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Jessica wollte nur sichergehen, daß es keine Pannen gab.

Sie trug ein grünes Seidenkleid – eine schulterfreie Generalin, die ihre Truppen aufmarschieren ließ und unerschütterlich so tat, als hätte Mr. Stockton nicht bereits vor einer halben Stunde eintreffen müssen.

Ihre Truppen bestanden aus einem Oberkellner, einem Dutzend Kellner und Kellnerinnen, drei Frauen vom Catering-Service, einem Streichquartett und ihrem Assistenten, einem jungen Mann namens Clarence. Jessica war überzeugt, daß Clarence den Job nur bekommen hatte, weil er a) offen schwul und b) ebenso offen schwarz war; und daher war es für sie ein stetes Ärgernis, daß er bei weitem der effizienteste, kompetenteste und beste Assistent war, den sie bis jetzt gehabt hatte.

Sie inspizierte den Getränketisch. »Wir haben doch genug Champagner? Ja?«

Der Oberkellner deutete auf eine Kiste Champagner unter dem Tisch.

»Und Selter?«

Noch ein Nicken. Noch eine Kiste.

Jessica schürzte die Lippen. »Und wie ist es mit stillem Mineralwasser? Sprudel ist nicht jedermanns Sache, müssen Sie wissen.«

Sie hatten jede Menge stilles Mineralwasser. Gut.

Das Streichquartett spielte sich warm. Es war nicht laut genug, um den Lärm, der von draußen aus dem Korridor kam, zu übertönen. Es war der Lärm einer kleinen, aber gutbetuchten Menschenmenge: Das Raunen von Damen in Nerzmänteln und Männern, die, gäbe es die RAUCHEN VERBOTEN-Schilder an den Wänden nicht – und auch nicht den Rat ihres Arztes –, Zigarren rauchen würden; das Raunen von Journalisten und Berühmtheiten, die schon die Canapés, Vol-au-vents, Knabbereien und den kostenlosen Champagner riechen konnten.

Clarence sprach in sein Handy, ein schlankes, ausklappbares Stück Technik, neben dem die Raumschiff-Enterprise -Funkgeräte klotzig und altmodisch gewirkt hätten. Er schaltete es ab, schob die Antenne hinein und steckte es in die Armani-Tasche seines Armani-Anzugs, ohne daß dieser auch nur das kleinste Fältchen warf. Er lächelte aufmunternd. »Jessica, Mr. Stocktons Fahrer hat aus dem Wagen angerufen. Sie kommen ein paar Minuten später. Kein Grund zur Sorge.«

»Kein Grund zur Sorge«, echote Jessica. Das konnte ja nicht gutgehen. Die ganze Sache würde ein Desaster werden. Ihr Desaster. Sie nahm ein Glas Champagner vom Tisch, leerte es und reichte das leere Glas dem Weinkellner.

Clarence legte den Kopf zur Seite und lauschte dem vibrierenden Raunen auf dem Korridor vor der Tür. Er schaute auf seine Armbanduhr und sah dann Jessica fragend an, wie ein Captain, der von seinem General wissen wilclass="underline" Auf ins Tal des Todes, Chef?

»Mister Stockton ist unterwegs, Clarence«, sagte sie ruhig. »Er hat um eine Einzelführung vor Beginn der Veranstaltung gebeten.«

»Soll ich hinausgehen und nachsehen, wie die Stimmung ist?«

»Nein«, sagte Jessica entschieden. Dann, ebenso entschieden: »Ja.«

Nachdem das Thema Essen und Trinken erledigt war, wandte sich Jessica dem Streichquartett zu und fragte die Mitglieder zum dritten Mal an diesem Abend, was genau sie spielen wollten.

Clarence öffnete die Doppeltüren. Es war schlimmer, als er gedacht hatte: Bestimmt über hundert Leute standen im Korridor. Und das waren nicht einfach bloß Leute. Es waren LEUTE. Ein paar davon waren sogar Persönlichkeiten.

»Verzeihen Sie«, sagte der Vorsitzende der Kulturbehörde. »Auf der Einladung stand Punkt acht Uhr. Jetzt ist es bereits zwanzig nach acht.«

»Es dauert nur noch ein paar Minuten«, versicherte Clarence liebenswürdig. »Sicherheitsvorkehrungen.«

Eine Frau mit Hut stürzte auf ihn zu. »Junger Mann«, verkündete sie im Kommandoton, mit markerschütternder, entschieden parlamentarisch klingender Stimme. »Wissen Sie, wer ich bin?«

»Eigentlich nicht, nein«, log Clarence, der ganz genau wußte, wer all die Anwesenden waren. »Warten Sie einen Moment. Ich schau’ mal nach, ob jemand anders Sie kennt.«

Er schloß die Tür hinter sich.

»Jessica? Die fangen gleich an zu randalieren.«

»Übertreiben Sie nicht, Clarence.«

Sie fegte durch den Raum wie ein Wirbelwind aus grüner Seide, stellte ihr Service-Personal mit den Schnittchen- und Getränketabletts in strategisch günstigen Ekken des Saals auf; kontrollierte das Lautsprechersystem, das Rednerpult, den Vorhang und das Zugseil. »Ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir«, sagte Clarence, und er schlug eine imaginäre Zeitung auf. »Marketingmieze bei Sturm aufs kalte Büffet von verkalkten Geldsäcken zerquetscht. «

Jemand begann, an die Tür zu klopfen. Der Lärm im Korridor schwoll langsam an. Jemand sagte sehr laut: »Verzeihung. Ähm. Verzeihung.« Jemand anders trompetete, es sei eine Schande, ganz einfach eine Schande, anders könne man das nicht mehr nennen.

»Befehl von oben«, sagte Clarence plötzlich. »Ich lasse sie rein.«

Jessica schrie: »Nein! Wenn Sie – «

Doch es war zu spät. Schon standen die Türen offen, und die Horde bahnte sich den Weg in den Saal. Jessicas entsetzter Gesichtsausdruck wurde zu einem hocherfreuten gemorpht. Sie schimmerte zur Tür. »Frau Baronin«, sagte sie glücklich lächelnd. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh wir sind, daß sie heute abend zu unserer kleinen Ausstellung kommen konnten. Mister Stocktons Eintreffen hat sich leider etwas verzögert, aber er wird jeden Moment hier sein. Darf ich Ihnen ein paar Canapés anbieten …«

Über die nerzbehangene Schulter der Frau Baronin hinweg zwinkerte Clarence ihr vergnügt zu. Jessica durchforstete ihr Hirn nach allen schlimmen Wörtern, die sie kannte. Sobald die Frau Baronin auf die Vol-au-vents zusteuerte, ging Jessica zu Clarence hinüber und warf ihm, im Flüsterton und immer noch lächelnd, einige davon an den Kopf.

Richard erstarrte. Ein Wärter kam direkt auf sie zu. Seine Taschenlampe blitzte hin und her. Richard sah sich nach einem Versteck um.

Zu spät. Eine Wärterin näherte sich ihnen mit schaukelnder Taschenlampe, vorbei an den riesigen Statuen toter griechischer Götter.

»Alles in Ordnung?« rief der Wärter.

Die Frau ging zu ihm hinüber. Sie blieb direkt neben Richard und Door stehen.

»Glaub’ schon«, sagte sie. »Ich mußte schon ein paar Schnapsnasen im Smoking davon abhalten, ihre Initialen in den Stein von Rosette zu ritzen. Sowas hasse ich.«

Der Wärter leuchtete Richard mit seiner Lampe direkt in die Augen, dann ließ er den Strahl von ihm abgleiten und über die Schatten hüpfen. »Ich sag’s ja«, sagte er mit der genüßlichen Befriedigung eines jeden wahren Propheten, »das ist die Wiederkehr der Maske des Roten Todes. Eine dekadente Elite feiert Partys, während die Zivilisation vor ihrer Nase untergeht.« Er bohrte sich in der Nase und wischte den Popel an der Ledersohle seines auf Hochglanz polierten schwarzen Stiefels ab.

Die Frau seufzte. »Danke, Gerald. Nun denn, weiter geht’s.« Gemeinsam gingen die beiden aus dem Saal. »Letztes Mal haben wir hinterher festgestellt, daß jemand in einen Sarkophag gekotzt hatte«, sagte der Wärter, und dann schloß die Tür sich hinter ihnen.

»Wenn man zum Unter-London gehört«, sagte Door beiläufig zu Richard, während sie Seite an Seite in den nächsten Saal gingen, »bemerken sie einen normalerweise überhaupt nicht, außer man spricht sie direkt an. Und selbst dann vergessen sie einen ziemlich schnell wieder.«

»Aber ich hab’ dich doch gesehen«, sagte Richard. Das machte ihm schon seit geraumer Zeit zu schaffen.

»Ich weiß«, sagte Door. »Ist das nicht merkwürdig?«

»Alles ist merkwürdig«, sagte Richard voller Inbrunst. Die Streichermusik wurde lauter.

»Zum Angelus geht’s hier lang«, verkündete Door und deutete in die Richtung, aus der die Musik kam.

»Woher weißt du das?«