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Zavalas technisch geschulter Verstand erkannte sofort die Bedeutung dieses Schadens. »Die Erklärung liegt auf der Hand«, sagte er. »Eine etwa zwanzig Meter hohe Krafteinwirkung hat das Rettungsboot aus seiner Halterung gerissen.«

»Das Seefahrtsgericht entschied, dass das Schiff gesunken ist, als schlechtes Wetter einen ›ungewöhnlichen Vorfall‹ ausgelöst hat.«

Austin gestattete sich ein verhaltenes Kichern. »Das klingt, als hätte das Seefahrtsgericht sich um die zutreffende Schlussfolgerung drücken wollen.«

»Die Seefahrtexperten, die von der Entscheidung des Gerichts erfuhren, waren derselben Meinung wie Sie. Sie waren empört. Sie wussten genau, was den Untergang der Münchenbewirkt hatte. Seeleute erzählten schon seit Jahren von ihren Begegnungen mit fünfundzwanzig bis dreißig Meter hohen Wellen, aber die Wissenschaftler schenkten ihren Berichten keinen Glauben.«

»Ich habe auch schon Geschichten von Monsterwellen gehört, habe aber selbst noch nie eine mit eigenen Augen gesehen.«

»Seien Sie froh, denn wenn Sie einem solchen Ungeheuer begegnet wären, würden wir jetzt nicht diese Unterhaltung führen.«

»In gewisser Weise mache ich dem Seefahrtsgericht keinen Vorwurf, mit seinem Urteil vorsichtig zu sein«, sagte Austin.

»Seeleute haben den Ruf, die Wahrheit gerne zu übertreiben.«

»Das kann ich nur unterstreichen«, meinte Zavala mit einem wehmütigen Lächeln. »Seit Jahren höre ich immer wieder Schilderungen von Meerjungfrauen, ohne jemals eine zu Gesicht bekommen zu haben.«

»Zweifellos stand das Gericht Schlagzeilen über vampirhafte Killerwellen misstrauisch gegenüber«, sagte Adler.

»Laut den allgemein bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen jener Zeit war die Existenz von Wellen, wie die Seeleute sie beschrieben, theoretisch unmöglich. Wir Wissenschaftler hatten uns einer Reihe von mathematischen Gleichungen bedient, die man als Lineares Modell bezeichnete. Es besagte, dass eine dreißig Meter hohe Welle nur einmal in zehntausend Jahren vorkommt.«

»Offenbar haben wir demnach nach dem Verlust der Münchenwährend der nächsten hundert Jahrhunderte nichts zu befürchten«, stellte Austin mit einem schiefen Grinsen fest.

»Genau das dachte ich auch vor der Draupner-Geschichte.«

»Meinen Sie die Draupner-Ölbohrinsel vor Norwegen?«

»Sie haben davon gehört?«

»Ich habe sechs Jahre lang auf Ölbohrinseln in der Nordsee gearbeitet«, erwiderte Austin. »Es dürfte schwierig sein, auf einer Bohrinsel jemanden zu finden, der noch nie von der Welle gehört hat, die den Draupner-Turm erwischte.«

»Die Insel steht knapp zweihundert Kilometer weit draußen im Meer«, erklärte Adler Joe Zavala. »Die Nordsee ist berüchtigt für ihr schlechtes Wetter, aber am Neujahrstag 1985 tobte da draußen ein entsetzlicher Orkan. Die Insel wurde von zehn bis fünfzehn Meter hohen Wellen attackiert. Dann wurde sie von einer Welle getroffen, die laut den Sensoren der Insel dreißig Meter hoch war. Mir bleibt jetzt noch die Luft weg, wenn ich nur daran denke.«

»Das klingt, als hätte die Draupner-Welle das Lineare Modell gleich mit über Bord gehen lassen«, sagte Zavala.

»Und wie. Sie hat das Modell ins Meer gespült. Die Welle war mehr als zehn Meter höher, als das Modell für die Zehntausend-Jahre-Welle vorausgesagt hätte. Ein deutscher Wissenschaftler namens Julian Wolfram installierte auf der Draupner-Plattform eine Radaranlage. Vier Jahre lang maß Wolfram jede Welle, die die Plattform traf. Er konnte am Ende vierundzwanzig Wellen nennen, die die Grenzen des Linearen Modells gesprengt hatten.«

»Demnach sind die Geschichten doch nicht so weit hergeholt«, sagte Austin. »Vielleicht trifft Joe am Ende Minnie die Meerjungfrau doch noch.«

»Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde, aber Wolframs Forschungen bewiesen, dass die Legenden einen gewissen Wahrheitsgehalt hatten. Als er das Diagramm zeichnete, stellte er fest, dass diese neuen Wellen sowohl steiler wie auch größer als gewöhnliche Wellen waren. Wolframs Arbeiten trafen die Schiffsindustrie wie eine, nun, wie eine Monsterwelle. Seit Jahren richteten die Schiffskonstrukteure sich nach dem Linearen Modell und bauten Schiffe, die solide genug waren, um eine Welle von höchstens fünfzehn Metern Höhe zu überstehen. Die Wettervorhersagen basierten auf der gleichen fehlerhaften Voraussetzung.«

»Aus dem, was Sie sagen, muss man schließen«, sagte Zavala, »dass jedes Schiff auf See in Gefahr war, von einer Killerwelle versenkt zu werden.«

Adler nickte. »Milliarden wären notwendig gewesen für Verstärkungen und Umbauten. Die Aussicht auf eine wirtschaftliche Katastrophe spornte zu weiteren Forschungen an. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die Küste vor Südafrika, wo viele Seeleute Riesenwellen begegnet waren. Als Wissenschaftler Schiffsunfälle in der afrikanischen Kapregion aufzeichneten, stellten sie fest, dass die Positionen auf einer Linie lagen, die entlang des Agulhasstroms verlief. Die großen Wellen schienen vorwiegend dort zu entstehen, wo warme Meeresströmungen auf kalte trafen. In einem Zeitraum von zehn Jahren während der neunziger Jahre gingen in dieser Gegend zwanzig Schiffe verloren.«

»Die Schiffsindustrie muss erleichtert aufgeatmet haben«, sagte Austin. »Ein Schiff brauchte nichts anderes zu tun, als diese Gegend weiträumig zu meiden.«

»Sie stellten fest, dass dies nicht so einfach war. 1995 traf die Queen Elizabeth IIim Nordatlantik mit einer dreißig Meter hohen Welle zusammen. 2001 wurden zwei Vergnügungsschiffe, die Bremenund die Caledonian Star,von Dreißig-Meter-Wellen erwischt, und zwar weit entfernt vom Ursprung ihres Entstehens. Beide Schiffe überlebten, um der Nachwelt ihre Geschichte zu erzählen.«

»Das würde bedeuten, dass der Agulhasstrom nicht der einzige Ort ist, wo diese Wellen vorkommen«, sagte Austin.

»Richtig. In der Nähe dieser Schiffe gab es keine gegenläufigen Strömungen. Wir haben diese Informationen mit den Statistiken in Verbindung gebracht und gelangten zu einigen beunruhigenden Schlussfolgerungen. Mehr als zweihundert Supertanker und Containerschiffe, die länger waren als zweihundert Meter, waren in einem Zeitraum von zwanzig Jahren über die ganze Welt verteilt gesunken. An diesen Verlusten schienen Riesenwellen wesentlich beteiligt gewesen zu sein.«

»Das sind aber ziemlich schlimme Zahlen.«

»Sie sind schrecklich! Wegen der ernsten Bedeutung für die Schifffahrt haben wir Untersuchungen zur Verbesserung des Schiffsbaus eingeleitet, und wir haben nach Möglichkeiten einer Vorhersage gesucht.«

»Ich überlege gerade, ob das Forschungsprojekt, an dem die Trouts arbeiten, irgendetwas mit diesen Stereoidwellen zu tun hat«, sagte Zavala.

»Paul Trout und seine Frau, Gamay Trout, sind unsere NUMA-Kollegen«, erklärte Austin dem Professor. »Sie halten sich zur Zeit auf dem NOAA-Schiff Benjamin Franklinauf und untersuchen ozeanische Wirbel in dieser Region.«

Adler massierte nachdenklich sein Kinn. »Das ist ein interessanter Gedanke. Ganz gewiss lohnt es sich, ihm einmal auf den Grund zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt würde ich keine Möglichkeit völlig ausschließen.«

»Sie haben davon geredet, das Entstehen dieser Riesenwellen vorherzusagen«, erinnerte Austin ihn.

»Kurz nach den Zwischenfällen mit der Bremenund der Caledonian Starhaben die Europäer einen Satelliten ins All geschossen, der seitdem die Weltmeere überwacht. Nach drei Wochen haben die Satelliten zehn Wellen wie die entdeckt, die die beiden Schiffe beinahe versenkt hätte.«

»Hat irgendjemand dahinterkommen können, was diese Killerwellen ausgelöst haben könnte?«

»Einige Kollegen haben dazu die Schroedinger-Gleichung, ein Prinzip der Quantenmechanik, herangezogen. Es ist ein wenig kompliziert, aber sie erklärt die Art und Weise, wie Dinge ohne irgendeinen plausiblen Grund erscheinen und wieder verschwinden können. ›Vampirwelle‹ ist ein passender Name für das Phänomen. Sie saugen die Energie anderer Wellen auf, und, voilà,schon haben wir unser Riesenmonstrum. Trotzdem wissen wir noch immer nicht, was diese Dinger eigentlich auslöst.«