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Der Geldautomat schluckte seine Karte mit einem Surren. BITTE GEBEN SIE IHRE GEHEIMZAHL EIN, stand auf dem Bildschirm.

Richard tippte seine Geheimzahl ein.

Die Schrift verschwand. Dann stand da: BITTE WARTEN SIE.

Der Bildschirm war leer. Irgendwo in den Tiefen des Geräts grummelte und knurrte es.

DIESE KARTE IST UNGÜLTIG. BITTE WENDEN SIE SICH AN IHRE BANK.

Mit einem Schnarren glitt die Karte wieder heraus.

»Haben Sie etwas Kleingeld?« fragte eine dünne Stimme hinter ihm.

Richard reichte dem Mann seine Bankkarte.

»Hier«, sagte er. »Die können Sie behalten. Da sind ungefähr fünfzehnhundert Pfund drauf, wenn Sie es schaffen, da ranzukommen.«

Der Mann, der groß und dünn war und einen borstigen hellen Bart und Hände voller Straßenschmutz hatte, nahm die Karte, schaute sie an, drehte sie um und sagte trocken: »Danke. Wenn Sie noch sechzig Pence drauflegen, krieg’ ich dafür ’ne schöne Tasse Kaffee.« Er gab Richard seine Karte zurück. Richard nahm seine Tasche. Und dann wandte er sich wieder zu dem Mann um und sagte: »Moment mal. Sie können mich sehen.«

»Ich hab’ doch Augen im Kopf«, erwiderte der Mann.

»Sagen Sie mal«, sagte Richard, »haben Sie schon mal was von einem Ort namens ›Wandermarkt‹ gehört? Da muß ich hin. Es gibt da ein Mädchen namens Door …«

Doch der Mann wich nervös vor Richard zurück.

»Hören Sie, ich brauche wirklich Hilfe«, sagte Richard. »Bitte!«

Der Mann starrte ihn an.

Richard seufzte. »Schon gut«, sagte er. »Tut mir leid, daß ich Sie belästigt habe.«

Er wandte sich ab, umklammerte den Griff seiner Tasche mit beiden Händen, so daß sie kaum noch zitterten, und begann, die High Street hinunterzugehen.

»Hey«, zischte der Mann.

Richard schaute sich um. Der Mann winkte ihn zu sich. »Kommen Sie, hier runter, aber schnell!«

Der Mann eilte neben der Straße ein paar Stufen hinunter – Stufen voller Müll, wie sie normalerweise zu verlassenen Souterrainwohnungen hinabführen. Richard stolperte hinter ihm her. Am Fuß der Treppe befand sich eine Tür. Der Mann stieß sie auf, wartete, bis Richard hindurchgegangen war, und schloß die Tür hinter ihnen.

Sie standen im Dunkeln.

Ein Kratzen war zu hören und das Geräusch eines aufflammenden Streichholzes. Der Mann hielt das Streichholz an den Docht einer alten Eisenbahnerlampe, der Feuer fing und etwas weniger Licht abgab als vorher das Streichholz, und sie gingen zusammen durch die Finsternis.

Es roch muffig, nach feuchten, alten Backsteinen, nach Moder und der Dunkelheit.

»Wo sind wir?« flüsterte Richard.

Sein Führer bedeutete ihm, er solle still sein.

Sie kamen zu einer weiteren Tür in einer Wand.

Der Mann klopfte einen bestimmten Rhythmus an die Tür. Stille.

Die Tür ging auf.

Einen Moment lang war Richard von dem plötzlichen Licht geblendet. Er stand in einem riesigen, gewölbten Raum, einem unterirdischen Saal, von Flammen erleuchtet und voller Rauch. Kleine Feuer brannten ringsum an den Wänden. Schattenhafte Menschen standen an den Feuern und rösteten kleine Tiere auf Spießen. Leute huschten von Feuer zu Feuer.

Es erinnerte ihn an die Hölle. Oder vielmehr daran, wie er sich als Schuljunge die Hölle vorgestellt hatte.

Der Rauch kratzte in seinem Hals, und er hustete.

Hundert Augen starrten ihn an. Hundert Augen, starr und unfreundlich.

Ein Mann trippelte auf ihn zu. Er hatte langes Haar, einen zerrupften Bart, und seine zerlumpte Kleidung schien Richard mit Pelz gesäumt zu sein – mit orange und weißem und schwarzem Pelz, einer Art Katzenfell. Er war groß, doch er ging gebückt, die Hände vor der Brust.

»Was? Was ist los? Was soll das?« fragte er Richards Führer. »Wen bringst du uns da, Iliaster? Sprich-sprich-sprich. «

»Er kommt von der Oberseite«, sagte sein Führer. (Iliaster? dachte Richard.) »Hat nach Lady Door gefragt. Und nach dem Wandermarkt. Hab’ ihn lieber zu Ihnen gebracht, Lord Rattensprecher. Dachte mir, Sie wüßten bestimmt, was mit ihm zu tun ist.«

Jetzt waren sie von über einem Dutzend pelzgesäumter Menschen umringt. Frauen und Männern, und sogar ein paar Kindern. Sie huschten in abgehackten Bewegungen umher: Augenblicke der Unbeweglichkeit wechselten sich mit abruptem Vorpreschen ab.

Lord Rattensprecher griff in seine pelzgesäumten Lumpen und zog einen gefährlich aussehenden, etwa zwanzig Zentimeter langen Glassplitter hervor. Ein um die untere Hälfte gewickeltes schlecht gegerbtes Fell bildete einen improvisierten Griff.

Das Licht der Flammen glitzerte in der gläsernen Klinge.

Lord Rattensprecher setzte Richard die Scherbenklinge an die Kehle.

»Oh ja. Ja-ja-ja«, fiepte er keckernd. »Ich weiß genau, was mit ihm zu tun ist.«

Kapitel Vier

Mr. Croup und Mr. Vandemar hatten sich im Keller eines im viktorianischen Stil erbauten Krankenhauses häuslich eingerichtet, das vor zehn Jahren im Zuge gesundheitspolitischer Sparmaßnahmen geschlossen worden war.

Von der Erschließungsgesellschaft, die damals kundgetan hatte, sie wolle das Krankenhaus zu einem einzigartigen Luxus-Apartmentblock umbauen, hatte man, kaum daß das Krankenhaus geschlossen worden war, nichts mehr gehört, und nun stand es da, Jahr für Jahr, grau und leer und unerwünscht, die Fenster vernagelt, die Türen mit Vorhängeschlössern gesichert.

Das Dach war verrottet, und Regen tropfte in das Innere der leeren Räume und Flure und verbreitete Feuchtigkeit und Verfall im Gebäude.

In der Mitte des Krankenhauses befand sich ein Schacht, der ein graues und unfreundliches Licht hereinließ.

Die Kellerwelt unter den leeren Krankenstationen bestand aus über hundert winzigen Räumen, einige leer, andere mit zurückgelassenem Krankenhausbedarf darin. In einem Raum befand sich ein massiger metallener Heizkessel, im nächsten verstopfte Toiletten und Duschen ohne Wasser. Ein Großteil des Kellerfußbodens war von einer dünnen Schicht öligen Regenwassers überzogen, das die Dunkelheit und den Verfall an die gammelige Decke reflektierte.

Wenn man die Krankenhaustreppe hinunterging, so weit man konnte, durch die verlassenen Duschräume, entlang den Personaltoiletten, vorbei an dem Raum voller Glassplitter, in dem die Decke völlig eingestürzt war und der daher direkt in das darübergelegene Treppenhaus überging, kam man zu einer kleinen Eisentreppe. Und wenn man die hinabstieg, die matschige Stelle am Fuß der Treppe durchquerte und sich durch eine halbverfaulte Holztür zwängte, befand man sich im Unterkeller, einem riesigen Raum, in dem sich der liegengelassene und vergessene Krankenhausmüll von hundertzwanzig Jahren angesammelt hatte; und eben hier waren Mr. Croup und Mr. Vandemar derzeit zu Hause.

Die Wände waren feucht, und von der Decke tropfte Wasser. Seltsame Gegenstände schimmelten in den Ecken vor sich hin: Einige davon waren einmal lebendig gewesen.

Mr. Croup und Mr. Vandemar waren gerade dabei, die Zeit totzuschlagen.

Mr. Vandemar hatte irgendwo einen Tausendfüßler gefunden – eine orangerote Kreatur, fast zwanzig Zentimeter lang, mit gefährlichen Giftzähnen an beiden Enden –, ließ ihn nun über seine Hände laufen und beobachtete ihn dabei, wie er sich zwischen seinen Fingern wand, in einem Ärmel verschwand und eine Minute später aus dem anderen wieder auftauchte. Mr. Croup spielte mit Rasierklingen. Er hatte in einer Ecke eine ganze Schachtel fünfzig Jahre alter, in Pergamentpapier eingewickelter Rasierklingen gefunden und überlegte nun, was man damit anfangen könnte.

»Wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte, Mister Vandemar«, sagte er schließlich. »Sperren Sie Ihre Äuglein auf.«