Выбрать главу

»Ich weiß es eben«, sagte sie mit außerordentlicher Bestimmtheit. »Komm.« Sie traten aus der Dunkelheit in einen beleuchteten Korridor.

Ein riesiges Schild hing von der Decke. Darauf stand:

ENGEL ÜBER ENGLAND

EINE AUSSTELLUNG DES BRITISH MUSEUM

Gesponsort von Stocktons PLC

Sie überquerten den Korridor und gingen durch eine offene Tür in einen großen Raum, in dem eine Party im Gange war.

Ein Streichquartett musizierte, und Kellner versorgten einen Raum voller gutgekleideter Herrschaften mit Essen und Trinken. In einer Ecke des Raums befand sich neben einem langen Vorhang eine kleine Bühne mit einem Rednerpult darauf.

Der Raum war voller Engel.

Da waren Statuen von Engeln auf winzigen Sockeln. Da waren Gemälde von Engeln an den Wänden. Da waren Engelsfresken. Da waren große Engel und kleine Engel, steife Engel und liebenswerte Engel, Engel mit Flügeln und Heiligenscheinen und Engel ohne alles, kriegerische Engel und friedfertige Engel. Da waren moderne Engel und klassische Engel. Hunderte und Aberhunderte von Engeln in jeder Form und Größe. Westliche Engel, nahöstliche Engel, östliche Engel. Michelangelo-Engel. Joel-Peter-Witkin-Engel, Picasso-Engel, Warhol-Engel. Mr. Stocktons Engel-Kollektion war ›so bunt zusammengewürfelt, daß es schon beinahe trashig ist, in ihrem Eklektizismus jedoch zweifelsohne beeindruckend‹ (Time Out).

»Würdest du mich«, fragte Richard, »unausstehlich finden, wenn ich dir sagte, daß es ungefähr ebenso kompliziert ist, hier drinnen etwas mit einem Engel drauf zu finden, wie, oh mein Gott, da ist Jessica.«

Richard spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Bis jetzt hatte er geglaubt, das sei nur eine Redewendung. Daß es so etwas wirklich gab, hätte er nicht gedacht.

»Kanntest du sie?« fragte Door.

Richard nickte. »Sie war meine. Also. Wir wollten heiraten. Wir waren ein paar Jahre lang zusammen. Sie war bei mir, als ich dich fand. Sie war die auf dem. Sie hat diese Nachricht hinterlassen. Auf dem Anrufbeantworter.«

Jessica plauderte mit Andrew Lloyd Webber, Janet Street-Porter und einem bebrillten Herrn, der, da war sie so gut wie sicher, einer der Saatchis sein mußte. Alle paar Minuten sah sie auf die Uhr und blickte zur Tür.

»Die?« fragte Door, als es ihr wieder einfiel. Dann fügte sie hinzu, offenbar der Ansicht, sie müßte über jemanden, den Richard sehr gemocht hatte, etwas Nettes sagen: »Also, sie ist sehr …«, und sie hielt inne und überlegte, »...sauber.«

Richard starrte quer durch den Raum. »Wird sie … wird es sie ängstigen, daß wir hier sind?«

»Das bezweifle ich«, sagte Door. »Offen gesagt, wenn du nicht irgend etwas Dummes tust – sie zum Beispiel ansprichst – , wird sie dich wahrscheinlich gar nicht bemerken. « Und dann sagte sie, sehr viel euphorischer: »Essen!«

Sie stürzte sich auf die Canapés, ein kleines, rotznasiges, koboldhaariges Mädchen in einer großen braunen Lederjacke, das ewig nichts Vernünftiges mehr gegessen hatte. Sie begann sofort, sich enorme Essensmengen in den Mund zu stopfen, zu kauen und hinunterzuschlucken, während sie gleichzeitig die gehaltvolleren Schnittchen in Papierservietten wickelte und in ihre Taschen steckte.

Dann, einen mit Hühnerbeinen, Melonenscheiben, Pilz-Vol-au-vents, Kaviarpastetchen und kleinen Wildbretwürstchen beladenen Pappteller in der Hand, schritt sie langsam die Wände ab und schaute sich jedes Engelskunstwerk aufmerksam an. Richard trottete mit einem Brie-und-Fenchel-Sandwich und einem Glas frischgepreßtem Orangensaft hinter ihr her.

Jessica war zutiefst verwirrt. Sie hatte Richard bemerkt, und da sie ihn gesehen hatte, hatte sie auch Door bemerkt. Irgend etwas an den beiden kam ihr bekannt vor: Es war, als kitzele sie etwas im Hinterkopf, das sie beim besten Willen nicht einzuordnen vermochte, was ausgesprochen irritierend war.

Sie mußte an etwas denken, das ihre Mutter ihr einmal erzählt hatte: Diese hatte einmal eine Frau getroffen, die sie schon ihr ganzes Leben lang kannte – sie war mit ihr zur Schule gegangen, mit ihr im Gemeinderat gewesen, hatte mit ihr zusammen die Tombola beim Dorffest geleitet – , und bei einer Party hatte Jessicas Mutter plötzlich festgestellt, daß sie den Namen dieser Frau gar nicht kannte, obgleich sie wußte, daß sie mit einem Mann aus dem Verlagswesen namens Eric verheiratet war und einen Golden Retriever namens Major hatte.

Darüber hatte sich Jessicas Mutter ziemlich geärgert.

Es trieb Jessica zur Verzweiflung.

»Wer sind diese Leute?« fragte sie Clarence.

»Die? Also, er ist der neue Chefredakteur der Vogue, und sie ist die Kunstkorrespondentin der New York Times. Die dazwischen ist, glaube ich, Emma Freud …«

»Nein, nicht die«, sagte Jessica. »Die. Da.«

Clarence sah auf die Stelle, auf die sie zeigte. Hm? Ach. Die. Er begriff nicht, wieso er sie nicht schon früher gesehen hatte. Das Alter, dachte er. Er wurde demnächst dreiundzwanzig. »Journalisten?« sagte er nicht sonderlich überzeugt. »Möchtegern-Trendnasen. Grunge-Chic? Du liebe Güte! Ich weiß, daß ich The Face eingeladen habe …«

»Den kenn’ ich«, sagte Jessica entnervt. Dann rief Mr. Stocktons Chauffeur von Holborn aus an, um zu sagen, daß er fast am British Museum sei, und Richard entglitt ihr, wie flüssiges Quecksilber einem durch die Finger tropft.

»Was gefunden?« fragte Richard.

Door schüttelte den Kopf und schluckte einen Mundvoll hastig gekautes Hühnerbein hinunter. »Das ist, als wollte man am Trafalgar Square eine ganz bestimmte Taube finden«, sagte sie. »Der Angelus ist so einzigartig, daß man ihn spüren kann. Auf dem Blatt stand, wenn ich davorstünde, würde ich ihn erkennen.«

Sie schlenderte davon, vorbei an einem Industrieboß, dem Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Opposition und dem Bestbezahlten Callgirl des englischen Südens.

Richard wandte sich ab und stand plötzlich Auge in Auge mit Jessica. Sie trug ihr Haar hochgesteckt, und die kastanienroten Korkenzieherlocken bildeten den perfekten Rahmen für ihr Gesicht. Sie war sehr schön. Sie lächelte ihn an. Das Lächeln war schuld.

»Hallo, Jessica«, sagte er. »Wie geht’s dir?«

»Hallo. Sie werden es nicht glauben«, sagte sie, »aber mein Assistent hat versäumt zu notieren, von welcher Zeitung Sie sind, Mister äh.«

»Zeitung?« fragte Richard.

»Habe ich Zeitung gesagt?« entgegnete Jessica mit einem klingelnden, liebenswerten und selbstironischen Lachen. »Magazin … Fernsehsender. Sie sind doch aus der Medienbranche?«

»Du siehst sehr gut aus, Jessica«, erklärte Richard.

»Sie sind im Vorteil – ich weiß leider Ihren Namen nicht«, sagte sie schalkhaft.

»Du bist Jessica Bartram. Du bist Marketing-Chefin bei Stocktons. Du bist sechsundzwanzig. Dein Geburtstag ist der dreiundzwanzigste April, und in Augenblicken höchster Leidenschaft neigst du dazu, ›I’m a Believer‹ von den Monkees zu summen …«

Jetzt lächelte Jessica nicht mehr.

»Soll das ein Witz sein?« fragte sie kalt.

»Ach ja, und wir waren die letzten achtzehn Monate verlobt«, sagte Richard.

Jessica lächelte nervös. Vielleicht war es wirklich ein Witz: einer jener Witze, die offenbar jeder verstand, nur sie nicht. »Ich denke doch, ich würde es wissen, wenn ich achtzehn Monate lang mit jemandem verlobt gewesen wäre, Mister ähm«, sagte Jessica.

»Mayhew«, sagte Richard zuvorkommend. »Richard Mayhew. Du hast mit mir Schluß gemacht, und jetzt gibt es mich nicht mehr.«

Jessica winkte ostentativ niemand Speziellem ganz am anderen Ende des Raumes zu. »Komme schon!« rief sie verzweifelt, und sie begann zurückzuweichen.