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"Es sieht ein bißchen verwahrlaust aus", meinte sie.

"Wie?" fragte er.

"Verwahrlaust!" sagte sie. "Gefällt dir das Wort? Das ist von mir. Ich entdecke manchmal neue Wörter. Wärmometer ist auch von mir."

"Wärmometer statt Thermometer?" rief er. "Du meinst es auch nicht gerade böse."

"Und ob", sagte sie, "Wollen wir mal Gelächter spielen?" Sie wartete gar nicht ab, ob er wollte oder nicht, sondern nahm ihn bei der Hand und murmelte. "Oje, oje, mir ist gar nicht lächerlich zumute. Ich bin tief, tief traurig." Anton sah sie verwundert an. Sie machte große Augen und hatte eine Falte auf der Stirn. "Oje, oje, mir ist gar nicht lächerlich zumute. Ich bin tief, tief traurig", wiederholte sie. Dann knuffte sie ihn und flüsterte: "Du auch!"

Anton tat ihr den Gefallen. "Oje, oje", brummte er. "Mir ist gar nicht lächerlich zumute. Ich bin tief, tief traurig."

"Und ich erst", murmelte sie erschüttert, "oje, oje, mir ist gar nicht lächerlich zumute, ich bin tief, tief traurig." Und weil sich beide anblickten und weil sie beide solche Leichenbittermienen aufgesetzt hatten, lachten sie aus vollem Halse.

"Oje, oje, mir ist gar nicht lächerlich zumute", fing nun Anton wieder an, und nun mußten sie noch mehr lachen. Schließlich konnten sie sich überhaupt nicht mehr ansehen. Sie lachten und kicherten, fanden kein Ende und bekamen kaum noch Luft. Die Leute blieben bereits stehen. Und Piefke setzte sich hin. Jetzt sind sie völlig übergeschnappt, dachte der Dackel. Pühktchen hob ihn hoch. Und nun gingen die Kinder weiter. Aber jedes blickte in eine andere Richtung. Pünktchen gackerte noch ein paarmal in sich hinein, dann war auch das vorüber.

"Alle Wetter!" sagte Anton. "War das anstrengend. Ich bin vollständig zerlacht." Er wischte sich die Lachtränen aus den Augen. Und dann waren sie beim Friseur. Der Friseur hatte einen ganz kleinen Laden, man mußte ein paar Stufen hochklettern.

"Guten Tag, Herr Habekuß", sagte Anton. "Ich soll mir die Haare schneiden lassen."

"Schon recht. Nimm Platz, mein Sohn", sagte Herr Habekuß. "Wie geht's der Mutter?"

"Danke für die Nachfrage. Es geht ihr besser. Aber mit dem Bezahlen geht's noch nicht besser."

"Wieder wie das letzte Mal", sagte Herr Habekuß. "Zwanzig Pfennig Anzahlung, den Rest in Raten, hinten kurz, vorn etwas länger, ich weiß schon. Und das kleine Fräulein?"

"Ich bin bloß Publikum", erklärte Pünktchen. "Lassen Sie sich durch mich nicht stören." Herr Habekuß band Anton ein großes weißes Tuch um und säbelte mit der Schere drauflos.

"Kitzelt's schon?" fragte Pünktchen gespannt. Sie konnte es nicht erwarten. Und weil Anton nicht antwortete, sondern mäuschenstill saß, dachte sie sich rasch etwas anderes aus. Sie setzte Piefke auf den zweiten Stuhl, band ihm ihr Taschentuch um den Hals und schmierte ihm Seifenschaum um die Schnauze. Piefke hielt den Schaum zunächst für Schlagsahne, aber weil das weiße Zeug nicht schmeckte, zog er die Zunge wieder zurück und schüttelte den Kopf.

Pünktchen tat, als ob sie ihn rasierte. Sie schabte ihm mit dem Zeigefinger den Seifenschaum allmählich wieder vom Fell, tanzte um ihn herum und unterhielt ihn dabei, wie sie es bei Friseuren beobachtet hatte.

"Ja, ja, mein Herr", sagte sie zu dem Dackel. "Das sind Zeiten! Ist Ihnen mein Zeigefinger scharf genug? Das sind Zeiten! Es ist zum, Sie wissen schon, was ich meine. Stellen Sie sich vor, bitte die andere Seite, stellen Sie sich vor, wie ich gestern nach Hause komme, hat meine Frau Drillinge gekriegt, drei Zelluloidpuppen, lauter Mädchen. Und auf dem Kopf wächst ihnen rotes Gras. Soll man da nicht verrückt werden? Und wie ich heute früh den Laden aufmache, steht der Gerichtsvollzieher schon drin und sagt, er müsse die Spiegel abholen. Warum? frage ich den Mann. Wollen Sie mich ruinieren? Tut mir leid, sagt er, der Finanzminister schickt mich, Sie essen keinen Rhabarber. Gegen den Strich, Herr Piefke? Wovon sind Sie übrigens so schön braun? Ach so, Sie benützen Höhensonne. Eine halbe Stunde später kam der Minister persönlich. Wir haben uns geeinigt, ich rasiere ihn eine Woche lang umsonst, täglich zehnmal. Ja, er hat einen sehr starken Bartwuchs. Wünschen Sie Kölnisch Wasser? Ich werde nächstens verreisen. Der Zeppelin sucht für seine Nordpolfahrt einen seekranken Friseur, der soll den Eisbären die Haare schneiden. Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich Ihnen ein Eisbärfell mit Puder angenehm?"

Pünktchen schmierte dem Dackel den weiβen Puder über die Schnauze, und Piefke starrte entsetzt in den Spiegel. Herr Friseur Habekuβ vergaß, Anton die Haare zu schneiden, und Anton schüttelte sich vor Vergnügen. Pünktchen war todernst und begann jetzt, abwechslungshalber, laut vorzulesen, was auf den Plakaten stand, die im Laden hingen. Manchmal warf sie auch die Texte durcheinander. "Benutzen Sie Dralles neue Haarfrisur, Sie erhalten in meinem Geschäft alle einschlägigen Preise zu Originalartikeln, sind Sie zufrieden, sagen Sie es den andern, hier werden Ohrlöcher gestochen, sind Sie unzufrieden, sagen Sie es mir, keine Glatze mehr, die große Mode, sonntags von acht bis zehn Uhr geöffnet, die Herrschaften werden gebeten, das Haareschneiden wochentags erledigen zu lassen, Hühneraugen werden vor dem Gebrauch desinfiziert, die Rasiermesser sind eine unnötige Plage, hüten Sie sich vor Zahnstein." Sie las das alles in einem so langweilig singenden Ton, als ob sie ein Gedicht deklamiere. Piefke wurde ganz müde davon, gähnte, rollte sich auf dem Stuhl zusammen und machte ein Schläfchen.

"Ist sie nicht erstklassig?" fragte Anton Herrn Habekuß.

"Ich danke für Obst", sagte der Friseur. "So was zwei Tage um mich rum, und ich sehe weiβe Mäuse." Dann riβ er sich zusammen und klapperte mit der Schere. Er wollte rasch fertig werden, um das Mädchen aus dem Laden zu kriegen. Er hatte schwache Nerven.

Dann kam ein Kunde, ein dicker Mann, mit einer weißen Fleischerschürze.

"Sofort, Herr Bullrich", sagte der Friseur Anton blickte gespannt in den Spiegel, damit er ja nichts verpaßte. Der Fleischermeister nickte, kaum daß er sich gesetzt hatte, ein. Pünktchen stellte sich vor ihm in Positur.

"Lieber Herr Bullrich", sagte sie zu dem dicken Mann, "können Sie singen?" Der Fleischermeister wurde munter, drehte verlegen seine dicken roten Wurstfinger hin und her und schüttelte den Kopf.

"O, wie schade", meinte Pünktchen. "Sonst hätten wir zwei irgend etwas Schönes vierstimmig singen können. Können Sie wenigstens ein Gedicht vortragen? Wer hat dich, du schöner Wald? oder Festgemauert in der Erden?"

Herr Bullrich schüttelte wieder den Kopf und schielte nach der Zeitung, die am Haken hing. Er traute sich aber nicht.

"Nun die letzte Frage", erklärte Pünktchen. "Können Sie Handstand?"

"Nein", sagte Herr Bullrich entschieden.

"Nein?" fragte Pünktchen bekümmert. "Nehmen Sie's mir nicht übel, aber so etwas von Talentlosigkeit ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen!" Dann drehte sie ihm den Rücken zu und trat neben Anton, der in sich hineinkicherte. "So sind aber die Erwachsenen", sagte sie zu ihrem Freund. "Wir sollen alles können, rechnen und singen und zeitig schlafen gehen und Purzelbäume, und sie selber haben von nichts 'ne blasse Ahnung. Übrigens habe ich einen wackligen Zahn, guck mal." Sie machte den Mund weit auf und stieß mit der Zunge an dem kleinen weiβen Zahn herum, daß er nur so schaukelte.

"Den mußt du dir ziehen", meinte Anton. "Du nimmst einen Zwirnsfaden, machst eine Schlinge um den Zahn, bindest das andere Ende an die Türklinke, und dann rennst du von der Tür weg. Bums, ist er raus!"

"Der praktische Anton", sagte Pünktchen und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. "Weißen oder schwarzen?"

"Was denn?" fragte" er."

"Zwirn", erwiderte sie.

"Weißen", sagte Anton.

"Gut, ich werde mir's mal beschlafen", meinte Pünktchen. "Sind Sie bald fertig, Herr Habekuß?"

"Jawohl", antwortete der Friseur. Dann drehte er sich um und sagte zu Herrn Bullrich: "Ein schwer erziehbares Kind, wie?"

Auf der Straße faβte Pünktchen Anton bei der Hand und fragte: "War 's sehr schlimm?"