die Hinterläufe.
»Da stimmt etwas nicht«, rief Bigwig aus. »Was in aller Welt mag da vorgehen? Sieh mal, als ob sie alle um ihr Leben liefen.«
Während sie noch sprachen, sahen sie lauter Kaninchen, die mit großen Sätzen aus den Löchern im Hang sprangen und in alle Richtungen rannten, nur noch auf Flucht bedacht. Hazel und Bigwig beobachteten es entgeistert.
»Schau doch, da ist Groundsel selber, und er rennt wie die anderen«, sagte Hazel.
»Ich werde ihn aufhalten«, erklärte Bigwig. »Wir müssen der Sache auf den Grund gehen.«
Er lief auf die linke Seite, bis er vor Groundsel stand, der ihn aber gar nicht wahrzunehmen schien, sondern mit ihm zusammenstieß und ihn fast umrannte. Bigwig sprang auf ihn und hielt ihn am Boden fest.
»Was ist los, Groundsel?« fragte Hazel. »Was geht hier vor?«
»Laßt mich los, laßt mich geh'n«, kreischte Groundsel. »Geht weg, laßt mich laufen!«
»Erst sagst du uns, was hier los ist!« befahl ihm Hazel. »Seid ihr alle verrückt geworden? Los, rede!«
»Die Wiesel!« keuchte Groundsel. »Seht ihr sie nicht? Sie jagen durchs ganze Gehege. Laßt mich los, verdammt!«
Hazel und Bigwig starrten auf den Hang und die Kaninchenlöcher. Und richtig, da sahen sie die Wiesel, mehr als vier, die im Rudel jagten, von einem Ende des Geheges bis zum anderen. Es war ein erschreckender Anblick. Wie Ameisen rannten sie sehr geschwind über einen kurze Strecke, verhielten und durchsuchten beide Seiten, bevor sie sich wieder zu ihren Kumpanen gesellten und in einer Linie wieder weiter vorgingen, und zwar ganz systematisch, wie es den entsetzten Zuschauern schien. Hier und da schoß ein Rotkopf kurz aus einem Loch, verschwand wieder und tauchte in einem anderen auf. Die ganze Zeit schrien sie sich gegenseitig kurze, scharfe Laute zu.
Hazel und Bigwig, nicht weniger entsetzt als alle anderen, wandten sich schon zur Flucht, als Stonecrop sie zur Seite stieß.
»Ich hab' keine Angst«, schrie er. »Ich hab' keine Angst vor diesen dreckigen kleinen Biestern, diesen elil oder wie ihr sie nennt. Los! Kommt! Auf sie!«
Und damit lief er stracks zum Hang.
»Stonecrop, komm zurück!« brüllte Bigwig. »Zurück mit dir, die bringen dich um!«
»Das wollen wir erst mal sehen, verdammt noch mal«, rief Stonecrop und setzte sich in Galopp, der ihn mitten zwischen die Wiesel auf dem Hang katapultierte.
Hazel sah, wie sie herumschnellten, um ihn zu Boden zu reißen. Aber was war das? Die zwei, die ihm am nächsten waren, schreckten plötzlich schnüffelnd zurück und quiekten vor Entsetzen; die anderen verstanden, was gemeint war, und dann quiekten sie alle mit ihren garstigen schrillen Stimmen: »Mensch! Mensch! Lauft, rennt! Mensch!«
Sie taumelten alle zusammen den Hang hinunter, fielen übereinander, sammelten sich unten und flohen kreischend und quiekend ins Unterholz.
»Na, seht ihr?« sagte Stonecrop, als Hazel und Bigwig noch zitternd am Fuß des Hangs zu ihm stießen. »Diese widerlichen kleinen Drecksdinger. Ich hätte ein paar von denen noch kaltgemacht, wenn sie nicht so schnell weggerannt wären.«
Langsam kamen die anderen Kaninchen zurück und starrten Stonecrop an wie ein übernatürliches Wesen. Endlich tauchte auch Groundsel wieder auf, zusammen mit drei oder vier seiner Owsla, die alle noch schwer erschüttert waren.
»Ich habe dich gesehen«, sagte einer von ihnen zu Stonecrop. »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie du die Wiesel weggescheucht hast. Ich kann immer noch nicht fassen, was ich gesehen habe.«
»Ich bitte euch, das war doch gar nichts«, erwiderte Stonecrop. »Das hätte doch jeder machen können. Man muß ihnen einfach nur die Stirn bieten, das ist alles.«
»Nein«, sagte Hazel und grüßte Groundsel in der vorgeschriebenen Weise von Leitkaninchen zu Leitkaninchen, »das ist nicht alles. Es verblüfft mich, daß wir offenbar genau zur richtigen Zeit aufgetaucht sind. Groundsel-rah, darf ich dir erklären, wer dieses Kaninchen ist und warum Bigwig und ich mit ihm hergekommen sind?«
Inzwischen waren weitere Mitglieder der Owsla zurückgekommen, und Hazel, der sich in ihre Mitte gesetzt hatte, erzählte ihnen alles über Stonecrop, über den Aufruhr auf dem Watership Down und von Fivers Rat, ihn hierher zu bringen und Groundsel zu bitten, ihn aufzunehmen.
»Aufzunehmen?« fragte Groundsel, als Hazel geendet hatte. »Aufzunehmen?« sagte er und wandte sich an Stonecrop. »Du hast das ganze Gehege gerettet. Wenn du willst, kannst du jahrelang bleiben. Du kannst deinen eigenen Wohnkessel haben und dir jedes Weibchen aussuchen, das dir gefällt. Als Gegenleistung bitte ich dich lediglich darum, daß du jeden Morgen und Abend langsam durch alle Gänge und Röhren im Gehege gehst und dich vergewisserst, daß sie riechen, wie es sich gehört.«
Hazel und Bigwig blieben noch ein paar Tage als Groundsels Gäste. Das schöne Wetter hielt an, und mit Genugtuung sahen sie Stonecrop nicht nur angenommen, sondern von den anderen Kaninchen fast wie eine Berühmtheit behandelt.
»Fiver hat also recht gehabt«, sagte Bigwig eines Abends, als sie unter einem karminroten Himmel silflay machten.
»Er hat immer recht«, erwiderte Hazel. »Und das kann uns ja nur recht sein, oder?«
19. Campion
Erscheint es gleich ein wenig aus der Mode, der Wäl'sche hat viel Sorgsamkeit und Mut.
Shakespeare (Heinrich V.)
Es blieb weiter schön, und Groundsels Kaninchen, die den Schock der Wieselattacke mehr oder weniger gut überwunden hatten, bauten ihr Gehege in vorbildlicher Weise weiter aus; es wurde unter dem Namen Vleflain bekannt. Viele Weibchen, teils vorn Watership Down, teils aus Efrafra, waren schwanger, und der natürliche Instinkt trieb sie dazu, Setzbaue und Kessel zu graben. Die Männchen waren hauptsächlich damit beschäftigt, Röhren und Quergänge zwischen den verschiedenen Teilen des Geheges anzulegen. Wer jemals in alten Gehegen frettiert hat, weiß, über welch unglaubliche Entfernungen sich solche Gänge im Innern eines Geheges erstrecken können. Die Gründer von Vleflain wurden jedoch weder von Frettchen noch von anderen marderartigen Raubtieren belästigt, und es sah so aus, als wäre Groundsels Furcht vor Wieseln in der Nähe völlig unbegründet gewesen.
Hazel machte sich nicht die Mühe, Vleflain noch einmal zu besuchen, er gab sich mit den gelegentlichen Berichten Kehaars, daß alles zum Besten stehe, zufrieden. Er hatte Avens, den Anführer der Efrafra-Emigranten, nie selbst kennengelernt, aber warum sollte er Groundsels Urteil in Zweifel ziehen, der ihn dem Job gewachsen hielt?
Hazels Veteranen schien es eine große Verbesserung, daß die Einwohnerzahl im Gehege vom Watership Down auf ein annehmbares Maß verringert worden war; sie waren im übrigen seiner Meinung. »Keine Nachrichten sind gute Nachrichten, Hazel-rah«, sagte Bigwig. »Wären sie von Gefahren bedroht oder hätten sie Ärger, dann würden sie uns das sehr schnell mitteilen. Ein paar von unseren Kaninchen haben mich gefragt, ob sie nicht auch nach Vleflain ziehen könnten. Ich hätte natürlich Groundsel erst per Boten fragen sollen, dachte mir aber, das geht schon in Ordnung, und hab' ihnen nur gesagt, sie sollten sich von Kehaar den Weg zeigen lassen.«