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An jenem Abend ging ich nicht mehr aus, ja ich verga zu essen, zu rauchen. Mit dem ersten Griff hatte ich aus dem Koffer den zufllig beigepackten Shakespeare geholt, ungeduldig, ihn (seit Jahren wieder zum erstenmal) zu lesen; meine Neugier war durch jenen Vortrag leidenschaftlich entzndet, und ich las gedichtetes Wort, wie ich es nie gelesen. Kann man derartige Verwandlungen erklren? Aber mit einmal ging mir eine Welt im Geschriebenen auf, die Worte zuckten nur so auf mich zu, als suchten sie mich seit Jahrhunderten; eine Feuerwoge lief der Vers, mich mitreiend, bis ins Adernwerk hinein, da ich jene seltsame Gelockertheit in den Schlfen fhlte wie bei einem Flugtraum. Ich zuckte, ich zitterte, ich fhlte das Blut wrmer mich durchwogen, wie Fieber flogs mich an - all das war mir vordem nie geschehen, und ich hatte doch nichts erlebt als das Hren einer passionierten Rede. Aber von dieser Rede mute wohl noch Rausch in mir sein, ich hrte, wenn ich eine Zeile laut wiederholte, wie meine Stimme seine Stimme unbewut nachahmte, die Stze strmten in gleichem fortschieendem Rhythmus, und meine Hnde hatten Lust, genau wie die seinen wlbend auszufahren - wie durch Magie hatte ich in einer Stunde die Mauer, die bislang zwischen mir und der geistigen Welt stand, durchstoen und entdeckte, der Leidenschaftliche, mir eine neue Leidenschaft, die mir treu geblieben ist bis zum heutigen Tage: die Lust am Mitgenieen alles Irdischen im beseelten Wort. Zufllig war ich auf denCoriolansgestoen, und wie ein Taumel kams ber mich, als ich in mir alle Elemente dieses fremdesten aller Rmer fand: Stolz, Hochmut, Zorn, Hohn, Spott, alles Salz, alles Blei, alles Gold, alle Metalle des Gefhls. Was fr eine neue Lust, dies magisch mit einmal zu ahnen, zu verstehen! Ich las und las, bis mir die Augen brannten; als ich auf die Uhr sah, zeigte sie halb vier. Beinahe erschreckt ber die neue Gewalt, die sechs Stunden mir alle Sinne erregt und betubt zugleich, lschte ich das Licht. Aber innen glhten und zuckten die Bilder noch weiter, ich konnte kaum schlafen vor Sehnsucht und Erwartung nach dem nchsten Tag, der die so zauberisch aufgetane Welt mir erweitern und ganz zu eigen machen sollte.

Aber der nchste Morgen brachte Enttuschung. Ungeduldig hatte ich mich als einer der ersten im Hrsaal eingefunden, wo mein Lehrer (denn so will ich ihn fortab nennen) sein Kolleg ber englische Lautlehre lesen sollte. Schon als er eintrat, erschrak ich: war dies denn derselbe von gestern, oder hatte ihn nur meine erregte Stimmung und Erinnerung befeuert zu einem Coriolan, der auf dem Forum das Wort als Blitzstrahl fhrt, heldenhaft khn, niederschlagend und bezwingend? Der hier mit leisem schleppendem Schritt eintrat, war ein alter, mder Mann. Als sei eine leuchtende Mattscheibe von seinem Antlitz weggenommen, so merkte ich jetzt von der ersten Bankreihe seine fast krnklich matten Zge von scharfen Runzeln und breiten Schrunden durchackert; blaue Schatten hhlten Rinnsale querhin in das schlaffe Grau der Wangen. ber die Augen schatteten dem Lesenden zu schwere Lider, auch der Mund mit den zu blassen, zu schmalen Lippen gab dem Wort kein Metalclass="underline" wo war seine Heiterkeit, der sich selbst aufjubelnde berschwang? Selbst die Stimme schien mir fremd; gleichsam vom grammatikalischen Thema ernchtert, ging sie steif durch trocken knirschenden Sand in monoton ermdendem Schritt.

Unruhe berkam mich. Das war ja gar nicht der Mann, auf den ich seit der ersten Stunde heute gewartet: wohin war sein Antlitz vergangen, sein gestern so astra-lisch mir erhelltes? Hier spulte ein abgentzter Professor sachlich sein Thema ab; immer horchte ich mit neuer Angst in sein Wort hinein, ob nicht doch jener Ton von gestern wiederkehren wollte, die warme Vibration, die wie eine klingende Hand in mein Gefhl gegriffen und es zur Leidenschaft emporgestimmt. Immer unruhiger stieg mein Blick zu ihm auf, voll Enttuschung das entfremdete Gesicht bertastend: das Antlitz hier, unleugbar, es war dasselbe, aber gleichsam entleert, enthhlt aller zeugenden Krfte, mde, alt, eines alten Mannes pergamentene Larve. Aber war derlei mglich? Konnte man so jung sein eine Stunde und so unjugendlich die nchste schon? Gab es derart pltzliche Wallungen des Geistes, da sie mit dem Wort auch das Antlitz durchformen und um Jahrzehnte verjngen?

Die Frage qulte mich. Wie ein Durst brannte mirs innen, mehr von diesem zwiefltigen Manne zu wissen. Und einer pltzlichen Eingebung folgend, eilte ich, kaum da er blicklos an uns vorbei das Katheder verlassen, in die Bibliothek und forderte seine Werke. Vielleicht war er nur mde gewesen heute, sein Elan von einem Unbehagen des Leibes gedmpft: hier aber, im dauernd Niedergelegten der Gestaltung mute doch Einstieg und Schlssel sein in seine mich merkwrdig anfordernde Erscheinung. Der Diener brachte die Bcher: ich erstaunte, wie wenige. In zwanzig Jahren hatte der alternde Mann also nicht mehr verffentlicht als diese dnne Reihe loser Bndchen, Einleitungen, Vorreden, eine Diskussion ber die Echtheit des Shakespeareschen Perikles, ein Vergleich zwischen Hlderlin und Shelley (dies freilich zu einer Zeit, wo weder der eine noch der andere seinem Volke als Genius galt) und sonst nur philologischen Kleinkram? Freilich: in allen Schriften war als vorbereitet ein zweibndiges Werk angekndigt:Das Globe-Theater, seine Geschichte, seine Darstellung, seine Dichter, doch trotzdem jene erste Voranzeige bereits zwei Jahrzehnte rckdatierte, besttigte mir der Bibliothekar auf eine nochmalige Anfrage, niemals sei es erschienen. Ein wenig zaghaft und schon nur mehr mit halbem Mut bltterte ich die Schriften an, sehnschtig, aus ihnen die rauschende Stimme, jenes Hinbrausen des Rhythmus mir zu erneuern. Aber der Schritt dieser Schriften pendelte beharrlichen Ernstes, nirgends zitterte der hei taktierte, sich selbst wie Welle die Welle berspringende Rhythmus jener rauschenden Rede. Wie schade! seufzte etwas in mir. Ich htte mich selbst schlagen knnen, so bebte ich vor Zorn und Mitrauen gegen mein allzu rasch und leichtglubig ihm hingeliehenes Gefhl.

Aber nachmittags im Seminar erkannte ich ihn wieder. Diesmal sprach er zunchst nicht selber. Nach englischer College-Sitte waren diesmal zwei Dutzend Studenten zur Diskussion in Redner und Widerredner geteilt, als Thema neuerdings eins aus seinem geliebten Shakespeare gesetzt, nmlich, ob Troilus und Cressida (sein Lieblingswerk) als parodistische Figuren zu gelten htten, das Werk selbst als Satyrspiel oder eine hinter Hohn verdeckte Tragdie. Bald entzndete sich, von seiner geschickten Hand angefacht, aus blo geistigem Gesprch eine elektrische Erregung - Argument sprang schlagkrftig gegen lssige Behauptung, Zwischenrufe stachelten scharf und schneidend die Diskussion zur Hitzigkeit, bis die jungen Menschen fast feindlich aufeinander losfuhren. Dann erst, als die Funken klirrten, sprang er dazwischen, lockerte den allzu heftigen Zugriff, die Diskussion geschickt auf das Thematische zurckfhrend, um ihr aber gleichzeitig durch einen heimlichen Ruck ins Zeitlose verstrkten geistigen Schwung zu geben - und so stand er pltzlich inmitten dieses dialektischen Flammen-Spiels, selber heiter erregt, den Hahnenkampf der Meinungen in einem anstachelnd und zurckreiend, Meister dieser aufgestrmten Welle von jugendlichem Enthusiasmus und selber berstrmt von ihr. An den Tisch gelehnt, die Arme ber die Brust gekreuzt, blickte er von einem zum ndern, diesen anlchelnd, jenen mit einem heimlichen Wink zur Gegenrede ermunternd, und angeregt wie gestern glnzte sein Auge: ich sprte, er mute sich bndigen, um nicht selbst ihnen allen mit einem Griff das Wort vom Munde zu reien. Aber er hielt sich gewaltsam zurck, ich sahs an den Hnden, die sich immer fester ber der Brust als eine Daube anpreten, ich erriets an den springenden Mundwinkeln, die mit Mhe das schon aufzuckende Wort niederdrckten. Und pltzlich gelang es ihm nicht mehr, er warf sich wie ein Schwimmer rauschend hinein in die Diskussion - mit einer wuchtigen Geste der losfahrenden Hand zerhieb er den Tumult wie mit einem Taktstock: sofort verstummten alle, und nun fate er in seiner wlbenden Art alle Argumente zusammen. Und aufstieg, indem er sprach, jenes Gesicht von gestern, die Falten vergingen hinter dem flatternden Nervenspiel, zu khner herrschender Geste reckte sich Hals und Statur, und aus seiner lauschend geduckten Haltung warf er sich in die Rede wie in einen strzenden Strom. Die Improvisation ri ihn hin: nun begann ich zu ahnen, da er, nchtern mit sich allein, im sachlichen Kolleg oder in der einsamen Schreibstube jenes Zndstoffs entbehrte, die ihm hier, in unserer gepreten atemlosen Gebanntheit, die innere Wand aufsprengte; er brauchte, oh, wie fhlte ich das, unseren Enthusiasmus fr den seinen, unser Aufgetansein fr seine Verschwendung, uns Jugend fr das Jungsein in der Begeisterung. Wie ein Zimbalschlger sich berauscht an dem immer wilderen Rhythmus seiner eifernden Hnde, so wurde seine Rede immer besser, immer flammender, immer farbiger im heieren Wort, und je tiefer wir schwiegen (man fhlte unwillkrlich unsere Atemlosig-keit im Raum), um so hher, um so spannender, um so hymnischer schwang seine Darstellung sich auf. Und alle gehrten wir einzig ihm in diesen Minuten, ganz eingelauscht, eingerauscht in jenen berschwang.