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Bulgarin war sowohl verwirrt wie auch verärgert über den Zeitpunkt des Besuchs. So regelmäßig wie ein Uhrwerk erschien sein Partner jeweils am vierten Donnerstag des Monats, doch heute war erst der zweite Mittwoch. Trotz seines Ärgers verzog er, als er sein winziges, unordentliches Büro betrat, das Gesicht in Erwartung Karpovs, des üblichen Mafiaboten aus Moskau, zu einem breiten Lächeln. Aber der Mann im schwarzen Anzug und Rollkragenpullover war jünger, und im Gegensatz zu Karpov, der beim Abholen des Geldes immerhin den rauen, wenn auch zweifelhaften Charme des hartgesottenen Schuldeneintreibers an den Tag legte, war sein Gesichts­ausdruck so kalt wie Jakutsk in einer Winternacht.

Er funkelte Bulgarin wütend an. »Ich mag es nicht, wenn man mich warten lässt.«

»Es tut mir leid«, sagte Bulgarin und behielt sein Lächeln bei. »Ich war gerade am anderen Ende des Lagerhauses. Ist Karpov krank?«

»Karpov ist lediglich ein Kassierer. Wir haben wichtige Geschäfte zu besprechen. Ich will, dass Sie mit den Männern auf Ivory Island Verbindung aufnehmen.«

»Das ist nicht so einfach.«

»Tun Sie es trotzdem.«

Mehrere Tage zuvor hatte Moskau sich telefonisch gemeldet und ihn angewiesen, einen Trupp seiner härtesten Elfenbeinjäger zusammenzustellen und auf die Insel zu schicken. Sie würden dort auf eine Gruppe Wissenschaftler treffen, die vor Ort arbeitete, und sollten eine weibliche Forscherin namens Karla Janos in ihre Gewalt bringen. Diese sollten sie anschließend einem Team übergeben, das aus Alaska käme.

»Ich kann es versuchen«, sagte Bulgarin. »Das Wetter –«

»Ich will, dass Sie Ihre Befehle ändern. Sagen Sie ihnen, sie sollen sich die Kleine holen und mit ihr die Insel verlassen.«

»Was ist mit den Amerikanern?«

»Deren Leute können nicht kommen. Sie wollten eine Menge Geld für den Job bezahlen, also ist die Kleine offensichtlich einiges wert. Wir unterhalten uns mit ihr, um zu hören, was sie zu erzählen hat, und für sie ein Lösegeld zu fordern.«

Bulgarin zuckte die Achseln. Das war typisch für die Moskauer Mafia. Ein klassisches Doppelspiel. Direkt und rücksichtslos.

»Was ist mit den anderen Wissenschaftlern?«

»Sagen Sie Ihren Männern, keine Zeugen.«

Bulgarin lief es eiskalt über den Rücken. Er war sicherlich kein Engel und hatte als junger Schmuggler so manchen Schädel eingeschlagen. Die Elfenbeinjagd war ein Halsabschneidergeschäft. Nachdem die Mafia ebenfalls in die Elfenbeinjagd eingestiegen war, hatte sie Männer engagiert, die man wohlwollend als »Abschaum« bezeichnen konnte. Einige seiner Konkurrenten waren bequemerweise verschwunden.

Gleichzeitig war er clever genug zu wissen, dass er als Zeuge ebenfalls in der Reihe derer stünde, die irgendwann eliminiert würden. Er würde tun, was der Mann von ihm verlangte, aber in Gedanken beschäftigte er sich bereits mit den Schritten, die notwendig waren, um sein Geschäft zu schließen und Jakutsk zu verlassen. Er nickte nur, weil sein Mund plötzlich ausgetrocknet war und er keinen Ton hervorbrachte, und öffnete dann einen Schrank, in dem ein hochmodernes Sprechfunkgerät verborgen war.

Innerhalb weniger Minuten hatte er Verbindung mit den Elfenbeinjägern. Indem er sich eines sorgfältig ausgearbeiteten Codes bediente für den Fall, dass irgendjemand mithörte, verlangte er den Anführer des Trupps, einen vor keiner Gewalt zurückschreckenden Mann namens Grisha, der als Bewohner der Republik Sakha in direkter Linie von den Mongolen abstammte, die Hunderte von Jahren von der Elfenbeinjagd gelebt hatten. Er teilte ihm die neuen Instruktionen mit. Grisha bat nur um eine kurze Wiederholung, um sicherzugehen, dass er alles richtig gehört hatte, und hatte darüber hinaus keinerlei Fragen.

»Es ist erledigt«, sagte Bulgarin und legte das Mikrofon beiseite.

Der Mafiavertreter nickte. »Ich komme morgen zurück, um nachzufragen, ob alles glattgegangen ist.«

Bulgarin wischte sich den Schweiß von der Stirn, nachdem der Mann sich verabschiedet hatte. Er konnte nicht entscheiden, was schlimmer war, sich mit den Halsabschneidern aus Moskau herumzuschlagen oder mit den Halsabschneidern, die für ihn arbeiteten. Was er jedoch genau wusste, war, dass seine Tage in Jakutsk gezählt waren. Er wäre sicher, bis sie jemanden holten, um ihn zu ersetzen, doch in der Zwischenzeit würde er einige Pläne, die er schon vor langer Zeit geschmiedet hatte, nach und nach in die Tat umsetzen. Er hatte Millionen auf verschiedenen Nummernkonten in der Schweiz gesammelt.

Genf wäre sehr schön. Oder Paris oder London. Als profitable Beschäftigung bot sich der Edelsteinhandel an.

Alles wäre dem sibirischen Winter vorzuziehen.

Er lächelte. Vielleicht hatte die Mafia ihm sogar einen großen Gefallen getan.

22

Petrow war im Begriff, sein Büro in dem tristen Moskauer Regierungsgebäude zu verlassen, als seine Sekretärin ihn darüber informierte, dass er am Telefon verlangt werde. Er hatte schlechte Laune. Er hatte es nicht geschafft, sich vor einer Diplomatenparty in der Norwegischen Botschaft zu drücken. Norwegen, du liebe Güte! Da gab es nichts als Räucherfisch zu essen. Er nahm sich vor, sich mit Wodka volllaufen zu lassen und sich gründlich zu blamieren. Vielleicht würden sie ihn dann nie wieder einladen.

»Schreiben Sie auf, was der Betreffende will«, hatte er spontan geknurrt. Auf dem Weg nach draußen und schon halb in der Tür hatte er sich noch einmal umgedreht. »Wer ist der Anrufer?«

»Ein Amerikaner«, antwortete seine Sekretärin. »Er sagt, sein Name sei John Doe.«

Petrow war wie vom Donner gerührt. »Sind Sie sicher?«

Petrow schob seine verblüffte Sekretärin einfach zur Seite und kehrte in sein Büro zurück, wo er den Telefonhörer von der Gabel angelte und sich ans Ohr hielt. »Petrow«, meldete er sich.

»Hallo, Iwan. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, da haben Sie Ihre Telefongespräche selbst entgegengenommen«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Und ich erinnere mich, dass Sie früher Kurt Austin geheißen haben«, sagte Petrow. Sein unfreundlicher Ton passte ganz und gar nicht zu dem amüsierten Funkeln in seinen Augen.

»Touché, alter Junge. Immer noch der alte, scharfzüngige KGB-Apparatschik. Wie geht es Ihnen, Iwan?«

»Mir geht es gut. Wie lange ist es jetzt her seit der Razow-Affäre?«

»Zwei Jahre, denke ich. Sie sagten damals, ich solle mich melden, wenn ich jemals Hilfe brauchen sollte.«

Austin und Petrow hatten zusammengearbeitet, um den Plan Mikhail Razows, eines russischen Demagogen, zu vereiteln. Er hatte seinerzeit die Absicht gehabt, mithilfe umfangreicher im Ozean vorhandener Methanhydratfunde einen gegen die Ostküste der Vereinigten Staaten gerichteten Tsunami auszulösen.

»Sie haben Glück, dass Sie mich noch antreffen. Ich war unterwegs zu einer aufregenden Party in der Norwegischen Botschaft. Was kann ich für Sie tun?«

»Zavala und ich müssen so schnell wie möglich auf die Neusibirischen Inseln.«

»Sibirien?« Petrow kicherte. »Stalin ist tot, Austin. Sie schicken keine Menschen mehr in den Gulag.« Er schaute sich um. »Diejenigen, die ihre Vorgesetzten kritisieren, erhalten eine Beförderung, einen Titel und ein großes, furchtbar geschmacklos eingerichtetes Büro, in dem sie sich zu Tode langweilen.«

»Waren Sie wieder mal unartig, Iwan?«

»Das lässt sich nicht ins Russische übersetzen. Es reicht, wenn man sagt, dass es niemals klug ist, seinen Vorgesetzten anzugreifen.«

»Wenn ich das nächste Mal mit Putin rede, lege ich ein gutes Wort für Sie ein.«