Diesmal zielte er besser, aber die Granate streifte die Wand und blieb mitten in der Höhlenöffnung liegen.
Schroeder warf sich nach hinten tiefer in die Höhle hinein und um den Knick herum, wo er sich Deckung suchend an die Wand drückte. Er presste sich die Hände gerade noch rechtzeitig auf die Ohren, als die Granate bereits explodierte. Ein Blitz zuckte auf, und ein Regen glühenden Metalls erfüllte den Höhleneingang. Dann ertönte ein dumpfes Grollen, als der Höhleneingang einstürzte.
Die Höhle war mit Staub erfüllt. Schroeder hob den Kopf und kroch in Richtung eines krampfhaften Hustens. Die Lampe wurde eingeschaltet, doch der Lichtstrahl wurde durch den braunen Staubvorhang, der in der Luft hing, zerstreut.
»Was ist passiert?«, erkundigte Karla sich, nachdem der Staub sich ein wenig gesetzt hatte.
Schroeder stöhnte und spuckte einen Mund voll Sand aus.
»Ich sagte dir schon, dass ich für solche Spielchen zu alt bin. Ich wollte die Granate werfen, als ich stolperte und mir den Kopf stieß. Warte mal einen Moment.« Er nahm ihr die Taschenlampe ab und kehrte zum Höhleneingang zurück. Nach einer Minute war er schon wieder zurück und berichtete: »Ich habe einen Volltreffer gelandet. Wir kommen nicht mehr raus, aber sie kommen auch nicht rein.«
»Na, ich weiß nicht«, sagte Karla. »Der Anführer dieser Männer meinte, sie hätten einen tragbaren Presslufthammer.«
Schroeder nahm diese Information nur ungern zur Kenntnis. »Das heißt, dass wir uns tiefer in die Höhle zurückziehen müssen.«
»Der Gang könnte kilometerweit in die Erde führen! Am Ende verirren wir uns noch hoffnungslos.«
»Ja, ich weiß. Wir gehen auch nur so weit wie nötig hinein, um einen Hinterhalt vorzubereiten. Ich versuche, das nächste Mal nicht so schlampig zu sein.«
Karla fragte sich, ob sie denselben Menschen vor sich hatte, der sie vor so vielen Jahren auf seinen Knien hatte reiten lassen. Er hatte den Mann, der versucht hatte, sie zu vergewaltigen, ausgeschaltet, in aller Ruhe mit einer Bande von Mördern verhandelt und dann, rein geschäftsmäßig, versucht, die ganze Bande zu töten.
»In Ordnung«, sagte sie. »Aber dieses Geheimnis, das du erwähnt hast … Was weißt du darüber?«
Karl angelte eine Kerze aus seinem Seesack, zündete den Docht an und befestigte sie mithilfe einiger Tropfen flüssigen Wachses auf einem kleinen Felsvorsprung.
»Ich habe deinen Großvater gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kennen gelernt. Er war ein brillanter und mutiger Mann. Vor vielen Jahren stieß er auf ein physikalisches Prinzip, das, wenn unüberlegt angewendet, Tod und Vernichtung auslösen konnte. Er schrieb einen Aufsatz, in dem er warnend auf diese Möglichkeiten aufmerksam machte, und das Ergebnis fiel nicht so aus, wie er erwartet hatte. Die Nazis schnappten ihn und zwangen ihn, an der Entwicklung einer Superwaffe zu arbeiten, die auf seinen Theorien basierte.«
»Das ist unglaublich. Er hat niemals irgendeinen Hinweis darauf gegeben, dass er etwas anderes war als ein Erfinder und Geschäftsmann.«
»Das ist richtig. Wie dem auch sei, jedenfalls habe ich ihm damals geholfen, aus dem Labor zu fliehen. Er hatte sich geweigert, seine Geheimnisse preiszugeben, und seine Standhaftigkeit oder Sturheit, wie man’s nimmt, kostete ihn seine Familie. Ja, genauso war es. Er war verheiratet und hatte ein Kind, ehe er nach dem Zweiten Weltkrieg in die Vereinigten Staaten ging. Er nahm sein Geheimnis mit ins Grab, aber diese Männer, oder diejenigen, für die sie arbeiten, glauben, dass er das Geheimnis an dich weitergegeben hat.«
»Wie kommen sie darauf, dass ich so etwas weiß?«
»Die Geschichte wiederholt sich immer wieder. Du hast einen Artikel über das Aussterben der Wollhaarmammuts veröffentlicht.«
»Das ist richtig. Ich sagte, es sei auf Klimaveränderungen zurückzuführen, die durch eine Polverschiebung ausgelöst wurden. Ich benutzte einige Forschungsunterlagen meines Großvaters und seine Berechnungen, um meine Theorie zu untermauern. Du lieber Himmel! Ist es das, was sie wollen?«
»Das und mehr. Sie werden alles tun und jeden töten, um es zu kriegen.«
»Aber alles, was ich weiß, ist öffentlich bekannt. Ich weiß nichts von einem Geheimnis!«
»Dein Großvater hat den Nazis das Gleiche erzählt. Und sie haben ihm ebenfalls nicht geglaubt.«
»Was kann ich tun?«
»Einstweilen dafür sorgen, dass es dir gut geht.« Er tauchte die Hand wieder in seinen Seesack ein und förderte Dörrfleisch und Wasser zutage. »Nicht gerade ein Cordon bleu, aber fürs Erste wird es reichen. Vielleicht finden wir ein paar Fledermäuse, aus denen wir einen leckeren Eintopf zubereiten können.«
»Jetzt erinnere ich mich«, sagte Karla lächelnd. »Ständig hast du mir von irgendwelchen verrückten Dingen erzählt, die du für mich kochen wolltest. Schnecken. Junge Hunde. Rosenkohl. Igitt. Widerlich.«
»Das war das Beste, was ich zustande bringen konnte. Was das Beilaunehalten von Kindern anging, hatte ich nur sehr geringe Erfahrungen.«
Sie unterhielten sich über die Vergangenheit, während sie das zähe Dörrfleisch kauten. Sie spülten es mit Wasser herunter, als sie am Höhleneingang etwas hörten, das so klang wie ein riesiger Specht.
»Sie haben mit dem Bohren angefangen«, stellte Karla fest.
Schroeder sammelte seine Siebensachen ein. »Es wird Zeit weiterzuziehen.« Er reichte Karla eine Taschenlampe und empfahl ihr, sie nur sporadisch zu benutzen, obgleich er stets genügend frische Batterien bei sich hatte. Dann folgten sie dem Höhlengang tiefer in die Erde hinein.
Schroeder hatte erwartet, dass die Temperatur steigen würde, je tiefer sie gelangten, und stellte nun zu seiner Freude fest, dass sie konstant blieb und dass die Luft relativ frisch war. Er machte Karla auf dieses Phänomen aufmerksam und äußerte die Vermutung, dass die Höhle vielleicht einen zweiten Ausgang habe. Er wusste, dass dafür nur eine geringe Hoffnung bestand, zumal der Höhlenboden sich jetzt merklich senkte, aber es schien Karla neuen Mut zu geben.
Die Höhle schlängelte sich, schwenkte leicht nach links, dann nach rechts, aber stetig abwärts. Manchmal war die Decke hoch genug, so dass sie aufrecht gehen konnten. Einige Abschnitte waren hingegen nur wenig über einen Meter hoch, und sie mussten diese Strecken kriechend überwinden. Schroeder stellte zu seiner Erleichterung fest, dass es nur einen einzigen Tunnel gab, ohne Abzweigungen, die eine Entscheidung nötig gemacht und die Gefahr gesteigert hätten, sich hoffnungslos zu verirren.
Nachdem sie etwa eine Stunde lang gewandert waren, öffnete der Gang sich zu einem großen Saal. Sie hatten keine Ahnung, wie groß er war, bis sie begannen, ihn zu erkunden.
Während die Lichtstrahlen ihrer Taschenlampen von der Feuchtigkeit reflektiert wurden, die der hohen Decke und den fernen Wänden zu einem matten Glanz verhalf, wurde offensichtlich, dass der Saal mindestens ebenso groß war wie das Foyer eines Grandhotels. Der Boden war beinahe eben. Am anderen Ende, genau gegenüber dem Punkt, an dem sie hereingekommen waren, befand sich die einzige andere Öffnung, die so groß zu sein schien wie ein Garagentor.
Sie wanderten an der Wand des Saales entlang, tranken gelegentlich aus ihren Wasserflaschen und staunten über Form und Ausdehnung der Kaverne. Schroeder betrachtete sie unter dem Aspekt, einen geeigneten Ort für einen Hinterhalt zu finden, und entschied, dass sie mit ihren Winkeln und Nischen ein ideales Schlachtfeld abgeben würde. Karla war unterdessen zur anderen Öffnung weitergegangen, die sie mithilfe ihrer Taschenlampe untersuchte, bevor sie hindurchtrat.