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Der gute Manauri hatte mir also die fragwürdige Rolle eines Häuptlings zugedacht und sah in den gräßlichen Stiefeln das Symbol meiner Herrschaft. Der Teufel sollte ihn holen! Das interessanteste aber war, daß auch die andern Indianer, wie ich merkte, seine Entscheidung billigten und sich gleichfalls in den Kopf gesetzt hatten, es sei meine ehrenvolle Pflicht, die Stiefel zu tragen. Wie konnte ich sie von diesem Unsinn abbringen?

Nur Arnak und Lasana hatten keine Grillen im Kopf. Sie bewahrten ihre Ruhe, vergnügten sich aber köstlich über meine Nöte mit den Stiefeln. Sie schwiegen und machten keine Anstalten, mir zu Hilfe zu kommen. Wagura, dem Dritten im Bunde, funkelten die Augen vor Vergnügen. Er begann zu kichern und flüsterte mir englisch zu, wobei er die Worte mit Absicht dehnte: „Die Stiefel haben dich eingeholt, Jan. Nun wird der Weiße Jaguar Stiefel tragen.”

Der Spötter hatte sich erinnert, daß mich Lasana Weißer Jaguar genannt hatte.

Einzig Arasybo bildete eine Ausnahme in diesem Kreis. Noch immer stand er reglos neben den Stiefeln und sah mich durchdringend an. Sein starrer Blick ruhte auf meinem Mund, schien aber gleichzeitig in meine Augen und meine Gedanken eindringen zu wollen. Bis in die Runzeln des Gesichts zeichnete sich seine Willensanstrengung ab. Was wollte er von mir? In seinen Augen lag etwas Verlangendes. Plötzlich kam mir die Erleuchtung!

Verschmitzt lächelnd wandte ich mich an den Häuptling: „Du hast doch gesagt, daß die Stiefel mir gehören?”

„Es sind deine, Jan”, beeilte er sich zu versichern. „Sie gehören dir.”

„Das ist gut so”, sagte ich zufrieden, hob die Stiefel auf und hielt sie Arasybo hin.

„Nimm, ich schenke sie dir!” Ich lächelte ihm freundlich zu.

Im ersten Augenblick wollte Manauri zornig aufbrausen. Da aber Arnak, Wagura und Lasana in lautes Gelächter ausbrachen, in das auch ich einstimmte, und Arasybo sich blitzschnell niederhockte und mit affenartiger Geschwindigkeit die Stiefel anzog, blieb ihm nichts anderes übrig, als gleichfalls zu lachen und die ganze Angelegenheit als Scherz hinzunehmen.

Nachdem sich die Runde beruhigt hatte, erklärte er daher: „Gut, Jan, in diesem Fall will ich nachgeben, doch mußt du mir zwei Dinge versprechen. Beide sind zu deinem eigenen Vorteil.”

„Wenn sie zu meinem Vorteil sind, bin ich einverstanden”, versicherte ich. „Was soll ich also versprechen?”

„Erstens sollst du den Erdboden gut beobachten und dich vor Schlangen in acht nehmen, und zweitens, auch das ist ernst, wirst du, sobald wir unser Dorf erreichen, die Uniform des spanischen Hauptmanns anziehen, die in deinem Besitz ist, und — die Stiefel.”

„Die Uniform nehmen wir mit?” fragte ich beunruhigt.

„Wir nehmen sie mit’, entschied er kurz.

„Gut, ich werde sie tragen, aber nur während des Einzugs ins Dorf.”

„Das genügt. Dafür wirst du sie jedesmal anziehen, wenn uns andere Häuptlinge besuchen”, antwortete er in aller Ruhe.

Um des lieben Friedens willen und um ihm seine großspurigen Pläne nicht zu verderben, ging ich auch darauf ein.

Die spanischen Stiefel waren Arasybo viel zu groß, doch darauf achtete er gar nicht. Angeblich erleichterten sie ihm das Gehen. Wir überlegten, was wir mit ihm machen sollten. Arasybo selbst behauptete, daß ihm sein Hinken auch bei schnellen Märschen nicht hinderlich sei, und forderte, auf keinen Fall zurückgelassen zu werden. Die Indianer dagegen schüttelten den Kopf; sie hegten Befürchtungen, daß er ihnen unterwegs Schwierigkeiten bereiten könnte, und deuteten an, daß er in der Nähe des Geierbergs auf die Krieger warten solle, die kommen würden, um die restlichen Sachen zu holen. Mit diesen möge er dann nach Süden zurückkehren.

Als Arasybo das hörte, verkrampfte sich sein Gesicht in wilder Verzweiflung, und in seinen Augen glimmten Funken des Hasses oder des Wahnsinns auf.

„Unrecht!” stieß er röchelnd hervor, unfähig, andere Worte zu finden. „Unrecht!”

Er war aufs äußerste erregt, und mir schien es an der Zeit, einzugreifen und ihm beizustehen.

„Manauri!” rief ich laut, um den herrschenden Lärm zu übertönen. „Ist es notwendig, daß Arasybo hier bleibt, um unsere Sachen zu bewachen?”

„Es wäre gut, wenn er zurückbliebe”, antwortete der Häuptling. „Ich möchte wissen, ob es unbedingt notwendig ist?” „Unbedingt?” Unter meinem scharfen Blick wurde er schwankend. „Unbedingt müßte es nicht sein.”

„So geht es auch ohne ihn?” Meine Worte klangen fordernd. „Es geht auch ohne ihn.”

„Und du!” Ich wandte mich an Arasybo. „Bist du sicher, daß du den Anstrengungen des Marsches gewachsen bist?”

„Ich falle nicht um, ich werde den Marsch nicht aufhalten”, wimmerte der Hinkende. „Mein Bein ist ausgeheilt, es ist nur kürzer. Die Stiefel helfen mir auch.”

„Gut’, sagte ich. „Wir nehmen ihn mit. Es wäre unmenschlich, ihn hier zurückzulassen.”

Es war niemand dagegen, denn im Grunde wünschten ihm alle das Beste. Arasybo schielte zu mir herauf, und über sein verzerrtes Gesicht huschte ein Ausdruck des Dankes. Ein seltsamer, bedauernswerter Mensch!

Nun begannen wir mit der dringendsten Arbeit, mit dem Entladen des Schiffes. Die Indianer, von denen die meisten jeden Winkel der Lagune genau kannten, zogen den Schoner in der Nähe eines steil abfallenden Felsens ans Ufer heran. Am Fuß des Felsens, kaum dreißig Schritt vom Wasser entfernt, befand sich eine Höhle. In ihr verbargen wir alle Sachen, die wir nicht mitnehmen konnten. Es kam ziemlich viel zusammen, denn wir brachten nicht nur einen Teil der sorgsam eingefetteten Waffen hierher, sondern auch verschiedene Geräte sowie Mais und Dörrfleisch, das wir auf dem Schoner gefunden hatten. Zum Schluß schleppten wir die gesamte Takelage des Schiffes in die Höhle. Als es Abend wurde, waren wir mit der Arbeit fertig und verschlossen den Eingang mit Steinen und Buschwerk, so daß kein Fremder hier etwas vermuten konnte.

Den Schoner verankerten wir zwischen den schroffen Felsen eines schmalen, aber tiefen Einschnitts im Westteil der Lagune. Wir waren überzeugt, daß ihn in diesem engen Schlauch das Auge eines Nichteingeweihten kaum entdecken konnte. Unsere drei Boote zogen wir an Land und versteckten sie kieloben im Gebüsch.

Der Untergang der Spanier

ir verbrachten die Nacht am Ufer der Lagune und traten bei Sonnenaufgang unseren weiten Weg an. Obwohl wir nur das Notwendigste mitnahmen, trug jeder von uns einen großen Packen auf dem Rücken. Außer den Bogen, Speeren und Keulen der Indianer führten wir drei Musketen, drei Kugelbüchsen und fünf Pistolen nebst der entsprechenden Menge Pulver und Kugeln mit. Ferner gehörten eine Anzahl Äxte, Messer und Spaten zu unserer Ausrüstung sowie viel Proviant, um unterwegs keine Zeit für die Jagd verschwenden zu müssen. Endlich schleppten wir noch etwas Stoff und spanischen Flitterkram mit uns, wovon das beste Stück die Paradeuniform war, die ich bei großen Zeremonien tragen sollte.

Wir marschierten zunächst den Fluß entlang, der in die Lagune mündete. Während der Morgenstunden kamen wir durch die verlassenen Siedlungen der Arawaken, in denen es genauso traurig aussah wie in dem Dorf an der Bucht. Gegen Mittag rasteten wir, verließen dann das Flußtal und stiegen mühsam eine hohe Bergkette hinan, die parallel zur Küste verlief. Als es Abend wurde, hatten wir den höchsten Punkt überschritten und blickten in eine Landschaft hinab, die nicht mehr so zerklüftet war und deren sanfte Hügel ein leichteres Vorwärtskommen versprachen. Unsagbar erschöpft schlugen wir unser Lager auf. Arasybo hatte den ganzen Tag tapfer durchgehalten.

Die Vegetation hier war ziemlich dürftig, was für Gegenden mit trockenem Klima charakteristisch ist. Es gab wenig Bäume,

und das Buschwerk war mit Stacheln übersät, die einem immer wieder die Haut aufrissen. Von höherem Wild war keine Spur zu entdecken. Unter der spärlichen Vogelwelt vermißte ich die Papageien, die mir auf der Insel so liebe Freunde gewesen waren. Nur die Geier kreisten in Scharen über den Bergen, und ich zerbrach mir den Kopf, nach welcher Beute die Aasfresser in dieser unfruchtbaren Gegend Ausschau hielten, wenn nicht nach uns, nach den Menschen!