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Gegen Abend fiel ein kurzer, aber ergiebiger Regen, den ich mit großer Erleichterung begrüßte. Nun erst war ich sicher, daß unsere Spuren in der Steppe verwischt worden waren und jedem Verfolger die Suche nach uns sehr schwerfallen mußte.

Mein junger Gefangener hatte das Bewußtsein wiedererlangt. Obwohl er an Armen und Beinen gefesselt war, ließen die Indianer kein Auge von ihm. Als der Spanier erkannt hatte, daß seinem Leben im Augenblick keine Gefahr drohte, war er ruhiger geworden, verfolgte aber unsere Vorbereitungen zur Ausfahrt mit ständig wachsender Angst. Je mehr Schußwaffen auf Deck getragen wurden, um so größer wurde sein Schrecken. Als ob ihm der Ernst seiner Lage erst jetzt bewußt geworden sei, begann er plötzlich laut zu schreien; seine Rufe klangen bald wie Klagen, bald wie Drohungen.

„Was will er?” fragte ich.

„Er will mit dir sprechen.”

„Warum sagt ihr mir das nicht gleich?”

Da die Pferde untergebracht waren und jetzt nur noch die Futtervorräte an Bord getragen wurden, konnten wir etwas verschnaufen. Ich rief daher Manauri und Arnak, die mir das Gespräch mit dem Gefangenen übersetzen sollten.

„Wie heißt du?” redete ich ihn an.

„Pedro Martinez.”

„Bist du aus dem Rancho La Soledad?”

„Ja, Herr.”

„Die Menschen dort sind grausam, sie unterdrücken die Indianer. Du hast selbst gesehen, wie sie uns behandelt haben.”

„Ich habe es gesehen, doch ich selbst habe die Indianer noch nie schlecht behandelt.”

„Das sagst du, weil du dich in unserer Gewalt befindest und um dein Leben bangst.”

„Ich sage es, weil es so ist’, versicherte er mit bebender Stimme und einem Ausdruck ohnmächtiger Verzweiflung in den Augen. Der Junge machte keinen schlechten Eindruck.

„Welche Arbeit hast du im Rancho verrichtet?”

Der Gefangene zögerte mit der Antwort.

„Ich habe. . . überhaupt nicht gearbeitet.”

„Du mußt doch irgend etwas getan haben? Oder hast du dich nur herumgetrieben?”

„Ich war Gast bei meinem Onkel.”

„Bei deinem Onkel?”

„Ja, er ist der Eigentümer des Ranchos.”

„Ach, so ist das. Wenn du also in La Soledad nicht gearbeitet hast, so sage uns, welcher Arbeit du sonst nachgehst?”

„Ich arbeite überhaupt noch nicht, Herr. Ich bin Schüler.” „Schüler? Wie alt bist du denn?” „Siebzehn. Ich lerne im Kollegium der Dominikaner.”

„In La Soledad?”

„Nein, dort gibt es kein Kollegium. In der Stadt Cumana. Ich soll Arzt werden.”

Dieser Pedro sah in der Tat nach einem Jüngling mit guter Bildung aus und konnte meinen Absichten sehr zustatten kommen. Er war eine wertvolle Beute.

In diesem Augenblick sah er mit ratlosem Augenausdruck und nicht zu verbergenden Anzeichen von Angst zu mir auf. „Herr!” rief er mit erstickender Stimme. „Was wollt ihr von mir? Was soll mit mir geschehen?”

„Es wird dir nichts geschehen. Du bist mein Gefangener und fährst mit uns.” Mit diesen Worten versuchte ich ihn zu beruhigen. „Wer seid ihr? Ihr wollt mich aufs Meer verschleppen!” „Jawohl, wir fahren aufs Meer hinaus, doch sei ohne Sorge.. .” „Ihr seid also Piraten?'!

„Wie kommst du darauf?”

„Du bist Engländer, Herr. Ihr verfügt über viele Schußwaffen und habt ein Schiff. . .”

„Nein, wir sind keine Piraten.”

„Wohin werdet ihr mich bringen? Auf die englischen Inseln?” fragte er voller Schrecken.

„Nein, dorthin bringen wir dich nicht. Wenn wir auf dem Meer sind, wirst du erfahren, wohin wir segeln.”

Plötzlich brach er völlig zusammen, war dem Weinen nahe und stöhnte: „Herr! Habe Mitleid mit mir, laß mich laufen! Gib mir die Freiheit zurück, ich bitte dich! Ich habe dir nichts Böses getan.” „Du nicht, das ist wahr, dafür aber deine Gefährten! Übrigens ist das jetzt Nebensache. Paß gut auf, Pedro. Du bist mein Gefangener und wirst es einige Monate bleiben. Du wirst mich in der spanischen Sprache unterweisen, weil ich sie brauche. Dafür werde ich dir später die Freiheit zurückgeben und dich zu deinen Angehörigen zurückschicken. Wenn du dich in dein Schicksal

fügst, werden wir gut miteinander auskommen, und es wird dir kein Haar gekrümmt werden. Solltest du dich aber widerspenstig zeigen oder zu fliehen versuchen, so kann ich nicht für dein Leben einstehen.”

Wir stellten Wachen aus und verbrachten die Nacht auf dem Festland. Sie verlief ruhig. Gestärkt durch mehrstündigen Schlaf, erhoben wir uns noch vor Tagesanbruch und gingen an Bord. Als wir vom Ufer abstießen, standen noch die Sterne am dunklen Himmel und verbreiteten ihr mildes Licht. Unsere drei Boote schleppten den Schoner vorsichtig zur Ausfahrt der Lagune. Da die Indianer dieses Wasser genau kannten, ging alles wie am Schnürchen. Bei Sonnenaufgang befanden wir uns bereits auf dem weiten Meer, und die ersten frischen Brisen fingen sich in unseren Segeln. Wir fuhren wieder die Küste entlang nach Osten und hofften, diesen Kurs einige Tage ungestört beibehalten zu können.

Als sich die Segel wuchtig blähten, der Wind beständig geworden war und der Schoner in regelmäßigem Rhythmus die Wellen zerteilte, versammelte ich die Gefährten, um ihnen etwas zu eröffnen.

„Ich danke euch für euer Vertrauen und bin stolz auf eure Freundschaft.” So ungefähr sprach ich zu ihnen. „Mit besonderem Stolz erfüllt mich, daß wir eine so gut aufeinander abgestimmte, kampferprobte Gemeinschaft geworden sind. Welch herrlichen Sieg haben wir in den Llanos errungen, mit welchem Mut und Geschick haben wir die spanische Meute vernichtet! Es war unbeschreiblich! Wir müssen aber daran denken, was wir tun können, damit uns der Sieg auch in der Zukunft treu bleibt. Diese erste Begegnung mit feindlich gesinnten Menschen muß uns eine Warnung sein, daß dieses Land gegenüber den Schwachen grausam und erbarmungslos ist. Wenn wir nicht zugrunde gehen wollen, müssen wir stark sein, sehr stark und sehr widerstandsfähig.”

„So wahr ich lebe, das stimmt!” rief der Häuptling aus.

„Wir besitzen viele Feuerwaffen”, fuhr ich fort, „auch an Pulver

und Kugeln mangelt es uns nicht. Doch was nützt dieser Reichtum, wenn nur wenige von uns schießen können und mit der Waffe um-zugehen wissen? Außer mir gibt es nur zwei geübte Schützen unter uns; es sind Arnak und Wagura. Wir haben aber fast vierzig Büchsen und etwa genauso viele Pistolen. Welchen Schluß müssen wir daraus ziehen?”

„Alle müssen schießen lernen”, antwortete Arnak.

„Gerade das habe ich im Sinn. Jeder soll ein guter Schütze werden, und zwar so schnell wie möglich, noch während unserer Fahrt über das Meer. Jeden ruhigen Tag wollen wir dazu benutzen, um mit den Waffen zu üben.”

Der Vorteil eines solchen Unterrichts lag auf der Hand, deshalb begrüßte Manauri meinen Vorschlag mit Begeisterung. Zu meiner Verwunderung bemerkte ich aber, daß viele der Anwesenden anderer Meinung waren als der Häuptling.

„Was soll uns das nützen?” ließen sich einige vernehmen. „Bald erreichen wir den Pomerun, und dort bei unserem Stamm droht uns keine Gefahr mehr. Dort kommen wir mit den Bogen und den Keulen aus!”

„Ob diese wirklich genügen?” warf Arnak ein. „Vielleicht ja, vielleicht aber auch nicht. Noch haben wir eine lange, unsichere Reise vor uns. Wer weiß, ob wir nicht schon morgen ein Abenteuer zu bestehen haben, das uns den Hals kosten kann.”

„Ihr sagt, daß uns am Pomerun keine Gefahr mehr droht?’ fügte der Häuptling hinzu. „Warum sind denn die Spanier bisher immer stärker als wir und bringen uns Niederlagen bei? Weil sie über bessere Waffen verfügen. Büchsenkugeln töten besser als unsere Pfeile.”

„Aber nicht im dichten Urwald!” rief ein Indianer.

„Wo unsere Dörfer und die bestellten Felder liegen, dort gibt es keinen Urwald mehr, dort wurde er zurückgedrängt.”