Margrave stellte sein Glas beiseite. »Ermordet?«
»Genau. Sie wurden alle in den Kopf geschossen. Die Morde wurden absolut professionell ausgeführt. Die Männer waren Spitzenkräfte unserer Sicherheitsfirma. Es wurde kein Versuch unternommen, die Leichen zu beseitigen. Die Exekutionen erfolgten dreist, fast schon leichtsinnig, was mich zu dem Schluss bringt, dass der Täter in Eile gehandelt hat.«
»Wer wusste von dem Team?«
»Sie. Ich. Und natürlich die russische Mafia.«
»Meinen Sie, die Russen stecken dahinter?«
»Die sind zu allem fähig. Aber irgendwie würde das nicht passen. Sie wussten, dass ein Team unterwegs war, aber sie hatten keine Ahnung, wer dieses Team war oder wo es wohnte. Sie gaben sich als Fernsehteam aus und sollten nur wenige Stunden, ehe sie getötet wurden, nach Sibirien starten.«
»Hat die Polizei irgendwelche Spuren?«
»Eine einzige. Der Charterpilot, der das Team weiterfliegen sollte, erklärte, er habe mit demjenigen gesprochen, der möglicherweise der Letzte war, der das Team lebendig gesehen hatte. Der Betreffende nahm für den Charterflug nach Sibirien den Platz der Fernsehleute ein. Er soll ein älterer Mann um die siebzig gewesen sein.«
»Ihr ursprünglicher Kontakt zu Karla Janos, der Mann, der die beiden Sicherheitsleute umgebracht hat, war der nicht auch ein älterer Mann?«
»Ja«, sagte Gant. »Ich würde darauf tippen, dass die beiden ein und derselbe sind.«
»Wer ist dieser Kerl? Wir suchen Karla Janos und stoßen auf einen Killer, der schon im Rentenalter ist.«
»Als meine Leute in sein Haus eindrangen, fanden sie auf seinem Computer Briefe, die er an die Janos geschrieben hat, und Antworten von der Frau. Er bezeichnete sich selbst als ›Onkel Karl‹.«
Margrave runzelte die Stirn. »In dem Dossier, das wir über die Kovacs-Familie zusammentrugen, ist nirgendwo von irgendeinem Onkel die Rede.«
»Ich würde mir wegen ihm nicht zu viele Sorgen machen. Als ich die Russen informierte, dass das Team für Ms. Janos nicht mehr käme, fragten sie, was sie mit ihr tun sollten. Ich sagte, sie sollten sie töten und den alten Mann ebenfalls, falls sie ihm begegnen sollten, womit ich eigentlich rechne.«
Margrave nickte. »Sie waren sehr fleißig.«
»Ich mag keine losen Enden wie zum Beispiel Kurt Austin, den Mann von der NUMA. Ich finde, er sollte aus dem Verkehr gezogen werden.«
»Ich dachte, wir wollten abwarten und Austin beobachten, ob er sich zu einer Gefahr entwickelt.«
»Als Austin das erste Mal auftauchte, habe ich Informationen über ihn eingezogen. Er ist Schiffsingenieur und Bergungsexperte bei der NUMA, der an einigen hochkarätigen Missionen beteiligt war. Er hat den Apparat auf Barretts Boot gesehen. Er befindet sich in einer Position, in der er uns eine Menge Ärger machen kann.«
»Ich gebe zu, es könnte Ärger geben, aber es ist nichts, womit wir nicht fertig würden.«
»Wollen Sie damit sagen, Austin könnte unser Projekt torpedieren?«
»Nicht wenn er tot ist. Wie Joseph Stalin schon sagte: ›… kein Mann, kein Problem.‹ Doyle arbeitete bereits an einem Plan, sich um Austin zu kümmern. Unglücklicherweise hat Austin sein Haus mit unbekanntem Ziel verlassen.«
»Und was tun wir jetzt?«
»Wir behalten Austins Haus unter ständiger Beobachtung. Wenn er zurückkommt, lösen wir unser Problem. In der Zwischenzeit würde ich vorschlagen, dass Sie sich darum kümmern, sämtliche technischen Fragen des Projekts zu lösen.«
»Dann sollte ich mich lieber auf den Weg machen«, sagte Margrave.
Gant brachte seinen Gast hinaus zu seinem Wagen. Sie schüttelten sich die Hand und vereinbarten, miteinander in Verbindung zu bleiben. Gant kehrte in sein Haus zurück, als der Pferdeknecht auf ihn zukam.
»Wie ist das neue Pferd?«, fragte Gant.
»Es lahmt, Sir.«
»Erschießen Sie es«, befahl Gant. Dann verschwand er im Haus.
27
Die Räume und Gänge des Höhlensystems waren die reinste Traumwelt. Orangefarbene und gelbe Schleier aus Mineralien verhüllten die Wände, und Stalaktiten hingen teils als bleistiftdünne Nadeln, teils als wuchtige Säulenbündel von der Decke herab.
Die ätherische Schönheit seiner unterirdischen Umgebung hinterließ auf Schroeder nicht den geringsten Eindruck. Die Beule auf seiner Stirn dröhnte wie eine Trommel, und das Gehen auf dem unebenen Boden der Höhle war Gift für seinen geschwollenen Knöchel. Er kämpfte sich gerade eine natürliche Treppe hinauf, als die Anstrengung bei ihm einen leichten Schwächeanfall auslöste.
Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen, und er sah plötzlich alles doppelt. Die Verlust seines Gleichgewichts verursachte bei ihm heftige Übelkeit. Schweißtropfen perlten plötzlich auf seiner Stirn, obwohl die Luft ausgesprochen kühl war. Er blieb stehen und presste den Kopf gegen die Höhlenwand. Der kalte Stein hatte die beruhigende Wirkung eines Eisbeutels.
Karla befand sich dicht hinter ihm. Sie sah ihn schwanken und kam ihm zu Hilfe.
»Bist du okay?«
»Ich habe mir den Kopf am Höhleneingang gestoßen. Wahrscheinlich ist es eine leichte Gehirnerschütterung. Wenigstens lenkt mich das von meinem lädierten Knöchel ab.«
»Vielleicht sollten wir eine kurze Rast einlegen«, schlug Karla vor.
Schroeder entdeckte einen niedrigen Vorsprung. Er setzte sich, lehnte sich mit dem Rücken an die Felswand und schloss die Augen. Er fühlte sich, als sei er auf einen Schlag um zwanzig Jahre gealtert. Die Feuchtigkeit setzte seinen Gelenken zu, und das Atmen fiel ihm schwer. Sein Knöchel war so dick geworden, dass er nicht einmal mehr den Knochen sehen konnte.
Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich wie ein alter Mann. Verdammt, er war ein alter Mann. Er warf Karla einen Seitenblick zu und war geradezu von Ehrfurcht ergriffen, als ihm bewusst wurde, wie dieses Baby, das er bei ihrer ersten Begegnung unbeholfen im Arm gehalten hatte, sich zu einer reizenden und intelligenten jungen Frau entwickelt hatte. Wie traurig, dass er es sich nie gestattet hatte, eine Familie zu haben. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass Karla seine Familie war. Selbst wenn da kein Versprechen an ihren Großvater gewesen wäre, hätte er alles in seiner Macht Stehende getan, um sie vor jeglichem Schaden zu bewahren.
Ihre Atempause war nur kurz. Gedämpfte Stimmen waren aus dem Gang zu hören, den sie gerade benutzt hatten. Schroeder war sofort wieder auf den Beinen. Er wies Karla im Flüsterton an, die Taschenlampe auszuknipsen. Sie standen reglos in der Dunkelheit und lauschten. Verzerrt durch die Biegungen und Windungen der Höhle waren die Echos der Stimmen wie das Gemurmel irgendeines Waldgeistes. Im gleichen Maß, wie die Stimmen lauter wurden, waren sie auch besser zu verstehen. Schließlich konnte man Männer ausmachen, die sich auf Russisch unterhielten.
Schroeder hatte gehofft, dass er und Karla nicht gezwungen würden, sich noch tiefer unter den Berg zu flüchten. Er hatte große Sorgen, den Rückweg nicht zu finden. Offensichtlich hatte er die Entschlossenheit von Grisha und seiner Mörderbande von Elfenbeinjägern völlig unterschätzt.
Seine Beschwerden und Schmerzen so gut wie möglich ignorierend, übernahm er wieder die Führung. Der Gang führte ein paar hundert Schritte mit einem leichten Gefälle abwärts, ehe er sich wieder horizontal ausrichtete. Die Wanderung forderte ihren Tribut von Schroeders Fußknöchel, und er musste sich mehrmals gegen die Wand lehnen, um nicht zu stürzen. Sie waren in akuter Gefahr, das Wettrennen gegen ihre Verfolger zu verlieren.
Karla sah den Spalt in der Wand als Erste. Schroeder konzentrierte sich derart ausschließlich darauf, möglichst viel Distanz zwischen sie und ihre Verfolger zu bringen, dass er an der Falte im Kalkstein, wo die Felswand sich einstülpte und eine winzige Öffnung schuf, kaum mehr als dreißig Zentimeter breit und knapp ein Meter fünfzig hoch, um ein Haar vorbeigelaufen wäre.