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»Alles in Ordnung?« fragte Garry.

»Ja«, sagte Richard. »Nein. Ich weiß nicht.«

»Tja«, sagte Garry, »mehr Möglichkeiten gibt es nicht. Möchtest du darüber reden?«

Richard sah ihn ernst an. »Du wirst mich auslachen.«

»Das tu ich sowieso.«

Richard schaute Garry an. Dann sah Garry ihn zu seiner Erleichterung lächeln, und er wußte, daß sie immer noch Freunde waren. Garry warf einen Blick zurück zum Pub. Dann steckte er die Hände in die Manteltaschen.

»Komm«, sagte er. »Laß uns spazierengehen. Du kannst mir dein Herz ausschütten. Dann lache ich dich aus.«

»Mistkerl«, sagte Richard und klang sehr viel mehr nach Richard als in den gesamten letzten Wochen.

»Dafür sind Freunde schließlich da.«

Sie schlenderten langsam unter den Straßenlaternen los.

»Hör mal, Garry«, begann Richard. »Fragst du dich jemals, ob das hier alles ist?«

»Was?«

Richard machte eine vage, allumfassende Geste. »Arbeit. Zuhause. Der Pub. Mädchen kennenlernen. In der Stadt wohnen. Das Leben. Ist das alles?«

»Ich glaube, das wär’s, ja«, sagte Garry.

Richard seufzte. »Also«, sagte er, »erstens bin ich nicht nach Mallorca gefahren. Ich meine, ich bin wirklich nicht nach Mallorca gefahren.«

Richard erzählte, während sie in dem Gewirr von Seitenstraßen zwischen der Regent Street und der Charing Cross Road auf und ab gingen. Er erzählte und erzählte. Er begann damit, wie er ein blutendes Mädchen auf der Straße gefunden hatte und ihr helfen wollte, weil er sie da nicht einfach liegenlassen konnte, und erzählte alles, was danach passiert war. Und als es ihnen zum Spazierengehen zu kalt wurde, gingen sie in ein schmieriges Nachtcafé. Ein richtiges Nachtcafé, eins, in dem alles in Schmalz gesotten und anständiger Tee in großen angestoßenen, fettglänzenden weißen Bechern serviert wurde.

Richard und Garry setzten sich, und Richard erzählte, und Garry hörte zu, und sie bestellten Spiegeleier und Baked Beans und Toast und saßen da und aßen, während Richard weiter erzählte und Garry weiter zuhörte. Sie tunkten die Eigelbreste mit dem Toast auf. Sie tranken noch mehr Tee, bis Richard schließlich sagte: »… und dann machte Door irgendwas mit dem Schlüssel, und ich war wieder zurück. In Ober-London. Also, dem echten London. Und, na ja, den Rest kennst du.«

Stille.

»Das ist alles«, sagte Richard. Er trank seinen Tee aus.

Garry kratzte sich am Kopf. »Hör mal«, sagte er endlich. »Ist das hier echt? Nicht irgendeine schreckliche Verarschung? Ich meine, es wird nicht gleich jemand mit einer Kamera hinter dem Grill hervorspringen oder so und mir sagen, daß ich bei Versteckte Kamera bin?«

»Das will ich nicht hoffen«, sagte Richard. »Du … glaubst du mir?«

Garry schaute auf die Rechnung auf ihrem Tisch, zählte Pfundmünzen ab und warf sie auf das Resopal. »Ich glaube, daß, na ja, offensichtlich irgendwas mit dir geschehen ist … was ausschlaggebender ist: Glaubst du es?«

Richard starrte ihn an. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. »Ob ich es glaube? Ich weiß es nicht mehr. Ich hab’s geglaubt. Ich war da. Einmal bist sogar du aufgetaucht, weißt du.«

»Das hast du gar nicht erwähnt.«

»Es war ziemlich schrecklich. Du hast mir gesagt, ich sei verrückt geworden und würde bloß halluzinierend durch London laufen.«

Sie verließen das Café und gingen in Richtung Süden, zum Piccadilly.

»Also«, sagte Garry. »Du mußt schon zugeben, das klingt immer noch wahrscheinlicher als dein magisches London unter uns, wo die Leute hinkommen, die durchs Netz fallen. Ich bin schon an Leuten vorbeigekommen, die durchs Netz fallen, Richard: Sie schlafen in Ladeneingängen, den ganzen Strand entlang. Sie landen nicht in einem speziellen London. Sie erfrieren im Winter.«

Richard sagte nichts.

Garry fuhr fort. »Ich glaube, du hast vielleicht sowas wie einen Schlag auf den Kopf bekommen. Oder eine Art Schock, als Jessica mit dir Schluß gemacht hat. Eine Zeitlang warst du ein bißchen verrückt. Dann ging es dir wieder besser.«

Richard schauderte. »Weißt du, was mir angst macht? Ich glaube, du könntest recht haben.«

»Das Leben ist also nicht aufregend?« fuhr Garry fort. »Prima. Her mit der Langeweile. Zumindest weiß ich, wo ich heute abend essen und schlafen werde. Am Montag werde ich immer noch einen Job haben. Ja?« Er drehte sich um und sah Richard an.

Richard nickte zögernd. »Ja.«

Garry schaute auf seine Uhr. »Verdammter Mist!« rief er aus. »Es ist schon nach zwei. Hoffen wir, daß noch ein paar Taxis unterwegs sind.« Sie gingen in die Brewer Street. Garry redete über Taxis. Er sagte nichts Originelles oder gar Interessantes. Er erfüllte nur seine Pflicht als Londoner, über Taxis zu murren. »… hatte sein Licht an und alles«, erzählte er gerade, »ich sagte ihm, wo ich hinwollte, er meinte, tut mir leid, ich bin auf dem Heimweg, ich sagte, wo wohnt ihr Taxifahrer denn bloß alle? Und warum wohnt keiner von euch bei mir in der Nähe? Der Trick ist nämlich, erst einzusteigen und ihm dann zu sagen, daß man südlich der Themse wohnt, ich meine, was wollte er mir damit sagen? Der tat ja ganz so, als läge Battersea in Katmandu …«

Richard hatte ihn ausgeblendet. Er starrte in das Fenster des Zeitschriftenantiquariats, starrte die Modelle vergessener Filmstars an und die Poster und Comics und Magazine in der Auslage. Es war wie ein Blick in eine Welt des Abenteuers und der Fantasie.

Und es war nicht real. Das sagte er sich.

»Und, was meinst du?« fragte Garry.

Richard schreckte zurück in die Gegenwart. »Wozu?«

Garry stellte fest, daß Richard kein Wort von dem, was er gesagt hatte, verstanden hatte. Er wiederholte es: »Wenn es keine Taxis gibt, können wir den Nachtbus nehmen.«

»Ja«, sagte Richard. »Prima. Gut.«

Garry schnitt eine Grimasse. »Ich mach’ mir Sorgen um dich.«

»Tut mir leid.«

Sie gingen die Windmill Street zum Piccadilly hinunter.

Richard steckte die Hände tief in die Taschen. Einen Moment lang machte er ein verdutztes Gesicht und zog eine ziemlich zerknickte schwarze Krähenfeder hervor, um deren Kiel ein roter Faden gebunden war.

»Was ist das?« fragte Garry.

»Das ist ein – « Er unterbrach sich. »Das ist bloß eine Feder. Du hast recht. Es ist nur Müll.«

Er warf die Feder in den nächsten Abfalleimer und schaute sich nicht mehr um. Garry zögerte. Dann sagte er, die Worte mit Bedacht wählend: »Hast du schon mal daran gedacht, dir professionelle Hilfe zu suchen?«

»Professionelle Hilfe? Hör mal, ich bin nicht verrückt, Garry.«

»Bist du da sicher?«

Ein Taxi kam auf sie zu. Sein gelbes Licht brannte.

»Nein«, sagte Richard ehrlich. »Da ist ein Taxi. Nimm du’s. Ich nehme das nächste.«

»Danke.« Garry hielt das Taxi an und stieg ein, bevor er dem Fahrer sagte, daß er nach Battersea wollte. Er drehte das Fenster herunter, und als das Taxi ausscherte, sagte er: »Richard – dies ist die Realität. Gewöhn dich dran. Darüber hinaus gibt es nichts. Bis Montag.«

Richard winkte ihm nach und sah zu, wie das Taxi wegfuhr. Dann drehte er sich um und ging fort von den Lichtern des Piccadilly, zurück zur Brewer Street.

Er blieb neben einer alten Frau stehen, die fest schlafend in einem Ladeneingang lag. Sie war mit einer zerrissenen alten Decke zugedeckt, und ihre paar Besitztümer – zwei kleine Pappschachteln voll Krimskrams und ein schmutziger, ehemals weißer Schirm – lagen zusammengeschnürt neben ihr, und die Schnur war um ihr Handgelenk gebunden, damit niemand ihr etwas klaute, während sie schlief. Sie trug ein wollene Pudelmütze von undefinierbarer Farbe.

Er zog seine Brieftasche, fand eine Zehn-Pfund-Note und beugte sich vor, um der Frau den zusammengefalteten Schein in die Hand zu schieben.