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»Wenn Sie das täten«, sagte der Marquis de Carabas, »würden Sie sich vielleicht hierfür interessieren.«

Er nahm eine Hand aus der Tasche und hielt Mr. Croup etwas vor die Nase.

Bis vor wenigen Stunden hatte es in einer Vitrine in den Katakomben einer der führenden Handelsbanken Londons gestanden. Es hieß ›Der Geist des Herbstes (Grabfigur)‹. Es war etwa zwanzig Zentimeter hoch: eine glasierte Keramikfigur. Sie war geformt und bemalt und gebrannt worden, als in Europa noch das finsterste Mittelalter geherrscht hatte.

Mr. Croup zischte unwillkürlich und streckte die Hand danach aus. Der Marquis zog sie schnell weg und drückte sie an seine Brust.

»Warum sollte uns etwas davon abhalten, sie uns einfach zu nehmen? Und Ihre Überreste über die gesamte Unterseite zu verstreuen?« fragte Mr. Croup. »Wir haben noch nie einen Marquis zerstückelt.«

»Doch«, sagte Mr. Vandemar. »In York. Im vierzehnten Jahrhundert. Im Regen.«

»Das war kein Marquis«, sagte Mr. Croup. »Das war der Earl of Exeter.«

»Und Marquis von Westmoreland.« Mr. Vandemar blickte ziemlich selbstzufrieden drein.

Mr. Croup schniefte. »Warum sollen wir Sie nicht einfach in ebenso viele Stücke zerhacken wie den Marquis von Westmoreland?« fragte er.

De Carabas nahm die andere Hand aus der Tasche. Sie hielt einen kleinen Hammer. Er warf den Hammer in die Luft, wie ein Barmann in einem Film über die Zubereitung von Cocktails, und als er ihn mit dem Griff voran wieder auffing, schwebte der Hammer über der Porzellanfigur. »Oh, bitte«, sagte er. »Keine dummen Drohungen mehr. Ich glaube, ich würde mich besser fühlen, wenn Sie beide dort drüben stehen würden.«

Mr. Vandemar warf Mr. Croup einen Blick zu, und dieser nickte fast unmerklich. Die Luft erzitterte, und Mr. Vandemar stand neben Mr. Croup.

Mr. Croup lächelte wie ein Totenschädel. »Es ist tatsächlich richtig, daß ich bereits das eine oder andere Stück aus der T’ang-Dynastie erworben habe. Ist das da zu verkaufen?«

»Wir hier auf der Unterseite geben nichts aufs Kaufen und Verkaufen, Mister Croup. Tauschhandel. Baratt. Darum geht es uns. Aber ja, dieses reizende kleine Exemplar ist tatsächlich noch zu haben.«

»Nennen Sie Ihren Preis«, sagte Mr. Croup.

Dem Marquis entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. »Erstens: Drei Antworten auf drei Fragen«, sagte er.

Croup nickte. »Beiderseits. Auch wir bekommen drei Antworten.«

»Na gut«, sagte der Marquis. »Zweitens versprechen Sie, mich ungehindert ziehen zu lassen und mir mindestens eine Stunde Vorsprung zu geben.«

Croup nickte heftig. »Einverstanden. Stellen Sie Ihre erste Frage.« Seine Augen fixierten die Statue.

»Erste Frage. Für wen arbeiten Sie?«

»Oh, das ist leicht«, sagte Mr. Croup. »Darauf gibt es eine einfache Antwort. Wir arbeiten für unseren Arbeitgeber, der lieber ungenannt bleiben möchte.«

»Hmpf. Warum haben Sie Doors Familie umgebracht?«

»Befehl von unserem Arbeitgeber«, sagte Mr. Croup, dessen Lächeln von Minute zu Minute füchsischer wurde.

»Warum haben Sie Door nicht getötet, als Sie die Gelegenheit dazu hatten?«

Bevor Mr. Croup antworten konnte, sagte Mr. Vandemar: »Muß am Leben bleiben. Sie ist die einzige, die die Tür öffnen kann.«

Mr. Croup funkelte seinen Kompagnon wütend an.

»Das reicht«, sagte er. »Warum erzählen Sie ihm nicht gleich alles?«

»Ich wollte auch mal«, murrte Mr. Vandemar.

»Gut«, sagte Mr. Croup. »Jetzt haben Sie Ihre drei Antworten, wozu auch immer das gut sein mag. Meine erste Frage: Warum beschützen Sie sie?«

»Ihr Vater hat mir das Leben gerettet«, antwortete der Marquis. »Ich habe ihm diese Schuld nie vergolten. Mir ist es lieber, wenn Leute bei mir Schulden haben.«

»Ich habe eine Frage«, sagte Mr. Vandemar.

»Genau wie ich, Mr. Vandemar. Der Oberweltler, Richard Mayhew. Warum ist er bei ihr? Warum läßt sie das zu?«

»Aus Sentimentalität«, erwiderte der Marquis de Carabas.

»Jetzt bin ich dran«, sagte Mr. Vandemar. »An welche Zahl denke ich gerade?«

»Wie bitte?«

»An welche Zahl denke ich gerade?« wiederholte Mr. Vandemar. »Irgendwas zwischen eins und ganz viel«, fügte er zuvorkommend hinzu.

»Sieben«, sagte der Marquis.

Mr. Vandemar nickte beeindruckt.

Mr. Croup begann: »Wo ist – «, doch der Marquis schüttelte den Kopf. »Mh-mh«, sagte er. »Jetzt werden wir unverschämt.«

Einen Moment lang herrschte absolute Stille in dem klammen Keller. Dann tropfte Wasser, und Maden raschelten, und der Marquis sagte: »Nicht vergessen: eine Stunde Vorsprung.«

»Gewiß«, sagte Mr. Croup.

Der Marquis de Carabas warf Mr. Croup die Figurine zu, die dieser gierig auffing, wie ein Drogensüchtiger, der eine Plastiktüte voll weißen Pulvers von zweifelhafter Legalität erwischt.

Und dann verließ der Marquis den Keller, ohne sich noch einmal umzusehen.

Mr. Croup drehte und wendete die Figurine, um sie gründlich zu untersuchen, wie ein Priester der Kirche der Fliegenden Antiquitätenhändler aus einem Dickens-Buch. Seine Zunge schoß von Zeit zu Zeit hervor, wie die einer Schlange. »Oh, sehr schön«, flüsterte er. »In der Tat: T’ang-Dynastie. Zwölfhundert Jahre alt, die feinsten Keramikfiguren, die je auf dieser Erde gefertigt wurden. Diese ist eine Arbeit von Kai Lung, dem Besten der Besten: so etwas gibt es kein zweites Mal. Man beachte nur die Farbe der Glasur; den Sinn für Proportionen; das Leben …« Jetzt lächelte er wie ein Baby; das unschuldige Lächeln war in der düsteren Landschaft seines Gesichts äußerst fehl am Platze. »Sie bringt ein wenig Magie und Schönheit in die Welt.«

Und dann grinste er, zu breit, neigte das Gesicht zu der Figurine hinab und zermalmte ihren Kopf zwischen den Zähnen, kaute und mampfte wild und schluckte in großen Brocken herunter. Seine Zähne zerbröselten das Porzellan zu einem feinen Pulver, das den unteren Teil seines Gesichts bestäubte.

Dieser Akt der Zerstörung verschaffte ihm eine ekstatische Befriedigung, er schwelgte darin mit dem merkwürdigen Wahnsinn eines Fuchses, der im Hühnerstall in einen Blutrausch gerät.

Und dann, als nur noch Staub übrig war, drehte er sich zu Mr. Vandemar um. Er wirkte seltsam melancholisch, fast matt. »Wieviel Zeit wollten wir ihm geben?«

»Eine Stunde.«

»Mmm. Und wieviel Zeit ist jetzt vergangen?«

»Sechs Minuten.«

Mr. Croup senkte den Kopf. Er fuhr sich mit dem Finger über das Kinn und leckte den pulverisierten Ton von der Fingerspitze.

»Folgen Sie ihm, Mister Vandemar«, sagte Mr. Croup. »Ich brauche noch ein wenig Zeit, um dieses Erlebnis bis zur Neige auszukosten.«

Hunter hörte sie die Stufen herunterkommen. Sie stand mit verschränkten Armen im Schatten, in der gleichen Haltung, in der sie sie verlassen hatten.

Richard summte laut vor sich hin.

Door kicherte unbeherrscht. Dann hörte sie auf und sagte Richard, er solle still sein. Dann fing sie wieder an zu kichern. Sie gingen an Hunter vorbei, ohne sie zu bemerken.

Hunter trat aus dem Schatten und sagte: »Sie waren acht Stunden lang fort.« Das war eine reine Feststellung, weder vorwurfsvoll noch neugierig gemeint.

Door blinzelte in ihre Richtung. »Es kam mir gar nicht so lange vor.«

Hunter sagte nichts.

Richard grinste sie glasig an. »Wollen Sie nicht wissen, was passiert ist? Also, Mister Croup und Mister Vandemar haben uns aufgelauert. Leider hatten wir keinen Leibwächter dabei. Dafür habe ich mich ihrer angenommen.«

Hunter zog eine perfekte Augenbraue hoch. »Ich wußte gar nicht, daß Sie so schlagkräftig sind«, sagte sie kühl.

Door kicherte. »Er macht nur Spaß. In Wirklichkeit – haben sie uns umgebracht.«

»Als Expertin in der Stillegung von Körperfunktionen«, erwiderte Hunter, »muß ich Ihnen widersprechen. Keiner von Ihnen beiden ist tot. Ich tippe eher darauf, daß Sie alle beide sehr betrunken sind.«