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»Wir suchen die Frau namens Karla Janos.«

Der Mann starrte Karla an, und sie erschrak, als sie ihren Namen aus dem Mund des Fremden hörte. Sergei blickte reflexartig zu ihr hinüber, besann sich aber dann.

»Hier ist niemand, der so heißt.«

Der Mongole zischte einen kurzen Befehl, und der Mann, der Karla am nächsten stand, packte mit seinen schmutzigen Fingern brutal ihren Arm und zerrte sie von ihren Kollegen weg.

Sie wehrte sich. Er drückte ihren Arm so kraftvoll, dass sich ein Bluterguss bildete. Er grinste, als sich ihre Miene vor Schmerz verzerrte, und drückte sie an sich, so dass ihre Gesichter sich beinahe berührten. Der Gestank seines ungewaschenen Körpers und sein fauliger Atem ließen sie würgen.

Sie blickte über die Schulter. Die anderen Wissenschaftler wurden durch den Graben getrieben. Der Mann auf dem Vorsprung war verschwunden. Während sie weggezerrt wurde, hörte sie Maria aufschreien und dann laute Rufe männlicher Stimmen.

Schüsse fielen, deren Lärm von den Grabenwänden widerhallte. Sie versuchte, zu ihren Kollegen zurückzurennen, doch der Mann packte sie bei den Haaren und riss sie zurück. Zuerst war da nur ein betäubender Schmerz, dann nackte Wut. Sie wirbelte herum und versuchte, ihm die Augen auszukratzen. Er zog den Kopf zur Seite, und ihre Fingernägel schabten harmlos über seinen verfilzten Bart.

Er holte mit der Hand aus und schlug zu. Karla wurde von dem Schlag betäubt und bot wenig Gegenwehr, als er einen Fuß hinter ihre Beine stemmte und sie niederstieß. Ihr Hinterkopf schlug auf dem Erdboden auf, und vor ihren Augen explodierten ganze Sternengalaxien. Dann klärte sich ihr Blick, und sie sah, wie der Mann amüsiert auf sie herabstarrte und lustvolle Gier in seinen Schweinsaugen funkelte.

Er hatte sich entschlossen, sich mit seinem reizenden Opfer noch ein wenig zu vergnügen. Er legte sein Gewehr außer Reichweite auf die Erde und begann, seine Hose aufzuknöpfen. Karla versuchte auf allen vieren, ihm zu entkommen. Er lachte und stellte einen Fuß auf ihren Hals. Sie schlug mit den Fäusten gegen seinen Fußknöchel und bäumte sich verzweifelt auf. Sie konnte kaum atmen.

Der Mann hustete plötzlich, und das Grinsen auf seinem Gesicht verwandelte sich in eine Fratze des Schocks. Ein Blutfaden sickerte aus seinem Mundwinkel. Er drehte sich langsam wie in Zeitlupe um, sein Schuh rutschte von Karlas Hals, und sie sah den Griff eines Jagdmesser zwischen seinen Schulterblättern aus seinem Rücken ragen. Dann gaben seine Beine nach, und er brach zusammen.

Karla rollte sich zur Seite, um von dem fallenden Körper nicht erdrückt zu werden. Ihre Erleichterung dauerte nur kurze Zeit. Ein anderer Mann kam auf sie zu.

Er war hochgewachsen und humpelte. Die Sonne, die in den Graben schien, stand in seinem Rücken, und sein Gesicht lag im Schatten und war nicht zu erkennen. Sie wollte aufstehen, aber sie war immer noch benommen und nach dem Sturz auf den Hinterkopf zu keiner gezielten Handlung fähig.

Der Mann rief sie bei ihrem Vornamen. Es war eine Stimme, die sie seit vielen Jahren nicht mehr gehört hatte.

Dann verlor sie das Bewusstsein.

Als sie wieder zu sich kam, beugte der Mann sich über sie, hielt ihren Kopf in den Händen und benetzte ihre schmerzenden Lippen mit Wasser aus einer Feldflasche. Sie erkannte das energische Kinn und die blassblauen Augen, die sie voller Sorge musterten. Sie lächelte, obgleich ihre aufgesprungenen Lippen das mit einem heftigen Schmerz quittierten.

»Onkel Karl?«, fragte sie wie in einem Traum.

Schroeder legte seine Fuchspelzmütze als Kissen unter ihren Kopf, dann entfernte er sich, um sein Messer zurückzuholen, und wischte anschließend die Klinge am Mantel des Toten ab. Er hob seine Schrotflinte auf und hängte sie sich über die Schulter. Dann nahm er seine Mütze an sich, schob die Arme unter ihren Körper und hob sie hoch wie ein Feuerwehrmann, der sich um ein Brandopfer kümmert.

Stimmen näherten sich im Graben.

Ein Schmerz strahlte von seinem Fußknöchel in sein Bein, doch Schroeder achtete nicht darauf. Mit vorsichtigen Schritten trug er Karla in die entgegengesetzte Richtung und verschwand um eine Biegung, kurz bevor der Mongole und der Rest seiner Bande ihren Gefährten fanden. Sie brauchten nur Sekunden, um zu erkennen, dass er tot war. Geduckt schlichen sie sich an der Grabenwand entlang, die Waffen gespannt und schussbereit.

Schroeder rannte um sein Leben. Und um das Leben Karlas.

24

Weniger als zehn Stunden nach Verlassen Washingtons sank der türkisfarbene NUMA-Firmenjet vom Himmel über Alaska herab und landete auf dem Flughafen in Nome. Austin und Zavala tauschten den Jet gegen eine zweimotorige Propellermaschine der Bering Air und starteten bereits nach einer Stunde mit Ziel Providenya auf der russischen Seite der Beringstraße.

Der Flug über die Meerenge dauerte weniger als zwei Stunden. Der Flughafen von Providenya lag in einer malerischen Bucht, die von zerklüfteten grauen Bergen umgeben war. Die Stadt war während des Zweiten Weltkriegs eine Zwischenstation für Flugzeuge gewesen, die nach dem Lend-Lease Act von den Vereinigten Staaten nach Europa geflogen wurden, aber diese glorreichen Zeiten waren lange vorbei. Im Flughafen standen nur ein paar Charterflugzeuge und ein Militärhubschrauber, als das Flugzeug auf das kombinierte Flugkontroll- und Verwaltungsgebäude zurollte, ein müde dreinschauendes, zweistöckiges Bauwerk aus gewelltem Aluminiumblech, das aussah, als stamme es noch aus der Zeit Peters des Großen.

Als einzige ankommende Passagiere erwarteten Austin und Zavala, bei der Zoll- und Passkontrolle schnell abgefertigt zu werden. Aber die attraktive junge Beamtin, die für die Kontrolle der Einreisedokumente zuständig war, schien jedes Wort in Austins Reisepass auswendig lernen zu wollen. Dann bat sie auch noch um Zavalas Papiere. Sie legte die Pässe und die Visa nebeneinander.

»Zusammen?«, fragte sie und blickte von Gesicht zu Gesicht.

Austin nickte. Die Frau runzelte die Stirn, dann winkte sie einen bewaffneten Posten heran, der in der Nähe gestanden hatte. »Folgen Sie mir«, bellte sie wie ein Armeeausbilder. Nachdem sie die Papiere zusammengerafft hatte, marschierte sie ihnen voraus durch eine Tür auf der anderen Seite der Halle, während der Wachtposten dem Trio folgte.

»Ich dachte, du hättest so hochkarätige Freunde«, sagte Zavala.

»Sie wollen uns wahrscheinlich nur feierlich den Stadtschlüssel überreichen«, erwiderte Austin.

»Ich glaube eher, sie wollen uns einen Schuss verpassen«, sagte Zavala. »Lies mal das Schild über der Tür.«

Austin warf einen Blick auf die roten Lettern auf der weißen Tafel. Dort stand auf Englisch und Russisch das Wort QUARANTÄNE. Sie traten durch die Tür in einen kleinen grauen Raum. Das Innere war kahl bis auf drei Stahlrohrstühle und einen Tisch. Der Wächter folgte ihnen in den Raum und bezog Posten an der Tür.

Die Beamtin der Passkontrolle knallte die Papiere auf den Tisch. »Ausziehen«, befahl sie.

Austin hatte während des Fluges ein wenig schlafen können, aber er war immer noch leicht benommen und sich deshalb nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. Die Frau wiederholte den Befehl.

Austin grinste. »Donnerwetter. Wir kennen uns doch kaum.«

»Ich habe schon gehört, dass die Russen freundlich sind. Aber dass sie so freundlich sind, wusste ich nicht«, sagte Zavala.

»Ziehen Sie sich aus, oder Sie werden ausgezogen«, sagte die Frau und schaute zu dem bewaffneten Wachtposten, um ihre Aufforderung zu unterstreichen.

»Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte Austin. »Aber in unserer Heimat lassen wir Damen stets den Vortritt.«

Zu seiner Verwunderung lächelte die Frau. »Ich wurde schon gewarnt, dass Sie ein harter Brocken sind, Mr. Austin.«

Austin begann, Lunte zu riechen. Er legte den Kopf leicht zur Seite. »Wer sollte Ihnen so etwas erzählt haben?«

Die Worte waren kaum über seine Lippen gekommen, als sich auch schon die Tür öffnete. Der Wachtposten trat beiseite, und Petrow betrat den Raum. Sein sympathisches Gesicht war zu einem breiten Grinsen verzogen, das allerdings wegen der gekrümmten Narbe auf seiner Wange ein wenig schief ausfiel.