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Aber zu welchem Zweck? Welcher Gewinn war daraus zu ziehen, dass man Killerwellen und riesige Mahlströme erzeugte, die fähig waren, ganze Schiffe zu verschlingen? Und wer war in der Lage, derart unvorstellbare und gottgleiche Kräfte zu entwickeln?

Aus den Augenwinkeln bemerkte Austin eine Bewegung, die seine Überlegungen unterbrach. Ein anderes Skiff kam auf gleiche Höhe. Austin stellte seine Skullschaufeln auf und stoppte. Der andere Ruderer tat das Gleiche. Sie musterten einander. Sein unerwarteter Gefährte entsprach nicht den ordentlichen athletischen Typen, denen er bei seinen morgendlichen Ruderaktivitäten häufig begegnete. Zuerst einmal quollen lange Rastalocken unter seiner braunen Baseballmütze hervor. Dazu trug er eine Sonnenbrille mit blauen Gläsern.

»Guten Morgen«, sagte Austin.

Der Mann nahm die Mütze mit den daran befestigten Dreadlocks sowie die Sonnenbrille ab. »Verdammt, ist das Ding heiß!«, sagte er. Er grinste Austin an. »Haben Sie nicht vor kurzem an irgendwelchen Kajakrennen teilgenommen?«

Die Sonne beschien die bizarre Spinnentätowierung auf dem schweißnassen Schädel.

Austin lehnte sich nach vorne auf seine Skulls. »Hallo, Spider«, sagte er.

»Sie wissen, wer ich bin?«

Austin nickte. »Das Bob-Marley-Kostüm hatte mich für einen Moment getäuscht.«

Barrett zuckte die Achseln. »Das war das Beste, was mir auf die Schnelle einfiel. Ein Typ verhökerte diese Dinger am Andenkenstand in der Nähe der Bootsvermietung. Ich hatte die Wahl zwischen dem hier und Elvis.«

»Eine gute Entscheidung. Ich kann Sie mir wirklich nicht dabei vorstellen, wie Sie ›Hound Dog‹ singen«, sagte Austin. »Warum überhaupt eine Verkleidung?«

Barrett deutete auf einen Verband, der seinen Kopf zierte. »Jemand will mich töten.«

»Weshalb?«

»Das ist eine lange Geschichte, Kurt.«

Austin beschloss, einen Schuss ins Blaue abzufeuern. »Hat das etwas mit den niederfrequenten elektromagnetischen Impulsen zu tun?«

Der erstaunte Ausdruck auf Barretts Gesicht verriet, dass seine Frage ins Schwarze getroffen hatte. »Woher wissen Sie davon?«

»Das ist in etwa alles, was ich weiß.«

Barrett betrachtete blinzelnd die funkelnden Reflexe der Sonne auf den Wellen. »Wunderschön.«

»Das finde ich auch, aber Sie sind sicher nicht wegen der Landschaft hergekommen.«

»Da haben Sie Recht. Ich bin hier, weil ich einen Freund brauche.«

Austin machte mit dem Arm eine ausholende Bewegung.

»Sie befinden sich hier in freundlichen Gewässern. Wenn Sie und Ihr Boot nicht gewesen wären, hätten die Mörderwale mich als Imbiss verspeist. Kommen Sie mit in mein Haus und lassen Sie uns über alles reden.«

»Das ist keine gute Idee«, sagte Barrett mit einem verstohlenen Blick über die Schulter. Er griff in seine Hemdtasche und holte ein schwarzes Kästchen von der Größe einer Zigarettenschachtel hervor. »Dies verrät uns, ob in der Nähe irgendwelche elektronischen Überwachungseinrichtungen in Betrieb sind. Okay, im Augenblick ist alles sauber, aber ich möchte kein Risiko eingehen. Was dagegen, wenn wir weiterrudern? Mir macht es nämlich Spaß.«

»Nicht weit von hier ist eine Stelle, wo wir an Land gehen können«, sagte Austin. »Folgen Sie mir.«

Sie ruderten etwa dreihundert Meter und zogen dann die Boote auf ein flaches Ufer. Eine menschenfreundliche Seele hatte im Schatten der Bäume eine Picknickbank für müde Bootsfahrer aufgestellt. Austin teilte den Inhalt seiner Wasserflasche mit Barrett.

»Danke«, sagte dieser, nachdem er einige Schlucke getrunken hatte. »Ich bin total außer Form.«

»Aber nicht nach dem, was ich gesehen habe. Ich war ziemlich schnell unterwegs, als Sie mich einholten.«

»Ich gehörte zur Rudermannschaft des MIT. Ich war praktisch jeden Tag auf dem Charles River. Das ist schon lange her.« Er lächelte ein wenig wehmütig.

»Was war Ihr Hauptfach am MIT?«

»Quantenphysik mit Schwerpunkt Computerlogik.«

»Das sieht man Ihrem Hell’s-Angels-Look aber nicht an.«

Barrett lachte. »Das ist nur Schau. Ich war schon immer ein Computerfreak. Aufgewachsen bin ich in Kalifornien, wo meine Eltern beide Universitätsprofessoren waren. Zuerst war ich an der Caltech, um Computerwissenschaften zu studieren, dann ging ich ans MIT, um mein Diplom zu machen. Dort lernte ich Tris Margrave kennen. Wir setzten uns zusammen und kamen mit dem Bargrave Softwaresystem heraus. Wir verdienten uns damit mehrere goldene Nasen. Uns ging es richtig gut, bis Tris sich mit Lucifer einließ.«

»Lucifer? Dem Teufel?«

» Luciferwar eine Anarchistenzeitung, die im neunzehnten Jahrhundert in Kansas erschien. Damals nannten sie diese Leute ›Brandstifter‹. Es ist außerdem der Name einer kleinen Gruppe von Neo-Anarchisten, mit der Tris zu tun hat. Sie wollen die Leute stürzen, die sie die ›Eliten‹ nennen, nichtgewählte Persönlichkeiten, die den größten Teil des Reichtums und der Macht der Welt kontrollieren.«

»Wie passen Sie in dieses Bild?«

»Ich gehöre zu Lucifer. Das heißt, ich gehörtedazu.«

Austin betrachtete Barretts Kopftätowierung. »Sie kommen mir nicht gerade sehr konventionell vor, Spider, aber ist es nicht so, dass auch Sie und Ihr Partner einen beträchtlichen Anteil des Weltreichtums unter Kontrolle haben?«

» Absolut.Deshalb sind wir es, die diesen Kampf führen. Tris sagt, Männer von Reichtum und Bildung — also diejenigen, die am meisten zu verlieren hatten — starteten die amerikanische Revolution. Leute wie Hancock, Washington und Jefferson waren bekanntlich sehr wohlhabend.«

»Welche Rolle spielt Margrave bei Lucifer?«

»Tris bezeichnet sich selbst als die treibende Kraft Lucifers. Anarchisten haben wenig dafür übrig, einem Führer zu folgen. Es ist eine locker organisierte Gruppe von an die hundert gleichgesinnten Leuten, die mit einigen der aktiveren Neo-Anarchisten-Clubs sympathisieren. Einige Dutzend eher zur Gewalt neigende Typen nennen sich selbst ›Lucifer’s Legion‹. Ich hatte mehr mit der technischen als mit der politischen Seite des Projekts zu tun.«

»Was treibt Margrave an?«

»Tris ist brillant und skrupellos. Er fühlt sich schuldig wegen der Art und Weise, wie seine Familie ihr Vermögen mit Sklavenhandel und Alkoholschmuggel verdient hat, aber ich glaube, dass er im Wesentlichen von Macht besessen ist. Er hat mich in die Lucifer-Pläne eingeweiht.«

»Und wie sehen die aus?«

»Wir wollten die Machtgefüge der Eliten angreifen und erschüttern, damit sie unseren Wünschen nachgeben und auf einen Teil ihrer Macht verzichten.«

»Das ist aber ziemlich viel verlangt«, meinte Austin.

»Wem sagen Sie das? Wir gaben ihnen vor zwei Wochen in New York eine Kostprobe von dem, was ansonsten geschehen würde. Wir haben die Stadt für einen Zeitraum während einer großen Wirtschaftskonferenz lahmgelegt in der Hoffnung, sie zu Verhandlungen bewegen zu können, aber es war so ähnlich, als hätte eine Biene einen Elefanten gestochen.«

Austin hob eine Augenbraue. »Ich habe von dem Blackout gehört. Sie waren dafür verantwortlich?«

Barrett nickte. »Es war bloß eine kleine Demo, um ihnen zu beweisen, dass wir das totale Chaos auslösen können. Unsere langfristigen Pläne sehen vor, Kommunikation und Wirtschaft weltweit empfindlich zu stören.«

»Und wie wollen Sie das bewerkstelligen?«

»Indem wir eine Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen benutzen, um ihre Kommunikations- und Transportsysteme zu stören und ein weltweites wirtschaftliches Chaos auszulösen.«

»Sie meinen wohl die Kovacs-Theoreme.«

Barrett starrte Austin an, als wäre ihm soeben ein zweiter Kopf gewachsen. »Sie haben wirklich Ihre Hausaufgaben gemacht. Was wissen Sie über die Theoreme?«