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Herr Pogge schwieg und betrachtete Anton. Mit einem Betteljungen war Pünktchen befreundet? Und warum verkauften seine Tochter und das Kinderfräulein eigentlich Streichhölzer? Was steckte dahinter? Wozu brauchten sie denn heimlich Geld? Er wußte nicht, was er denken sollte.

"So, hiermit ware das Honorar fällig", erklärte Gottfried Klepperbein und tippte Herrn Pogge auf den Mantel. Der Direkior zog die Brieftasche, nahm einen Zehnmarkschein heraus und gab ihn dem Jungen.

"Lassen Sie die Brieftasche gleich draußen", meinte Klepperbein. "Wenn Sie mir noch zehn Mark dazugeben, sag ich's nicht weiter, was Sie gesehen haben. Sonst rede ich's nämlich rum, und dann steht's morgen in der Zeitung. Das ware Ihnen sicher peinlich!"

Jetzt riß Herrn Pogge die Geduld. Er gab dem Jungen eine Ohrfeige, daß es nur so knallte. Ein paar Passanten blieben stehen und wollten sich einmischen. Aber der Junge rannte so schnell davon, daß sie dachten, es würde wohl seine Richtigkeit gehabt haben. Gottfried Klepperbein lief, so schnell ihn die Füße trugen. Die Geschichte brachte ihm schrecklich viele Ohrfeigen ein. Das war nun schon die dritte, und er beschloß, sich mit den zehn Mark zufriedenzugeben. Zehn Mark und drei Ohrfeigen, er hatte vorläufig genug.

Herr Pogge konnte es gar nicht mehr mit ansehen, wie sein Kind auf der Brücke im Regen stand. Sollte er hinüberlaufen und Pünktchen nach Hause bringen? Doch da hatte er einen Einfall, der ihm noch besser schien. Er winkte einem Taxi.

"Fahren Sie so rasch wie möglich in die Oper Unter den Linden!" rief er, setzte sich in den Wagen und fuhr fort.

Was hatte er vor?

Anton machte schlechte Geschäfte. Erstens stand er wieder auf der faulen Seite, und zweitens regnete es. Wenn es regnete, hatten es die Menschen auf der Straße noch eiliger als sonst. Sie hatten dann gar keine Lust, sich hinzustellen und das Portemonnaie aus der Tasche zu ziehen. Er machte schlechte Geschäfte, aber er war guter Laune. Die Versöhnung mit seiner Mutter freute ihn so.

Plötzlich zuckte er leicht zusammen. Das war doch der Bräutigam von Fräulein Andacht, das war doch Robert der Teufel? Der Mann spazierte in einem Regenmantel und mit einer schief ins Gesicht gezogenen Mütze an dem Jungen vorbei, ohne ihn zu sehen. Anton klappte sein Köfferchen zu und folgte in gemessenem Abstand.

Der Mann ging bis ans Ende der ßrücke, dort überquerte er sie und ging langsam auf der anderen Brückenseite wieder zurück. Anton sperrte die Augen auf. Gleich mußte der Mann bei Fräulein Andacht angelangt sein. Er schob sich ganz allmählich am Geländer hin. Jetzt gab der Kerl dem Kinderfräulein ein Zeichen, und sie erschrak. Pünktchen merkte nichts. Sie knickste und klagte und wollte den Vorübergehenden partout Streichhölzer verkaufen.

Anton preßte sich, ein paar Meter von den dreien entfernt, dicht ans Geländer und beobachtete, was jetzt geschah. Der Mann gab Fräulein Andacht einen Rippenstoß, sie schüttelte den Kopf, da packte er ihren Arm, griff in die Tasche, die an dem Arm hing, wühlte darin und zog etwas Glänzendes heraus. Anton blickte ganz scharf hin: Es waren Schlüssel.

Schlüssel? Wozu holte sich der Kerl von Fräulein Andacht Schlüssel?

Er drehte sich um, Anton beugte sich über das Brückengeländer, um nicht aufzufallen, und spuckte in die Spree. Der Mann ging vorüber, und jetzt hatte er es auf einmal sehr eilig. Er lief den Schiffbauerdamm hinunter.

Anton überlegte nicht lange. Er rannte ins erste beste Restaurant, ließ sich das Telefonbuch geben und suchte unter P.

Dann holte er einen Groschen aus der Tasche und stürzte in die Telefonzelle.

Die zwölfte Nachdenkerei handelt:

Von den Schweinehunden

Gottfried Klepperbein ist ein Schweinehund. Vertreter dieser menschlichen Tiergattung kommen auch schon unter Kindern vor. Das ist besonders schmerzlich. Anzeichen dafür, daß jemand ein Schweinehund ist, gibt es eine ganze Reihe. Wenn jemand faul und zugleich schadenfroh, heimtückisch und gefräßig, geldgierig und verlogen ist, dann kann man zehn gegen eins wetten, daß es sich um einen Schweinehund handelt. Aus einem solchen Schweinehund einen anständigen Menschen zu machen, ist wohl die schwerste Aufgabe, die sich ausdenken läßt. Wasser in ein Sieb schütten, ist eine Kinderei dagegen. Woran mag das liegen? Wenn man jemandem beschreibt, wie schön und wie wohltuend es ist, anständig zu sein, müßte er sich doch darum reißen, anständig zu werden, nein?

Es gibt Fernrohre, die man auseinanderziehen kann. Kennt ihr die? Sie sehen hübsch klein aus; und man kann sie bequem in die Tasche stecken. Dann kann man sie aber auch auseinanderziehen, und dann sind sie länger als einen halben Meter. So ähnlich, scheint mir, ist es mil den Schweinehunden. Und vielleicht mit den Menschen überhaupt. Sie sind als Kinder schon genau dasselbe, was sie später werden. Wie die auseinanderziehbaren Fernrohre. Sie wachsen nur, sie ändern sich nicht. Was nicht im Menschen von Anfang an drinliegt, das kann man nicht aus ihm herausholen, und wenn man sich auf den Kopf stellt...

Dreizehntes Kapitel

Die dicke Berta schwingt Keulen

Die dicke Berta saß in der Küche, aß eine Wurststulle und trank Kaffee. Sie war, weil sie Ausgang hatte, mit ihrer Freundin spazieren gewesen; weil aber das Regernwetter nicht aufhörte, war sie früher als gewöhnlich nach Haus gekommen. Nun erstickte sie ihren Ärger über den verregneten Ausgang mit Leberwurst und las den Roman in der Illustrierten.

Plötzlich klingelte das Telefon. "Auch das noch!" murmelte sie und schlurfte an den Apparat. "Hier bei Direktor Pogge", sagte sie.

"Kann ich den Herrn Direktor sprechen?" fragte eine Kinderstimme.

"Nein", sagte Berta, "die Herrschaften sind in der Oper."

"Das ist ja entsetzlich", meinte das Kind.

"Worum handelt sich's denn, wenn man fragen darf?" sagte Berta.

"Wer spricht dort?"

"Das Dienstmädchen bei Pogges."

"Ach so, die dicke Berta!" rief das Kind.

"Von wegen dick", sagte sie gekränkt. "Aber Berta ist richtig. Und mit wem habe ich das Vergnügen?"

"Ich bin ein Freund von Pünktchen", erklärte die Kinderstimme.

"So", sagte Berta, "und ich soll mal in ihr Zimmer gehen und fragen, ob sie mit dir mitten in der Nacht Fußball spielen will?"

"Unsinn!" sagte der Junge. "Sondern der Bräutigam von Fräulein Andacht wird gleich bei Ihnen sein."

"Das wird ja immer schöner!" sagte Berta. "Das Kinderfräulein schläft doch längst."

"Keine Spur", sagte die Kinderstimme. "Außer Ihnen ist kein Mensch in der Wohnung."

Die dicke Berta guckte in den Telefonhörer, als wolle sie nachsehen, ob da auch alles stimme. "Was?" fragte sie dann, "Was? Die Andacht und Pünktchen sind nicht in ihren Betten?"

"Nein", rief das Kind. "Das erkläre ich Ihnen ein anderes Mal. Sie sind ganz allein zu Hause. Glauben Sie's nur endlich. Und nun kommt der Bräutigam, um einzubrechen. Die Schlüssel hat er schon. Und einen Wohnungsplan auch. Er wird gleich da sein"

"Das ist ja reizend", sagte Berta. "Was mach ich denn da?"

"Sie rufen rasch das Überfallkommando an. Und dann suchen Sie eine Kohlenschaufel oder etwas Ähnliches. Und wenn der Bräutigam kommt, hauen Sie ihm eins übern Schädel."

"Du hast gut reden, mein Sohn", sagte Berta.

"Hals- und Beinbruch!" rief das Kind. "Machen Sie Ihre Sache gut! Vergessen Sie nicht, die Polizei anzurufen. Wiedersehen!"

Berta kam vor lauter Kopfschütteln, und Zähneklappern kaum vom Fleck. Sie war sehr aufgeregt, rüttelte an Pünktchens Tür und an der von Fräulein Andacht, keine Seele war zu Hause: Niemand rührte sich. Nur Piefke bellte ein bißchen. Er saß in seinem Körbchen vor Pünktchens Tür, rappelte sich hoch und bummelte hinter Berta hen. Nun nahm sie sich zusammen und rief das Überfallkommando an.