»Onkel Karl«, rief sie wenig später mit lauter Stimme.
Er ging zu der Stelle hinüber, wo sie auf dem Höhlenboden kniete. Genau im Mittelpunkt des Lichtstrahls aus ihrer Taschenlampe befand sich eine braune Pflanzenmasse.
»Was ist das?«, fragte Schroeder.
Sie antwortete nicht sofort. Nach einigen Sekunden sagte sie: »Es sieht aus wie Elefantendung.«
Schroeder lachte schallend auf. »Meinst du, hier wäre ein Zirkus durchgezogen?«
Sie stand auf und berührte ihren Fund mit einer Schuhspitze. Ein Geruch von Moschus und Gras stieg von dem Haufen auf. »Ich glaube, ich muss mich setzen«, sagte sie.
Sie fanden einen Felsvorsprung, der ihnen Platz zum Sitzen bot, und sie erfrischten sich aus ihren Wasserflaschen. Karla erzählte Schroeder von dem Mammutjungen, das nicht weit vom Höhleneingang entfernt gefunden worden war. »Ich habe bis jetzt keine Idee, wie es so gut hatte erhalten bleiben können«, sagte sie. »Niemand hat jemals ein solches Exemplar gefunden. Es schien erst vor Tagen oder wenigen Wochen gestorben zu sein.«
»Willst du damit andeuten, dass vielleicht Wollhaarmammuts in diesen Höhlen leben?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte sie lachend. »Das wäre absolut unmöglich. Vielleicht war das früher mal der Fall, und der Dung ist sehr alt. Ich will dir mal eine Geschichte erzählen. Im Jahr 1918 zog ein russischer Jäger durch die Taiga, den großen sibirischen Wald, als er riesige Spuren im Schnee entdeckte. Tagelang folgte er den Lebewesen, die sie hinterlassen hatten. Sie ließen haufenweise Dung und abgebrochene Baumäste zurück. Er berichtete anschließend, zwei riesige Elefanten mit kastanienbraunem Fell und mächtigen Stoßzähnen gesehen zu haben.«
»Eine zweifelhafte Jagdgeschichte ohne irgendeinen überzeugenden Beweis, mit der der Betreffende nur Eindruck schinden wollte?«
»Möglicherweise. Aber die Eskimos und die nordamerikanischen Indianer erinnerten sich ebenfalls an Legenden von riesigen zottigen Lebewesen. 1993 wurden die Skelette von Zwergmammuts auf der Wrangelinsel zwischen Sibirien und Alaska und gar nicht weit von hier gefunden. Das Alter der Knochen wurde auf dreieinhalbtausend bis siebentausend Jahre geschätzt, was bedeutet, dass Mammuts auch noch während des Paläolithikums über die Erde zogen, also zur gleichen Zeit, als der Mensch Stonehenge errichtete und Pyramiden baute.«
Schroeder lachte leise und sagte: »Du würdest am liebsten weiterforschen, nicht wahr?«
»Ich möchte keine so günstige Gelegenheit wie diese ungenutzt verstreichen lassen, indem ich herumsitze und Däumchen drehe. Vielleicht finden wir noch ein gut erhaltenes Exemplar.«
»Ich glaube nicht, dass man die Vorbereitungen dafür, eine Bande von geldgierigen Halsabschneidern aus der Welt zu schaffen, als Däumchen drehen bezeichnen kann. Aber überrascht bin ich nicht. Einmal, als du noch ein Kind warst, habe ich dir Alice im Wunderland vorgelesen. Nicht viel später ertappte ich dich draußen im Garten dabei, wie du versuchtest, deinen Kopf in ein Kaninchenloch zu zwängen. Du meintest, du wünschtest dir, irgendeinen Trank zu haben, der dich einschrumpfen lassen würde wie Alice.«
»Daran warst sicherlich du schuld, weil du mir solche Geschichten vorgelesen hast.«
»Nun scheint es, als hätten wir keine große Wahl mehr«, sagte er müde. Er schnappte sich seinen Seesack und humpelte auf die Öffnung in der Felswand zu. »Dann nichts wie rein ins Kaninchenloch.«
26
Der kastanienbraune Hengst galoppierte durch die saftig grüne Landschaft von Virginia, als kämpfte er um den ersten Platz im Kentucky Derby. Jordan Gant kauerte im Sattel wie ein zu groß geratener Jockey und prügelte mit seiner Gerte auf das Hinterteil des Pferdes ein. Der Hengst legte ein mörderisches Tempo vor. Seine Augen rollten, sein glattes Fell glänzte vor Schweiß, und ihm hing die Zunge aus dem Maul. Trotzdem kannte Gant kein Erbarmen. Es war nicht so sehr Grausamkeit, die bei ihm immerhin auf das Vorhandensein irgendeiner Emotion hätte schließen lassen können, sondern eher die totale Missachtung all dessen, das sich unter seiner Kontrolle befand.
Gant überquerte Wiesen und Weiden und ritt am Rand der Zufahrt entlang, die von Pappeln gesäumt wurde, bis er zu einem weitläufigen Landhaus kam. Er hielt auf einen Stall unweit des Wohnhauses zu, gestattete dem erschöpften Tier, in Trab zu fallen, dann in einen normalen Schritt und schließlich stehen zu bleiben. Gant glitt elegant aus dem Sattel, ließ sich von einem wartenden Pferdeknecht ein Handtuch reichen und warf ihm achtlos die Zügel zu. Das Pferd lahmte, als es weggeführt wurde.
Gant schlenderte über einen Steinplattenweg zur Haustür. Mit seinem schwarzen, kurzärmeligen Hemd und einer Reithose trug er den klassischen Polodress. Er hatte eine muskulöse, athletische Gestalt, und die Kleider hätten ihm auch dann gepasst wie angegossen, wenn sie nicht maßgeschneidert gewesen wären. Als ob sein Arm ein Eigenleben führte, ließ er die Reitgerte gegen seine kniehohen Stiefel aus Korduanleder klatschen, während er ging. Die massive Haustür schwang auf, als Gant sich ihr näherte, und schließlich betrat er eine riesige Eingangshalle, in deren Mitte ein Zierbrunnen plätscherte. Gant reichte seine Handschuhe und das Handtuch dem leichenblassen Butler, der die Tür geöffnet hatte.
Der Butler räusperte sich. »Ihr Gast ist eingetroffen, Sir. Er wartet in der Bibliothek.«
»Einen Bombay Sapphire Martini und das Übliche für mich.«
Der Butler verbeugte sich und verschwand in einem langen Flur. Gant ging durch eine Tür, die von der Halle in einen großzügigen Raum führte, dessen Wände mit deckenhohen Bücherregalen gesäumt waren, in denen reihenweise die wertvollen Bücher standen, die er sammelte. Margrave stand in der Nähe einer Terrassentür, die einen Blick auf gestutzte Rasenflächen gestattete, die so grün und eben waren wie die Spielfläche eines Billardtisches. Er blätterte in einem Buch mit einem Einband aus rotem, marokkanischem Leder.
»Das ist eine seltene Ausgabe der Göttlichen Komödie aus dem Jahr 1507«, sagte Gant. »Es gibt nur drei bekannte Exemplare. Ich besitze sie alle.«
»Sie haben eine wirklich umfangreiche Sammlung von Dante-Werken.«
»Tatsächlich ist es die beste der Welt«, meinte Gant völlig sachlich und ohne einen Anflug von Eitelkeit.
Margrave lächelte und stellte das Buch zurück ins Regal.
»Ich hatte auch nichts anderes erwartet. Hatten Sie einen angenehmen Ritt?«
Gant warf die Reitgerte auf einen kleinen Tisch. »Ich habe immer einen angenehmen Ritt. Das Pferd macht die ganze Arbeit. Das Tier, auf dem ich heute geritten bin, ist noch neu in meinen Ställen. Es ist ein Hengst, dem gezeigt werden musste, wer hier der Chef ist. Ich veranstalte mit jedem neuen Pferd einen Proberitt. Die Tiere, die ihn überleben, werden fürstlich behandelt. Die, die es nicht tun, enden in der Leimsiederei.«
»Nur die Stärksten überleben.«
»Ich glaube nun mal an Darwin.«
Der Butler erschien mit einem Tablett, auf dem zwei Drinks standen. Gant reichte Margrave ein Glas und nahm sich selbst den sechzehn Jahre alten, doppelt gereiften Scotch. Margrave kostete seinen Drink. »Ein perfekter Martini«, sagte er. »Sie wissen genau, was ich am liebsten trinke. Ich bin beeindruckt.«
»Sie vergessen, dass ich in einem Gewerbe tätig bin, wo geschäftliche Abschlüsse oft mit Alkohol geschmiert werden«, sagte Gant. »Nichts macht einen so günstigen Eindruck wie die Fähigkeit, sich an das spezielle Laster von jemandem zu erinnern.« Er ließ sich in einem bequemen Sessel nieder und gab Margrave ein Zeichen, ebenfalls Platz zu nehmen. »Wie ist der aktuelle Stand bei unserem Projekt?«
»Wir liegen in der Zeit. Aber ich mache mir wegen Spider Sorgen. Seit er die Insel vor ein paar Tagen verlassen hat, habe ich nichts mehr von ihm gehört.«