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Serpentine stand in der Tür. Sie trug eine weiße Ledercorsage, hohe weiße Lederstiefel und die Überreste von etwas, das aussah, als sei es vor langer Zeit einmal ein weißes Hochzeitskleid aus Seide und Spitze gewesen, das jetzt zerlumpt und schmutzfleckig und zerrissen war. Sie überragte sie alle: Ihr ergrauender Haarschopf streifte den Türrahmen. Ihre Augen waren scharf, und ihr Mund war ein grausamer Strich in einem herrischen Gesicht.

Sie schaute Door an, als gebührte es ihr, daß man eine Todesangst vor ihr hatte; als wäre sie an Furcht nicht nur gewöhnt, sondern erwartete sie, mochte sie sogar.

»Beruhigen Sie sich«, sagte Hunter.

»Aber das ist Serpentine«, wimmerte Door. »Von den Seven Sisters.«

Serpentine neigte höflich den Kopf. Dann gab sie den Eingang frei. Hinter ihr stand eine dünne Frau mit einem strengen Gesicht und langem dunklen Haar, in einem schwarzen Kleid, das ihre Taille wespengleich einzwängte. Die Frau sagte nichts.

Serpentine ging zu Hunter hinüber.

»Hunter hat vor langer Zeit für mich gearbeitet«, sagte Serpentine. Sie streckte einen weißen Finger aus und streichelte sanft Hunters braune Wange, eine besitzergreifende und liebevolle Geste. Und dann: »Du hast dich besser gehalten als ich, Hunter.«

Hunter sah zu Boden.

»Ihre Freunde sind meine Freunde, mein Kind«, sagte Serpentine. »Du bist Door?«

»Ja«, sagte Door mit trockenem Mund.

Serpentine wandte sich Richard zu. »Was bist du?« fragte sie ungerührt.

»Richard«, sagte Richard.

»Ich bin Serpentine«, erklärte sie würdevoll.

»Ist mir nicht entgangen«, sagte Richard.

»Auf euch alle wartet etwas zu essen«, sagte Serpentine, »falls ihr Lust auf ein Frühstück habt.«

»Oh Gott, nein«, stöhnte Richard höflich.

Door sagte nichts. Sie stand immer noch mit dem Rükken zur Wand und zitterte leise, wie ein Blatt im Sommerwind. »Was gibt es zu essen?« fragte Hunter.

Serpentine sah die Frau mit der Wespentaille im Eingang an. »Nun?« fragte sie.

Die Frau lächelte das eisigste Lächeln, das Richard je auf einem menschlichen Gesicht gesehen hatte. Dann sagte sie: »Spiegeleier hartgekochte Eier Soleier Wildbretcurry Perlzwiebeln eingelegte Heringe Räucherheringe Salzheringe Pilzragout Salzschinken Kohlrouladen Hammelfleisch Kalbsfußsülze – «

Richard öffnete den Mund, um sie anzuflehen, aufzuhören, aber es war zu spät. Er mußte sich plötzlich ganz fürchterlich übergeben.

Er wollte, daß ihn jemand in den Arm nahm, ihm sagte, daß alles wieder gut würde, daß er sich bald besser fühlen würde; wollte, daß ihm jemand ein Aspirin und ein Glas Wasser gab und ihn wieder ins Bett brachte. Aber niemand tat es; und sein Bett war ein ganzes Leben weit weg. Er wusch sich mit Wasser aus dem Eimer das Erbrochene aus dem Gesicht und von den Händen. Dann spülte er sich den Mund aus. Und dann folgte er den vier Frauen leicht schwankend zum Frühstück.

»Kann ich mal die Kalbsfußsülze haben«, sagte Hunter mit vollem Mund.

Serpentines Eßzimmer befand sich auf dem kleinsten U-Bahnsteig, den Richard je gesehen hatte. Er war etwa dreieinhalb Meter lang, und den größten Teil davon nahm ein Eßtisch ein. Er war mit einer weißen Damasttischdecke und einem offiziösen Silberservice gedeckt. Darauf türmten sich übelriechende Lebensmittel. Die eingelegten Wachteleier, dachte Richard, stanken am schlimmsten.

Seine Haut war kalt und feucht, und seine Augen fühlten sich so an, als seien sie falsch herum eingesetzt worden, wobei sein gesamter Schädel offenbar gegen einen anderen ausgetauscht worden war, der zwei oder drei Nummern zu klein war.

Eine U-Bahn fuhr keine zwei Meter von ihnen entfernt vorbei; der Fahrtwind zerrte an ihrem Tisch. Der Lärm drang durch Richards Kopf wie ein heißes Messer durch Hirn. Er stöhnte auf.

»Dein Held verträgt nichts, wie ich sehe«, stellte Serpentine sachlich fest.

»Er ist nicht mein Held«, sagte Door.

»Ich fürchte doch. Mit der Zeit erkennt man solche Typen. Vielleicht verraten es ihre Augen.« Sie wandte sich zu der Frau in Schwarz um, die eine Art Majordomus zu sein schien. »Eine kleine Stärkung für den Herrn.«

Die Frau lächelte dünn und glitt davon.

Door stocherte in einem Pilzgericht. »Wir sind für all dies sehr dankbar, Lady Serpentine«, sagte sie.

Serpentine schniefte. »Einfach Serpentine, mein Kind. Ich habe keine Zeit für dumme Formalitäten. Nun. Du bist also Porticos älteste Tochter.«

»Ja.«

Serpentine tauchte den Finger in die salzige Soße, die etwas enthielt, das aussah wie kleine Aale. Sie leckte den Finger ab und nickte anerkennend. »Ich hatte nicht viel übrig für deinen Vater. Immer dieses Gefasel von der Vereinigung der Unterseite. So ein Unsinn. Dieser Dummkopf. Der hat doch das Schicksal herausgefordert. Das letzte Mal, als ich deinen Vater gesehen habe, habe ich ihm gesagt, wenn er jemals wieder hier auftaucht, werde ich ihn in eine Blindschleiche verwandeln.« Sie wandte sich Door zu. »Wie geht es deinem Vater übrigens?«

»Er ist tot«, sagte Door.

Serpentine sah sehr zufrieden aus. »Siehst du?« sagte sie. »Genau das hab’ ich gemeint.«

Door sagte nichts.

Serpentine pflückte sich etwas aus den Haaren. Sie untersuchte es eingehend, zerquetschte es dann zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ es auf den Bahnsteig fallen. Dann wandte sie sich Hunter zu, die einen kleinen Berg eingelegter Heringe vertilgte. »Du bist also auf der Jagd nach dem Ungeheuer?« fragte sie.

Hunter nickte mit vollem Mund.

»Dann brauchst du natürlich den Speer«, sagte Serpentine. Die Frau mit der Wespentaille stand jetzt neben Richard, ein schmales Tablett in der Hand. Auf dem Tablett stand ein kleines Glas mit einer schreiend smaragdfarbenen Flüssigkeit. Richard starrte es an und warf dann Door einen Blick zu.

»Was geben Sie ihm?« fragte Door.

»Nichts, was ihm schaden würde«, sagte Serpentine mit einem frostigen Lächeln. »Ihr seid meine Gäste.«

Richard stürzte die grüne Flüssigkeit herunter, die nach Thymian und Pfefferminz und Wintermorgen schmeckte.

Er spürte sie hinunterrinnen und versuchte sich dagegen zu wappnen, daß sie ihm wieder hochkam. Doch dann holte er tief Luft und merkte ein wenig überrascht, daß sein Kopf nicht mehr wehtat.

Und daß er einen Bärenhunger hatte.

Old Bailey gehörte nun wirklich nicht zu den Menschen, die in die Welt gesetzt wurden, damit sie Witze erzählten. Trotz dieses Handicaps ließ er es sich nicht nehmen, ständig welche zu erzählen. Die Witze, die zu erzählen er sich nicht nehmen ließ, waren meistens überlange unverständliche Geschichten, die in einem traurigen Wortspiel endeten, das Old Bailey allerdings nur allzuoft vergessen hatte, bis es endlich so weit war.

Old Baileys Publikum beim Witzeerzählen bestand nur aus ein paar eingesperrten Vögeln, die – besonders die Krähen – seine Witze als tiefsinnige philosophische Gleichnisse betrachteten, die ihnen bedeutsame und scharfsinnige Einblicke in das verschafften, was es bedeutete, ein Mensch zu sein, und die ihn daher von Zeit zu Zeit um eine seiner Geschichten baten.

»Na gut, na gut, na gut«, sagte Old Bailey. »Sagt Bescheid, wenn ihr den schon kennt. Ein Mann kommt in eine Bar. Nein, das war kein Mann. Das ist der Witz daran. ’Tschuldigung. Das war ein Pferd. Ein Pferd … nein … eine Krawatte. Drei Krawatten. Genau. Drei Krawatten kommen in eine Bar.«

Eine riesige alte Krähe krächzte eine Frage.

Old Bailey rieb sich das Kinn und zuckte dann mit den Schultern. »Sie tun’s eben. Das ist ein Witz. In dem Witz können sie laufen. Sie bestellt einen Drink für sich und je einen für ihre beiden Freunde. Und der Barmann sagt, wir bedienen hier keine Krawatten. Zu einer der Krawatten. Also. Die geht wieder zu ihren Freunden und sagt, die bedienen hier keine Krawatten. Das ist ein Witz, also geht die mittlere auch hin, sie sind zu dritt, versteht ihr, und die dritte, die bindet sich ganz neu und zieht ein Ende von sich ganz raus. Und sie bestellt einen Drink.«