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"Meine Tochter sieht blaß aus", sagte Herr Pogge besorgt. "Finden Sie nicht auch?"

"Nein", erwiderte Fräulein Andacht. Dann brachte Berta die Suppe und lachte. Fräulein Andacht schielte zu dem Dienstmädchen hinüber. "Was lachen Sie denn so dämlich?" fragte der Hausherr und löffelte, als kriege er es bezahlt. Aber plötzlich ließ er den Löffel mitten in die Suppe fallen, preßte die Serviette vor den Mund, verschluckte sich, hustete entsetzlich und zeigte zur Tür.

Dort stand Pünktchen. Aber, du grüne Neune, wie sah sie aus!

Sie hatte die rote Morgenjacke ihres Vaters angezogen und ein Kopfkissen darunter gewürgt, so daß sie einer runden verbeulten Teekanne glich. Die dünnen nackten Beine, die unter der Jacke vorguckten, wirkten wie Trommelstöcke. Auf dem Kopf schaukelte Bertas Sonntagshut. Das war ein tolles Ding aus buntem Stroh. In der einen Hand hielt Pünktchen das Nudelholz und einen aufgespannten Regenschirm, in der anderen einen Bindfaden. An dem Bindfaden war eine Bratpfanne festgebunden, und in der Bratpfanne, die klappernd hinter dem Kind hergondelte, saß Piefke, der Dackel, und runzelte die Stirn. Übrigens runzelte er die Stirn nicht etwa, weil er verstimmt war, sondern er hatte zuviel Haut am Kopf. Und weil die Haut nicht wußte wohin, schlug sie Dauerwellen.

Pünktchen spazierte einmal rund um den Tisch, blieb dann vor ihrem Vater stehen, betrachtete ihn prüfend und fragte ernsthaft: "Kann ich mal die Fahrscheine sehen?"

"Nein", sagte der Vater. "Erkennen Sie mich denn nicht? Ich bin doch der Eisenbahnminister."

"Ach so", sagte sie.

Fräulein Andacht stand auf, packte Pünktchen am Kragen und rüstete sie ab, bis sie wieder wie ein normales Kind aussah. Die dicke Berta nahm das Kostüm und das Nudelholz und den Regenschirm und brachte die Sachen hinaus. Sie lachte noch in der Küche. Man konnte es ganz deutlich hören.

"Wie war's in der Schule?" fragte der Vater, und weil Pünktchen nicht antwortete, sondern in der Suppe herumplanschte, fragte er gleich weiter: "Wieviel ist drei mal acht?"

"Dre mal acht? Drei mal acht ist einhundertzwanzig durch fünf" sagte sie. Herr Direktor Pogge wunderte sich über gar nichts mehr. Er rechnete neimlich nach, und weil's stimmte, aß er weiter. Piefke war auf einen leeren Stuhl geklettert, stützte die Vorderpfoten auf den Tisch und gab stirnrunzelnd Obacht, daß alle ihre Suppe aßen. Es sah aus, als wolle er eine Rede halten. Berta brachte Huhn mit Reis und gab Piefke einen Klaps. Der Dackel verstand das falsch und kroch völlig auf den Tisch. Pünktchen setzte ihn auf die Erde hinunter und sagte: "Am liebsten möchte ich ein Zwilling sein."

Der Vater hob bedauernd die Schultern.

"Das wäre großartig", sagte das Kind. "Wir gingen dann beide gleich angezogen und hätten die gleiche Haarfarbe and die gleiche Schuhnummer und gleiche Kleider und ganz, ganz gleiche Gesichter."

"Na und?" fragte Fräulein Andacht.

Pünktchen stöhnte vor Vergnügen, während sie sich die Sache mit den Zwillingen ausmalte. "Keiner wüßte, wer ich bin und wer sie ist. Und wenn man dächte, ich bin es, ist sie es. Und wenn man dächte, sie ist es, dann bin ich's. Hach, das wäre blendend."

"Nicht zum Aushalten", meinte der Vater.

"Und wenn die Lehrerin "Luise!" riefe, dann würde ich aufstehen und sagen: "Nein, ich bin die andere." Und dann würde die Lehrerin "Setzen!" sagen und die andere aufrufen und schreien: "Warum stehst du nicht auf, Luise?", und die würde sagen: "Ich bin doch Karlinchen." Und nach drei Tagen bekäme die Lehrerin Krämpfe und Erholungsurlaub fürs Sanatorium, und wir häatten Ferien."

"Zwillinge sehen meist sehr verschieden aus", behauptete Fräulein Andacht.

"Karlinchen und ich jedenfalls nicht", widersprach Pünktchen. "So was von Ähnlichkeit habt ihr noch nicht gesehen. Nicht mal der Direktor könnte uns unterscheiden." Der Direktor, das war ihr Vater.

"Ich habe schon an dir genug", sagte der Direktor und nahm sich die zweite Portion Huhn.

"Was hast du gegen Karlinchen?" fragte Pünktchen.

"Luise" rief er laut. Wenn er "Luise" sagte, dann hieß das, jetzt wird pariert, oder es setzt was. Pünktchen schwieg also, aß Huhn mit Reis und schnitt Piefke, der neben ihr kauerte, heimlich Grimassen, bis der sich vor Entsetzen schüttelte und in die Küche sauste.

Als sie beim Nachtisch saßen, es gab Reineclauden, erschien endlich Frau Pogge. Sie war zwar sehr hübsch, aber, ganz unter uns, sie war auch ziemlich unausstehlich. Berta, das Dienstmädchen, hatte mal zu einer Kollegin gesagt: "Meine Gnädige, die sollte man mit 'nem nassen Lappen erschlagen. Hat so ein nettes, ulkiges Kind und so einen reizenden Mann, aber denkst du vielleicht, sie kümmert sich um die zwei? Nicht in die Tüte. Den lieben langen Tag kutschiert sie in der Stadt rum, kauft ein, tauscht um, geht zu Fünf-Uhr-Tees und zu Modevorführungen, und abends muß dann der arme Mann auch noch mitstolpern. Sechstagerennen, Theater, Kino, Bälle, dauernd ist der Teufel los. Nach Hause kommt sie überhaupt nicht mehr. Na, das hat ja nun wieder sein Gutes."

Frau Pogge erschien also, setzte sich nieder und war gekrankt Eigentlich hätte sie sich entschuldigen sollen, daß sie so spät kam. Statt dessen tat sie beleidigt, weil man mit dem Essen nicht gewartet hatte. Hen Pogge nahm wieder Tabletten, diesmal viereckige, verzog das Gesicht und trank Wasser hinterher.

"Vergiß nicht, daß wir heute abend bei Generalkonsul Ohlerich eingeladen sind", sagte seine Frau.

"Nein", sagte Herr Pogge.

"Das Huhn ist ganz kalt", sagte sie.

"Jawohl", sagte die dicke Berta.

"Hat Pünktchen Schularbeiten auf ?" fragte sie.

"Nein", sagte Fräulein Andacht.

"Kind, bei dir ist ja ein Zahn locker!" rief sie.

"Jawohl", sagte Pünktchen.

Herr Pogge stand vom Tisch auf. "Wie es abends bei uns zu Hause ist, weiß ich schon gar nicht mehr."

"Dabei sind wir gestern abend nicht bis vor die Tür gekommen", entgegnete seine Frau.

"Aber Brückmanns waren da", sagte er, "und Schramms und Dietrichs, die ganze Bude war voll."

"Waren wir gestern zu Hause oder waren wir gestern nicht zu Hause?" fragte sie energisch und sah ihn gespannt an. Herr Direktor Pogge antwortete vorsichtshalber nichts und ging ins Arbeitszimmer. Pünktchen folgte ihm und setzte sich zu ihm in den großen Ledersessel, denn da war Platz für beide. "Der Zahn ist locker?" fragte er. "Tut es weh?"

"Ach wo", sagte sie. "Den reiß ich mir gelegentlich raus. Vielleicht heute noch."

"Dann hupte es vor dem Haus. Pünktchen brachte ihren Vater bis vor die Haustür. Herr Hollack, der Chauffeur grüßte sie, und sie grüßte ihn wieder. Sie machte das genau wie er, sie legte die Hand an die Mütze, obwohl sie gar keine Mütze auf hatte. Der Vater stieg ein, das Auto fuhr ab, der Vater winkle. Pünktchen winkle wieder.

Als sie ins Haus zurückgehen wollte, stand Gottfried Klepperbein vor der Tür, das war der Sohn von den Portiersleuten, ein ausgemachter Lümmel.

"Du", sagte er, "wenn du mir zehn Mark gibst, verrat ich's nicht. Sonst sag ich's deinem Vater."

"Was denn?" fragte Pünktchen harmlos.

Gottfried Klepperbein vertraf ihr drohend den Weg. "Das weißt du schon ganz gut, stell dich nicht so dumm, mein Herzblatt!"

Pünktchen wollte gern ins Haus, aber er ließ sie nicht hinein. Da stellte sie sich neben ihn, legte die Hände auf den Rücken und blickte erstaunt nach dem Himmel, als ob der Zeppelin käme oder ein Maikäfer auf Schlittschuhen oder so etwas. Der Junge guckte natürlich auch hinauf, und da rannte sie wie der Blitz an ihm vorbei, und Gottfried Klepperbein sah, wie es so schön heißt, in den Mond.