»Und ist so etwas möglich?«, fragte Gamay.
»Oh ja. Ich will es Ihnen erklären. Das elektromagnetische Feld der Erde wird durch die Rotation der äußeren Kruste um den festen Teil des Erdkerns erzeugt. Wissenschaftler der Leipziger Universität entwickelten ein Modell, das die Erde als riesigen Dynamo erscheinen lässt. Die Schwermetalle und die flüssige Magma des im Kern angesiedelten Elektromagneten stellen die Kupplung dar. Die leichteren Metalle in der Kruste sind sozusagen die Spulenwindungen. Die Planetenpole werden durch die elektromagnetische Spannung bestimmt. Die magnetischen Pole sind die Folge der Strudel und Wirbel im flüssigen Kern. Die Magnetpole neigen zum Wandern. Navigatoren berücksichtigen diesen Effekt stets bei ihren Berechnungen. Wenn ein Pol schwächer wird, könnte es zu einer Umkehr von magnetischem Süd- und Nordpol kommen.«
»Was wäre die Folge dieser Polumkehr?«, fragte Gamay.
»Es käme zu empfindlichen Störungen, die durchaus Katastrophencharakter annehmen können. Energiesysteme würden ausfallen. Satelliten wären plötzlich nutzlos. Kompasse würden durchdrehen. In der Ozonschicht könnten große Löcher entstehen, die wiederum gesundheitliche Probleme aufgrund ungefilterter Sonnenstrahlung zur Folge hätten. Man könnte das Polarlicht viel weiter im Süden beobachten. Vögel und andere Tiere würden bei ihren Wanderungen in die Irre geleitet.«
»Das wären wirklich heftige Störungen«, gab Gamay zu.
»Ja, aber all das wäre harmlos im Vergleich mit den Auswirkungen einer geologischenPolverschiebung.«
Als Tiefseegeologe wusste Trout genau, was Frobisher meinte. »Worauf Sie offensichtlich abzielen, ist eine tatsächliche Bewegung der Kruste über dem Erdkern und nicht so sehr eine Veränderung des elektromagnetischen Feldes der Erde.«
»Genau. Der feste Teil der Erde schwimmt auf dem flüssigen Teil. Es gibt Hinweise, dass so etwas schon früher vorkam, ausgelöst durch ein natürliches Ereignis wie zum Beispiel einen vorbeiziehenden Kometen.«
»Ich bin Tiefseegeologe«, sagte Trout. »Ein Komet ist die eine Sache. Ich habe jedoch Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass von Menschen vorgenommene Maßnahmen wesentliche physikalische Veränderungen auslösen können.«
»Deshalb waren Kovacs’ Untersuchungen ja so wichtig.«
»Inwiefern?«
Frobisher erhob sich und ging in dem kleinen Raum einige Male auf und ab, um seine Gedanken zu ordnen, dann blieb er stehen und vollführte mit seinem Zeigefinger eine Kreisbewegung.
»Da ist noch ein völlig anderer Aspekt. Das gesamte Universum wird vom Elektromagnetismus gesteuert. Die Erde ist aufgeladen wie ein riesiger Elektromagnet. Veränderungen des Feldes können eine Verschiebung der Polarität auslösen, wie wir soeben festgestellt haben. Es gibt jedoch noch einen weiteren Effekt, auf den Kovacs während seiner Forschungen gestoßen ist. Materie oszilliert zwischen den Zuständen Materie und Energie.«
Trout nickte verstehend. »Wenn ich Sie richtig interpretiere, kann mittels einer Veränderung des elektromagnetischen Feldes der Erde die Position von Materie auf der Erdoberfläche ebenfalls verändert werden.«
»Das könnte eine Erklärung für die ozeanischen Störungen sein«, warf Gamay ein.
Frobisher schnippte mit den Fingern und grinste triumphierend. »Damit haben Sie sich beide eine dicke Zigarre verdient.«
»Was würde bei einer Festlandverschiebung passieren?«, fragte Gamay.
Frobishers Lächeln verflog. »Die Ruhekräfte würden auf die Materieverschiebung reagieren. Die Wassermassen der Weltmeere und der Seen würden in eine andere Richtung gerissen, gegen die Küsten branden und heftige Überschwemmungen auslösen. Sämtliche elektrischen Anlagen würden versagen. Es käme zu heftigsten Hurrikans und Tornados. Die Erdkruste würde aufbrechen. Erdbeben, Vulkanausbrüche und riesige Lavaströme wären die Folge. Es käme zu drastischen und lange andauernden Klimaveränderungen. Vermehrte Sonnenstrahlung, die das Magnetfeld der Erde durchdringt, würde bei Millionen von Menschen die Strahlenkrankheit auslösen und zum Tod führen.«
»Es käme also zu einer weltweiten Katastrophe ungeahnten Ausmaßes«, sagte Gamay.
»Nein.«
Frobisher schüttelte den Kopf, und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Ich rede von nichts anderem als dem Ende jedweder lebenden Materie — im Grunde vom Weltuntergang.«
Während der Rückfahrt nach Albuquerque, von wo aus sie nach Hause fliegen würden, war Paul Trout derjenige, der sich in Schweigen hüllte.
»Einen Penny für deine Gedanken«, sagte Gamay. »Natürlich unter Berücksichtigung der Inflationsrate.«
Trout schien aus einer Trance aufzuwachen. »Ich dachte gerade an Roswell in New Mexico, wo angeblich das UFO abgestürzt sein soll.«
»Vielleicht können wir ein andermal hinfahren. Nach dem Vortrag deines Freundes Frobisher summt mir der Kopf von Verschwörungstheorien.«
»Was hältst du von ihm?«
»Entweder ist er ein fröhlicher Exzentriker, oder er ist beängstigend normal.«
»Das ist auch meine Meinung, was mich letztlich auf Roswell gebracht hat. Einige UFO-Freaks berichten, dass der Präsident nach dem Vorfall einer Gruppe hochrangiger Wissenschaftler und Regierungsvertreter den Auftrag gab, die Angelegenheit zu untersuchen und zu vertuschen. Die Gruppe erhielt die Bezeichnung MJ12.«
»Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Meinst du, dass es zu dem, was wir gehört haben, allzu enge Parallelen gibt?«
»Vielleicht, aber es besteht eine Möglichkeit, die Richtigkeit seiner Aussagen zu bestätigen.«
»Und welche?«
Eine schlichte Broschüre lag auf der Mittelkonsole zwischen den beiden Vordersitzen. Frobisher hatte sie ihnen mit dem Hinweis überreicht, dass Kovacs dieses einzige Exemplar der mathematischen Grundlagen seiner umstrittenen Theoreme hatte drucken lassen. Die vergilbten Seiten waren randvoll mit mathematischen Gleichungen gefüllt. Trout ergriff die Broschüre und sagte: »Lazio Kovacs konnte seine Theoreme nicht testen. Wir hingegen können es.«
20
Austin stand auf der Veranda seines Hauses und betrachtete das funkelnde Band, das hinter seinem Haus vorbeiströmte. Die Morgennebel hatten sich aufgelöst. Vom Potomac stieg ein Geruch von in der Sonne festgebackenem Schlamm und Wildblumen auf. Manchmal stellte er sich vor, dass der Fluss seine eigene Lorelei hatte, und zwar eine lüstern dreinblickende Südstaatenversion der deutschen Sirene, deren Gesang Rheinschiffer in den Tod lockte.
Ihrem unwiderstehlichen Ruf folgend, holte er sein sieben Meter langes Maas Rennskiff unter dem Bootshaus hervor und trug es vorsichtig die Rampe hinunter zum Wasser. Er stieg in das offene Cockpit, schob die Füße unter die Schlaufen, die mit dem Stemmbrett vernietet waren, fuhr auf dem Rollsitz einige Male vor und zurück, um seine Bauchmuskeln zu lockern, und justierte die Dollhaken am Ende der Ausleger auf maximale Leistung.
Dann stieß er sich ab in den Fluss, tauchte die Schaufeln seiner Concept 2 Composit Skulls ins Wasser, beugte sich vor und zog die Innenhebel zurück, wobei er sein Körpergewicht nutzte. Die drei Meter langen Skulls ließen das nadelschlanke Rennboot regelrecht durchs Wasser fliegen. Er steigerte seine Schlagzahl, bis die Anzeige des StrokeCoach ihm verriet, dass er seine übliche Frequenz von achtundzwanzig Schlägen pro Minute erreicht hatte.
Rudern war eine tägliche Routine und seine bevorzugte Trainingsart. Es erforderte mehr Technik als reine Kraft, und das Zusammenwirken von Geist und Körper, das nötig war, um das leichte Boot übers Wasser schießen zu lassen, war eine perfekte Methode, um das Geschnatter der Welt ringsum auszuschalten und seine Konzentration auf einen Punkt zu bündeln.
Während er an stattlichen alten Villen vorüberglitt, versuchte er, einen Sinn in den Ereignissen zu erkennen, die in seinem Kopf herumwirbelten wie der Strudel, der die Trouts beinahe in den Tod gezogen hatte. Eine Tatsache war wohl unwidersprochen. Jemand hatte eine Möglichkeit gefunden, die Ozeane gezielt und willkürlich in Wallung zu bringen.