Trout ahnte, dass Gamay einen Plan verfolgte, und spielte mit.
»Wenn ihm die Menschheit so sehr am Herzen lag, weshalb hat er dann für die Nazis gearbeitet?«, fragte Trout.
»Er musstefür die Nazis arbeiten. Sie haben ihm gedroht, seine Familie zu vernichten.«
»Soweit ich weiß, ist genau das auch geschehen«, sagte Gamay. »Es ist eine Schande, finden Sie nicht? Die Frau und die Kinder des Mannes sind deswegen gestorben.« Sie schlug mit der Broschüre auf ihr Knie. »Für eine unsinnige Theorie über tödliche niederfrequente elektromagnetische Wellen.«
Frobishers blasse Wangen nahmen die Farbe eines gekochten Hummers an. Nach einem kurzen Augenblick löste der düstere Ausdruck auf seinem Gesicht sich zu einem breiten Grinsen auf.
»Das war ein sehr geschickter Versuch, mich zu ködern.«
Er sah seine beiden Besucher prüfend an. »Und jetzt verraten Sie mir bitte, wer Sie wirklich sind.«
Gamay schaute zu Paul, der unmerklich nickte.
»Wir gehören zum Spezialteam für Sondereinsätze der NUMA«, antwortete sie. »Wollen Sie irgendwelche Ausweise sehen?«
»Ich glaube Ihnen. Was haben zwei Vertreter der größten Meeresforschungsorganisation der Welt ausgerechnet in Los Alamos, weit weg von Atlantik und Pazifik, zu suchen?«
»Wir glauben, dass der Schlüssel zur Lösung des Rätsels um einige ungewöhnliche ozeanische Störungen hier in New Mexico gefunden werden kann.«
Er runzelte die Stirn. »Welche Art von Störungen?«
»Strudel und Riesenwellen, die groß genug sind, um ganze Schiffe versinken zu lassen.«
»Entschuldigen Sie, aber ich weiß noch immer nicht, wovon Sie reden.«
»Einer unserer NUMA-Wissenschaftler, den wir zu Rate gezogen haben, äußerte die Vermutung, dass die Störungen von Unregelmäßigkeiten und Veränderungen im elektromagnetischen Wellensystem der Erde ausgelöst worden sein könnten. Er brachte die Kovacs-Theoreme ins Gespräch.«
»Nur weiter«, sagte Frobisher.
Einander abwechselnd berichteten sie von den Meeresstörungen und der Spekulation, dass sie von Menschen ausgelöst worden waren.
»Lieber Himmel«, flüsterte Frobisher mit heiserer Stimme. »Es passiert tatsächlich.«
»Was passiert?«, fragte Paul Trout.
»NUMA oder nicht, auf jeden Fall sind Sie in etwas hineingestolpert, das größer und folgenschwerer ist, als man sich vorstellen kann.«
»Das tun wir sehr oft«, sagte Trout. »Es steht in unserer NUMA-internen Arbeitsplatzbeschreibung.«
Frobisher starrte Paul Trout und Gamay an.
Ihre gelassenen Mienen holten ihn auf die Erde zurück, und er bekam sich wieder in den Griff. Er ging in die Küche und kam mit drei eisgekühlten Flaschen Bier zurück, die er verteilte.
»Wir haben Ihnen erzählt, wer wir sind«, sagte Gamay mit ihrem entwaffnenden Lächeln. »Jetzt wäre es vielleicht an der Zeit, dass Sie mal ein wenig über sich herauslassen.«
»Klar, warum nicht.« Er leerte seine Flasche Bier zur Hälfte und wischte sich den Mund ab. »Lassen Sie mich einen kleinen historischen Ausflug machen. Die meisten haben schon von dem Brief gehört, den Albert Einstein an Präsident Roosevelt geschrieben hat.«
Trout nickte. »Einstein meinte, dass angesichts der Möglichkeit, eine kontrollierte Kettenreaktion in Gang zu setzen, der Bau einer Atombombe möglich sei. Er empfahl, dass die Vereinigten Staaten eine solche Bombe entwickeln sollten, ehe die Deutschen es in Angriff nähmen.«
»Das ist richtig«, sagte Frobisher. »Der Präsident beauftragte ein Komitee, sich mit der Angelegenheit zu befassen, und das Ergebnis waren die Forschungen hier in Los Alamos. Nur wenigen ist bekannt, dass Einstein gegen Ende des Krieges einen zweiten Brief schrieb, der jedoch nie veröffentlicht wurde. Darin warnte er vor den Gefahren eines elektromagnetischen Krieges auf der Grundlage der Theoreme. Aber im Gegensatz zu Kovacs, der von vielen als Scharlatan verlacht wurde, hatte Einsteins Meinung Gewicht. Truman bekleidete damals das Präsidentenamt. Er berief ein Komitee ein, das sich Einsteins Vorschläge ansehen sollte, und heraus kam ein Forschungsprojekt ähnlich dem Manhattan Project.«
»Wir haben gehört, dass die Russen auf dem gleichen Gebiet forschten«, sagte Gamay.
»Das ist richtig. Mitte der sechziger Jahre waren wir genauso weit wie die Russen.«
»Wie weit wurde die Forschung getrieben?«
»Sehr weit. Sie konzentrierten sich mehr auf das Festland als auf den Himmel und lösten einige Erdbeben aus. Nach dem großen Erdbeben in Alaska revanchierte sich unser Land. Wir sorgten für einige Überschwemmungen und Dürreperioden in Russland. Aber das war alles nur Kleinkram.«
»Überschwemmungen und Erdbeben würde ich nicht gerade als Kleinkram bezeichnen«, sagte Gamay.
»Das waren sozusagen nur Aufwärmaktionen. Wissenschaftler beider Länder entdeckten etwa zur gleichen Zeit, dass sie im Zuge gemeinsamer Anstrengungen wesentliche Veränderungen des elektromagnetischen Felds der Erde herbeiführen konnten. Daraufhin fand eine geheime Konferenz beider Länder auf einer einsamen Insel im Beringmeer statt. Wissenschaftler und Regierungsvertreter nahmen daran teil. Beide Länder wurden mit Indizien konfrontiert, die die ernsten Folgen weiterer Experimente auf Grundlage der Kovacs-Theoreme aufzeigten.«
»Woher wissen Sie das alles, wenn es so geheim war?«, fragte Gamay.
»Das ist einfach. Ich habe daran teilgenommen. Wir kamen überein, sämtliche Forschung in dieser Richtung einzustellen und uns mit harmloseren Dingen wie zum Beispiel nuklearer Kriegführung zu befassen.«
»Es ist schwer zu glauben, dass es noch etwas Schlimmeres gibt als einen nuklearen Holocaust«, sagte Gamay stirnrunzelnd.
»Glauben Sie es ruhig.« Frobisher beugte sich auf seinem Stuhl vor und senkte so gewohnheitsmäßig die Stimme, als ob er glaubte, dass der Raum abgehört wurde. »Das Geheimnis zu bewahren wurde als derart wichtig angesehen, dass in jedem Land entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen wurden. Jeder, der zu viel über Kovacs und seine Arbeiten wusste oder zu neugierige Fragen stellte, wurde sofort gestoppt oder, wenn nötig, eliminiert.«
»Dann wurde die Kovacs Society gar nicht als Tarnung für eine Pokerrunde gegründet?«, fragte Trout.
Frobisher lächelte. »Die Geschichte lässt gewöhnlich das Interesse der Leute schlagartig erlahmen. Nein, die Kovacs Society war ein Teil der Tarnung. Man ging davon aus, dass sie die erste Adresse für jeden wäre, der sich für seine Arbeit interessiert. Wenn Sie vor ein paar Jahren hier erschienen wären und zu unbequeme Fragen gestellt hätten, wäre meine erste Reaktion ein Telefonanruf gewesen, und Sie wären verschwunden. Sie können froh sein, dass die ganze Einrichtung vor ein paar Jahren aufgelöst wurde.«
»Was ist geschehen?«, wollte Trout wissen.
»Es kam zu Budgetkürzungen«, antwortete Frobisher grinsend. »Eine allgemeine Vergesslichkeit setzte ein. Die wenigen Personen, die über die Übereinkunft Bescheid wussten, starben und nahmen ihr Geheimnis mit ins Grab. Niemand war mehr da, der sich um Budgetfragen kümmerte, also wurde es gestrichen. Im Laufe der Zeit verloren Kovacs und seine Arbeiten an Bedeutung. Genauso wie Nikola Tesla wurde Kovacs zu einer Kultfigur für Verschwörungsgläubige, nur war er nicht so bekannt. Die meisten Leute, die hier vorbeikommen, sind ausgemachte Spinner, wie zum Beispiel einer, der sich eine Spinne auf seine Glatze hat tätowieren lassen. Diejenigen, die sich ein wenig ernsthafter mit dieser Geschichte beschäftigen, werden gewöhnlich durch meine Froby-Nummer abgelenkt.«
»Die Nummer ist nicht schlecht«, meinte Gamay anerkennend.
»Vielen Dank. Ich fing schon an, selbst daran zu glauben. Ich war sozusagen der einsame Torwächter, der die Leute abwimmelte, wenn sie zu neugierig wurden.«
»Sie haben von weltweiten Folgen aufgrund der elektromagnetischen Manipulation gesprochen«, kam Trout wieder auf ihr ursprüngliches Anliegen zurück.
Frobisher nickte. »Was jedem der Beteiligten große Sorgen bereitete, war die Möglichkeit, dass die elektromagnetische Manipulation eine Verschiebung der Pole auslösen könnte.«