»Willkommen in Sibirien«, sagte er. »Es freut mich, erleben zu dürfen, dass Sie bereits eine Kostprobe unserer Gastfreundschaft haben genießen können.«
»Iwan«, stöhnte Austin. »Ich hätte es mir denken können.«
Petrow hatte eine Flasche Wodka und drei Schnapsgläser mitgebracht, die er jetzt auf den Tisch stellte. Er kam herüber, schlang die Arme um Austin und tat das Gleiche dann bei Zavala. »Wie ich sehe, haben Sie Dimitri und Veronika schon kennen gelernt. Die beiden gehören zu meinen vertrauenswürdigsten Agenten.«
»Joe und ich hätten niemals ein so warmes Willkommen an einem kalten Ort wie Sibirien erwartet«, sagte Austin.
Petrow bedankte sich bei seinen Agenten und entließ sie. Er zog sich einen Stuhl heran und forderte die anderen auf, es ebenfalls zu tun. Er schraubte die Wodkaflasche auf, schenkte die Gläser voll und verteilte sie.
Mit erhobenem Glas sagte er: »Auf die alten Feinde.«
Sie stießen an und leerten die Gläser. Der Wodka schmeckte wie flüssiges Feuer, aber er hatte eine stärkere aufmunternde Wirkung als reines Koffein. Als Petrow sich anschickte, eine zweite Runde einzuschenken, deckte Austin eine Hand auf sein Glas. »Das wird wohl warten müssen. Wir haben eine ernste Angelegenheit zu erledigen.«
»Es gefällt mir, dass Sie wir sagen. Nach Ihrem Anruf kam ich mir regelrecht ausgeschlossen vor.« Er schenkte sich ein weiteres Glas ein. »Bitte erklären Sie mir, weshalb Sie es für notwendig hielten, ins nächste Flugzeug zu steigen und um die halbe Welt bis in dieses vielgeliebte Gartenparadies zu fliegen.«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Austin mit einem Ausdruck von Müdigkeit, die nicht von den vielen Stunden im Flugzeug herrührte. »Sie beginnt und endet mit einem hervorragenden ungarischen Wissenschaftler namens Kovacs.«
Er schilderte die Abläufe in chronologischer Reihenfolge, wobei er zurückging bis zu Kovacs’ Flucht aus Ostpreußen und seinen Bericht mit der jüngeren Vergangenheit, also ihren Riesenwellen, dem Strudel und seinem Gespräch mit Barrett abschloss.
Petrow hörte schweigend zu und schob, als Austin geendet hatte, sein unberührtes Glas Wodka von sich weg.
»Das ist eine fantastische Geschichte. Glauben Sie wirklich, dass diese Leute die Fähigkeit haben, einen Polsprung herbeizuführen?«
»Sie wissen jetzt alles, was wir wissen. Was denken Sie?«
Petrow ließ sich diese Frage für einen Moment durch den Kopf gehen. »Haben Sie schon mal vom russischen ›Specht‹-Projekt gehört? Es war ein Versuch, das Wetter mithilfe elektromagnetischer Strahlung für militärische Zwecke zu manipulieren. Ihr Land betrieb die gleiche Forschung aus ähnlichen Gründen.«
»Wie erfolgreich waren diese Projekte?«
»Über einen gewissen Zeitraum kam es in beiden Ländern zu einigen ungewöhnlichen Wetterereignissen. Sie reichten von starken Winden über sintflutartigen Regen bis hin zu Dürreperioden. Sogar Erdbeben gab es. Wie man mir berichtete, endete die Forschung mit dem Kalten Krieg.«
»Interessant. Das würde zu dem passen, was wir wissen.«
Der Anflug eines Lächelns spielte um Zavalas Lippen.
»Sind wir ganz sicher, dass die Forschung endete?«
»Was meinst du?«
»Hast du in letzter Zeit mal aus dem Fenster gesehen?«
Petrow sah sich in dem fensterlosen Raum um, ehe er begriff, dass Zavala seine Frage rein metaphorisch gemeint hatte. Er lachte verhalten und sagte: »Ich neige dazu, Aussagen wörtlich zu nehmen. Das ist eine russische Eigenart. Ich bin mir durchaus bewusst, dass die Welt eine Reihe von Wetterextremen erlebt hat.«
Austin nickte.
»An dem, was Joe sagt, ist durchaus etwas dran. Ich habe im Augenblick nicht die Statistiken zur Hand, aber die empirischen Beweise scheinen ziemlich gewichtig zu sein. Tsunamis. Überschwemmungen. Hurrikane. Tornados. Erdbeben. Sie alle scheinen an Häufigkeit deutlich zuzunehmen. Vielleicht sind das jedoch auch nur die Auswirkungen der früheren Experimente.«
»Aber nach dem, was Sie sagen, lösen diese elektromagnetischen Manipulationen Störungen im Ozean aus. Was hat sich verändert?«
»Ich glaube nicht, dass das so schwierig zu verstehen ist. Wer auch immer hinter dieser Sache steckt, hat einen Grund gefunden, auf einen bestimmten Punkt zuzusteuern und dabei ein ganz bestimmtes Ziel im Auge.«
»Aber Sie wissen nicht, was dieses Ziel ist?«
»Sie sind der ehemalige KGB'ler. Ich bin nur ein einfacher Marineingenieur.«
Petrows Hand betastete seine Narbe. »Sie sind alles andere als einfach, mein Freund, aber Sie haben Recht, dass ich mich mit Verschwörungen auskenne. Während unseres bisherigen Gesprächs erinnerte ich mich an etwas, das einer Ihrer Regierungsvertreter, Zbigniew Brzezinski, vor vielen Jahren einmal sagte. Er prophezeite, dass eine Eliteklasse entstehen würde, die moderne Technologie einsetzt, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und die Gesellschaft unter genauer Beobachtung und Kontrolle zu halten. Sie würden soziale Krisen und die Massenmedien einsetzen, um ihre Ziele durch geheime Kriegführung, darunter auch Wetterbeeinflussung, zu erreichen. Diese Leute, von denen Sie gesprochen haben, Margrave und Gant, entsprechen sie diesem Bild?«
»Keine Ahnung. Ich halte es eher für unwahrscheinlich. Margrave ist ein reicher Neo-Anarchist, und Gant leitet eine Stiftung, die gegen die multinationalen Konzerne kämpft.«
»Vielleicht sind Sie wirklich nur ein einfacher Ingenieur. Wenn Sie zu einer Elite-Klasse gehören würden, die ein Komplott gegen die ganze Welt schmiedet, würden Sie öffentlich darauf aufmerksam machen?«
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Nein, ich würde die Menschen in dem Glauben wiegen, dass ich ein Gegner dieser Elite bin.«
Petrow klatschte in die Hände. »Sie ahnen ja gar nicht, wie erfreut ich darüber bin, dass das jüngste Komplott gegen die Welt von Amerikanern geplant wird und nicht von einem verrückten russischen Nationalisten mit zaristischen Anwandlungen.«
»Ich bin beruhigt, dass dieses Bewusstsein entscheidend zu Ihrem Wohlbefinden beiträgt, aber wir sollten endlich zum Wesentlichen kommen.«
»Ich stehe Ihnen voll und ganz zu Diensten. Offensichtlich haben Sie bereits einen Plan, sonst wären Sie wahrscheinlich gar nicht hier.«
»Da wir nicht wissen, wer dahintersteckt und warum, bleibt uns nur das Was: Polumkehr oder Polsprung, wie immer man es nennen mag. Wir müssen es verhindern.«
»Dem stimme ich zu. Erzählen Sie mir mehr von jener sogenannten Gegenmaßnahme, die Sie erwähnten.«
»Joe ist der Techniker unseres Teams. Er kann es besser erklären als ich.«
»Ich werde mir alle Mühe geben«, versprach Zavala. »So wie ich es verstehe, besteht die Grundidee darin, eine Polverschiebung dadurch auszulösen, dass man elektromagnetische Impulse in die Erdkruste strahlt, um auf diese Weise Vibrationen des Kerns zu erzeugen. Man kann diese Impulse mit Tonwellen vergleichen. Wenn man sich in einem Hotel aufhält und die lauten Stimmen im Zimmer nebenan überdecken will, könnte man zum Beispiel einen Ventilator einschalten, dessen Schwingungen den Lärm auslöschen würden. Wenn man einen höheren Ton überdecken will, wie zum Beispiel das Geräusch eines Haartrockners, brauchte man andere Frequenzen. Man nennt das Ganze Weißes Rauschen. Man hört es als ein Zischen oder etwas, das wie raschelndes Herbstlaub klingt. Das Gegenmittel oder die Gegenmaßnahme, wie auch immer, ist damit vergleichbar.
Aber sie funktioniert nur, wenn man die richtigen Frequenzen kennt.«
»Und Sie glauben, dass diese Frau, Karla Janos, diese Frequenzen kennt?«
»Vielleicht kennt sie sie gar nicht, aber alles scheint darauf hinzudeuten, dass sie es tut«, sagte Austin. »Doch abgesehen von den globalen Folgen geht es auch darum, dass eine junge Frau ihr Leben verlieren könnte.«